ZEIT für X
Wissenschaftlerinnen bei einer Veranstaltung

Auftakt für ein starkes Frauen-Netzwerk für die Wissenschaft

28. April 2023
Ein Artikel der ZEIT Verlagsgruppe

Dass Anfang November bei der Auftakt­veranstaltung des neuen Fellowship-Programms des ZEIT Verlags „Zia – Visible Women in Science and Humanities“ eine Atmosphäre wie unter guten Bekannten entstand, ergab sich aus der Zusammen­stellung von inspirierenden Wissen­schaftlerinnen.

von Kristina von Klot

Im Berliner Restaurant Spindler am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg kamen über 60 weibliche Gäste, die aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland nach Berlin gereist waren, an langen, feierlich gedeckten Holztischen zusammen. Der ZEIT Verlag hat zum Auftakt seiner Zia-Initiative seine ersten Fellows, Mentorinnen und Role Models sowie die Female Science Talents der Falling Walls Foundation versammelt. Tagsüber wurde bereits im Rahmen der Berlin Science Week gemeinsam bei Networking-Panels und Workshops gearbeitet. Nun standen am Abend das Netzwerken und der informelle Austausch im Fokus.

Common Sense unter den Zia-Fellows der ersten Kohorte: Ein inter­disziplinäres Netzwerk für Wissen­schaftlerinnen ist wichtiger denn je. Davon ist auch Cecilia Colloseus überzeugt, die beim Empfang auf der Terrasse mit „Smash the patriarchy!“ einen Ausruf zitierte, der tags­über auf einem Panel geäußert wurde. „Der Punkt ist, patriarchale Strukturen dadurch auf­zu­weichen, dass viele Frauen, die sehr gut sind in dem, was sie tun, einander unter­stützen“, sagte die promovierte Anthropologin. Dabei freue sie sich sehr darauf, Gleich­gesinnte aus anderen Fach­richtungen kennen­zu­lernen, zu denen man an der Uni kaum in Kontakt komme, bedauerte Colloseus. Zukunfts­weisend sei diese Form der Kooperation auch für die Wissens­vermittlung rund um Technologien, die mit großen Ängsten besetzt sind, meinte die Geistes­wissen­schaftlerin, die an der Hochschule Aalen als Post-Doc an einem Maschinen­bau­projekt für Künstliche Intelligenz arbeitet. „Bei uns kooperieren viele unter­schiedliche Disziplinen, um KI-Forschung partizipativ zu gestalten.“ Große Erwartungen knüpfen die jungen Frauen auch an die Vielzahl von Impulsen und Workshops, die das Zia-Programm rund um Kommunikation und Rhetorik, Stimm­training, Körper­sprache und Medien­logik eröffnet. Die meisten versprechen sich davon, selbst­bewusster auftreten und sich besser behaupten zu können.

Frauen sind empathischer, haben weniger Ellen­bogen­mentalität und sind weniger macht­besessen als Männer.

Jana Isanta-Navarro, Post-Doc an der Lund-Universität in Schweden

„Frauen sind empathischer, haben weniger Ellen­bogen­mentalität und sind weniger macht­besessen als Männer“, sagte Jana Isanta-Navarro, Post-Doc an der Lund-Universität in Schweden, deren Erfahrung die Umstehenden teilen. Die Evolutions­biologin wünscht sich, „Wege zu finden, erfolgreich zu werden, ohne mir dafür männliche Eigenschaften aneignen zu müssen“. Und Pauline Kolbeck, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München in Biophysik promoviert, skizzierte unter großem Gelächter, wie „Mansplaining“ in der Wissenschaft abläuft: „Als Frau wird einem häufig das Wort abgeschnitten, dann übernimmt ein Mann, und der will einem nicht selten die eigene Forschung erklären!“ Und: In der Wissen­schafts­vermittlung scheuten Männer seltener davor zurück, Forschungs­ergebnisse plakativ zu formulieren, um Gehör zu finden. Wer dagegen Wert auf Nuancen lege, müsse damit rechnen, dass differenzierte Aussagen kaum Resonanz erzeugten, so die Physikerin. Hier abzuwägen, erfordere viel Erfahrung: „Ich hoffe, einen besseren Umgang mit Einflüssen aus Medien, Politik und Wirtschaft zu lernen. An der Uni wird das leider nicht vermittelt.“

