Lösungen für eine bessere Welt
Welches sind die wichtigsten Hebel, um die gegenwärtigen Krisen zu bewältigen? Zukunftsforscher Ulrich Eberl über das Potenzial wissenschaftlicher Errungenschaften.
Studio ZX: Herr Eberl, vom Klimawandel über Plastikmüll bis zu Pandemien und Artensterben – Krisen überall. Dabei bietet die Wissenschaft schon vielversprechende Lösungen. Warum werden die Debatten so emotional geführt anstatt auf Basis wissenschaftlicher Erkenntnisse?
Ulrich Eberl: Viele Menschen erkennen intuitiv, dass es so nicht weitergehen kann. Wir brauchen Revolutionen auf vielen Gebieten: Wir müssen Energie gewinnen ohne Kohle, mobil sein ohne Öl, heizen ohne Erdgas, bauen ohne Beton, wirtschaften ohne Müll, leben mit der Natur, nicht gegen sie – das sind gewaltige Herausforderungen. Da kann man schon in Panik geraten, aber Angst ist ein schlechter Ratgeber. Gute Wissenschaft ist viel besser, wie wir bei den Impfstoffen gegen das Coronavirus sehen.
Aber haben wir überhaupt eine Chance? Vor genau 50 Jahren, im März 1972, wurde im Auftrag des Club of Rome die Studie „The Limits to Growth“ veröffentlicht. Darin wird der Menschheit im 21. Jahrhundert der Kollaps prophezeit, verursacht durch knapper werdende Rohstoffe und Nahrungsmittel sowie durch die Umweltverschmutzung. Wie wahrscheinlich ist dieses Szenario?
Über Details dieser Computersimulationen lässt sich streiten, aber die Krisen sind real. Vor 50 Jahren überstieg der ökologische Fußabdruck des Menschen erstmals die Biokapazität der Erde. Heute nutzen wir die Ressourcen des Planeten 1,7-mal schneller, als sie sich regenerieren können. Wenn wir so weitermachen, bräuchten wir 2050 drei Erden. Seit 1970 hat sich die Weltbevölkerung mehr als verdoppelt, der Welthandel verzehnfacht, die Herstellung von Kunststoffen verzwanzigfacht. Heute blasen wir jedes Jahr doppelt so viele Treibhausgase in die Luft wie vor 50 Jahren. Noch schlimmer ist nur das Artensterben: Seit 1970 sind mehr als zwei Drittel aller Wirbeltiere – Säugetiere, Vögel, Fische, Amphibien – von der Erde verschwunden.
Zur Person:
Der promovierte Biophysiker Ulrich Eberl, Jahrgang 1962, war unter anderem langjähriger Leiter der Innovationskommunikation bei Siemens. Heute ist er als selbstständiger Zukunftsforscher, internationaler Vortragsredner und Buchautor tätig.
Und alles beeinflusst sich gegenseitig: Waldrodungen verstärken das Artensterben und den Klimawandel. Der lässt Äcker verdorren, Deiche brechen und beschleunigt die Ausbreitung von Infektionskrankheiten – ebenso wie die zunehmende Mobilität, die ihrerseits den Klimawandel treibt. Kann man all dies gleichzeitig anpacken?
Ja, denn auch die Lösungen hängen eng miteinander zusammen. Wenn wir die entscheidenden Hebel identifizieren und sie entschlossen angehen, haben wir sozusagen unsere Überlebensformel gefunden.
Wenn wir die entscheidenden Hebel identifizieren und sie entschlossen angehen, haben wir sozusagen unsere Überlebensformel gefunden.
Ulrich Eberl
Sie erforschen seit 35 Jahren Zukunftstrends. Was sind denn die wichtigsten Hebel?
Vor allem müssen wir den Klimawandel in den Griff bekommen. Der stärkste Hebel ist hier die Energie- und Fahrzeugtechnik. Wenn wir weltweit alle fossilen Kraftwerke durch Wind- und Solarstrom und die Verbrennungsmotoren durch Elektroantriebe ersetzen, senken wir die Treibhausgasemissionen der fossilen Brennstoffe schon um knapp zwei Drittel. Diese Revolution ist machbar, denn Strom aus Wind und Sonne ist bereits günstiger als der aus Kohle und Erdgas, und die Autoindustrie beendet gerade die Benzin- und Diesel-Ära. Mehr noch: Solarenergie ist ideal für ärmere, sonnenreiche Länder ohne gute Stromnetze. Dezentrale Photovoltaik ist hier der Weg aus der Krise, nicht Kohle- oder Kernkraftwerke.