Von ambivalenten Erfahrungen in diesem Zusammen­hang wusste Ramona Backhaus zu berichten. Die Gesund­heits­wissen­schaftlerin forscht an der Maastricht University in den Niederlanden zur Personal­entwicklung in der Alten­pflege, einem Thema, das emotional sehr aufgeladen sei. So habe die These ihrer Doktor­arbeit, der zufolge mehr Personal nicht zu höherer Pflege­qualität führt, für Schlagzeilen gesorgt. Dabei innere Distanz zu wahren, sei ihr als Frau nicht leicht­gefallen, sagte Backhaus. „Je empathischer man ist, desto schwerer fällt es, mit Shitstorms umzugehen“ – und mit Versuchen der Vereinnahmung, ergänzte sie: „Solange Studien­ergebnisse politischen Entscheidern in den Kram passen, wird man hofiert, aber wenn das nicht der Fall ist, muss man für seine Forschung einstehen.“ Ein Lernprozess, der ebenso anspruchs­voll sei wie ihr anderes Vorhaben: „Ich möchte eine Führungs­person werden, die vorlebt, dass man Familie haben und akademisch erfolg­reich sein kann.“

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Wie man mit Herausforderungen wie diesen umzugehen lernt, war Gegen­stand des Impuls-Gesprächs, das die ZEIT-Redakteurin Anna-Lena Scholz zwischen Vor- und Haupt­speise mit Alena Buyx führte, der prominentesten Mentorin des Abends: Darin erzählte die Vorsitzende des deutschen Ethikrats und Professorin für Medizin­ethik und Gesundheits­technologie an der TU München offen von Stolper­steinen ihrer Karriere. Ihre Erfahrung: Je höher man aufsteigt, desto geringer ist die Chancen­gleichheit, „besonders, wenn es um die Verteilung interessanter Stellen geht“. Umso wichtiger werde die Solidarität unter Kolleginnen. „Die kann man anrufen, wenn es richtig ätzend wird, damit sie einem Trost spenden und Rat geben.“ Dass es nichts bringt, die andere Wange hin­zu­halten bzw. den Mund zu halten, habe sie gelernt, nachdem sie in typisch weiblicher Manier zu viel „unpaid labour“ übernommen hatte. „Damals wandte ich mich an den Münchner Uni-Präsidenten und fragte ihn: 14 Berufungs­verfahren in einem Jahr: Wie soll ich da noch gute Forschung und Lehre betreiben?“ Buyx’ Rat an den Nachwuchs: „Man muss lernen, sich ab­zu­grenzen und Prioritäten setzen. Seid ein paar Jahre lang ein bisschen eigen­nütziger und weniger gebend!“ Auch in Hinblick auf Familien­gründung seien erfahrene Frauen wichtige Vorbilder, betonte die zweifache Mutter: „Die wissen aus eigener Praxis, was zu tun ist, wenn man einen Ruf annimmt, aber ein Baby an der Brust hat.“

Was den weiblichen Schulter­schluss darüber hinaus unverzichtbar mache, sei das drohende Auseinander­driften der Gesellschaft, ergänzte Buyx. Gemeinsam müsse man auch für eine bessere Wissenschafts­kommunikation eintreten, um der Desinformation nicht das Feld zu überlassen. „Es geht darum, den Konsens zu wahren, was die Generierung von Wissen und akademische Standards von Wahrheit betrifft – und unsere Demokratie zu verteidigen!“ Ein Schluss­wort, das für viel Beifall und Gesprächs­stoff sorgte. „Es ist diese Art female power, die mir an der Uni gefehlt hat“, bekannte eine Fellow beim Abschied und sprach damit einen Spirit an, den alle Frauen an diesem Abend miteinander teilen konnten.