Welche Hebel haben Sie darüber hinaus identifiziert?
Zum Gelingen der Energiewende muss ein komplexes Puzzle gelöst werden: Wir müssen Strom mit Wärme- und Kältetechnologien verbinden, und wir brauchen intelligente Netze, die Angebot und Nachfrage ausbalancieren, sowie leistungsstarke Speicher – insbesondere grünen Wasserstoff, der mit Wind- und Solarstrom erzeugt wird. Damit können dann auch Schwerlaster umweltfreundlich fahren, Flugzeuge mit synthetischen Treibstoffen fliegen, aus den Schornsteinen der Stahlwerke käme statt Kohlendioxid nur Wasserdampf, und selbst eine klimaneutrale Chemie mitsamt Kreislaufwirtschaft wäre machbar.
Und was muss in der Land- und Forstwirtschaft passieren?
Am wichtigsten ist die Verringerung unseres Fleischkonsums, vor allem von Rindern. Da jedes Rind im Jahr so viele Treibhausgase ausstößt wie ein benzingetriebener Mittelklasse-Pkw und es weltweit 1,4 Milliarden Rinder gibt, wäre eine Halbierung des Rindfleischkonsums klimawirksamer als die Abschaffung jedes zweiten Pkw. Wenn dann noch in den Tropen weniger Wälder für Weiden und Futter – etwa für Sojapflanzen – abgeholzt werden, senkt das nicht nur die Klimagase, sondern schützt auch die Ökosysteme. Es ist ja kaum zu glauben: Direkt und indirekt braucht die Fleischindustrie weltweit fast 80 Prozent der landwirtschaftlichen Fläche.
Die 2020er-Jahre könnten das Goldene Jahrzehnt des technologischen Wandels werden.
Ulrich Eberl
Sicher haben Sie auch Lösungen gefunden, die auf den ersten Blick überraschen. Welche zum Beispiel?
Forscher haben unlängst entdeckt, dass Rinder, die jeden Tag außer ihrem Grün- und Kraftfutter 80 Gramm einer Rotalge verschlingen, 80 Prozent weniger Methan ausstoßen. Ein verblüffender Weg, um dieses starke Treibhausgas zu reduzieren. Oder die Wiedervernässung trockengelegter Moore: Das käme sowohl dem Arten- wie auch dem Klimaschutz zugute. Weltweit könnte man damit pro Jahr 1,8 Milliarden Tonnen Kohlendioxid aus der Luft holen – mehr als das Doppelte der deutschen Emissionen. Auch die Schließung der offenen Müllkippen in ärmeren Ländern ist extrem wichtig. Damit würde man nicht nur Giftstoffe und Plastikmüll verringern, sondern pro Jahr eine weitere Milliarde Tonne an Klimagasen einsparen.
Was ist also Ihr Fazit? Können wir den Umschwung noch schaffen?
Durchaus. Die 2020er-Jahre könnten das Goldene Jahrzehnt des technologischen Wandels werden, so wie die 1920er, als die Quantenmechanik, das Penicillin und das Tutanchamun-Grab entdeckt wurden, als Goldenes Jahrzehnt der Wissenschaft gelten. Doch dafür muss die Welt endlich zusammenarbeiten. Die Politik muss die richtigen Rahmenbedingungen setzen, Finanzströme müssen umgeleitet und soziale Härten abgefedert werden. Und vor allem müssen nationale Egoismen aufhören, denn globale Krisen machen nicht an Ländergrenzen halt. Geschlossene Schlagbäume oder gar Kriege sind keine Lösung – sie verschärfen nur das Problem.
Unsere Überlebensformel: Neun globale Krisen und die Lösungen der Wissenschaft
Klimawandel und Abholzung der Regenwälder, Artensterben und Pandemien, Konsumexplosion und Plastikmüll, Mobilitätskrise, Welternährung und lebenswerte Städte: Ulrich Eberl liefert in seinem neuen Sachbuch eine Zusammenschau der größten Krisen und zeigt die wichtigsten Hebel der Wissenschaft auf, um diese global zu lösen.
Erschienen am 10. März 2022 im Piper Verlag, 416 Seiten, 24,00 Euro.