Auftakt für ein starkes Frauen-Netzwerk für die Wissenschaft
Dass Anfang November bei der Auftaktveranstaltung des neuen Fellowship-Programms des ZEIT Verlags „Zia – Visible Women in Science and Humanities“ eine Atmosphäre wie unter guten Bekannten entstand, ergab sich aus der Zusammenstellung von inspirierenden Wissenschaftlerinnen.
Im Berliner Restaurant Spindler am Paul-Lincke-Ufer in Kreuzberg kamen über 60 weibliche Gäste, die aus ganz Deutschland und dem europäischen Ausland nach Berlin gereist waren, an langen, feierlich gedeckten Holztischen zusammen. Der ZEIT Verlag hat zum Auftakt seiner Zia-Initiative seine ersten Fellows, Mentorinnen und Role Models sowie die Female Science Talents der Falling Walls Foundation versammelt. Tagsüber wurde bereits im Rahmen der Berlin Science Week gemeinsam bei Networking-Panels und Workshops gearbeitet. Nun standen am Abend das Netzwerken und der informelle Austausch im Fokus.
Common Sense unter den Zia-Fellows der ersten Kohorte: Ein interdisziplinäres Netzwerk für Wissenschaftlerinnen ist wichtiger denn je. Davon ist auch Cecilia Colloseus überzeugt, die beim Empfang auf der Terrasse mit „Smash the patriarchy!“ einen Ausruf zitierte, der tagsüber auf einem Panel geäußert wurde. „Der Punkt ist, patriarchale Strukturen dadurch aufzuweichen, dass viele Frauen, die sehr gut sind in dem, was sie tun, einander unterstützen“, sagte die promovierte Anthropologin. Dabei freue sie sich sehr darauf, Gleichgesinnte aus anderen Fachrichtungen kennenzulernen, zu denen man an der Uni kaum in Kontakt komme, bedauerte Colloseus. Zukunftsweisend sei diese Form der Kooperation auch für die Wissensvermittlung rund um Technologien, die mit großen Ängsten besetzt sind, meinte die Geisteswissenschaftlerin, die an der Hochschule Aalen als Post-Doc an einem Maschinenbauprojekt für Künstliche Intelligenz arbeitet. „Bei uns kooperieren viele unterschiedliche Disziplinen, um KI-Forschung partizipativ zu gestalten.“ Große Erwartungen knüpfen die jungen Frauen auch an die Vielzahl von Impulsen und Workshops, die das Zia-Programm rund um Kommunikation und Rhetorik, Stimmtraining, Körpersprache und Medienlogik eröffnet. Die meisten versprechen sich davon, selbstbewusster auftreten und sich besser behaupten zu können.
Frauen sind empathischer, haben weniger Ellenbogenmentalität und sind weniger machtbesessen als Männer.
Jana Isanta-Navarro, Post-Doc an der Lund-Universität in Schweden
„Frauen sind empathischer, haben weniger Ellenbogenmentalität und sind weniger machtbesessen als Männer“, sagte Jana Isanta-Navarro, Post-Doc an der Lund-Universität in Schweden, deren Erfahrung die Umstehenden teilen. Die Evolutionsbiologin wünscht sich, „Wege zu finden, erfolgreich zu werden, ohne mir dafür männliche Eigenschaften aneignen zu müssen“. Und Pauline Kolbeck, die an der Ludwig-Maximilians-Universität München in Biophysik promoviert, skizzierte unter großem Gelächter, wie „Mansplaining“ in der Wissenschaft abläuft: „Als Frau wird einem häufig das Wort abgeschnitten, dann übernimmt ein Mann, und der will einem nicht selten die eigene Forschung erklären!“ Und: In der Wissenschaftsvermittlung scheuten Männer seltener davor zurück, Forschungsergebnisse plakativ zu formulieren, um Gehör zu finden. Wer dagegen Wert auf Nuancen lege, müsse damit rechnen, dass differenzierte Aussagen kaum Resonanz erzeugten, so die Physikerin. Hier abzuwägen, erfordere viel Erfahrung: „Ich hoffe, einen besseren Umgang mit Einflüssen aus Medien, Politik und Wirtschaft zu lernen. An der Uni wird das leider nicht vermittelt.“
Von ambivalenten Erfahrungen in diesem Zusammenhang wusste Ramona Backhaus zu berichten. Die Gesundheitswissenschaftlerin forscht an der Maastricht University in den Niederlanden zur Personalentwicklung in der Altenpflege, einem Thema, das emotional sehr aufgeladen sei. So habe die These ihrer Doktorarbeit, der zufolge mehr Personal nicht zu höherer Pflegequalität führt, für Schlagzeilen gesorgt. Dabei innere Distanz zu wahren, sei ihr als Frau nicht leichtgefallen, sagte Backhaus. „Je empathischer man ist, desto schwerer fällt es, mit Shitstorms umzugehen“ – und mit Versuchen der Vereinnahmung, ergänzte sie: „Solange Studienergebnisse politischen Entscheidern in den Kram passen, wird man hofiert, aber wenn das nicht der Fall ist, muss man für seine Forschung einstehen.“ Ein Lernprozess, der ebenso anspruchsvoll sei wie ihr anderes Vorhaben: „Ich möchte eine Führungsperson werden, die vorlebt, dass man Familie haben und akademisch erfolgreich sein kann.“
Wie man mit Herausforderungen wie diesen umzugehen lernt, war Gegenstand des Impuls-Gesprächs, das die ZEIT-Redakteurin Anna-Lena Scholz zwischen Vor- und Hauptspeise mit Alena Buyx führte, der prominentesten Mentorin des Abends: Darin erzählte die Vorsitzende des deutschen Ethikrats und Professorin für Medizinethik und Gesundheitstechnologie an der TU München offen von Stolpersteinen ihrer Karriere. Ihre Erfahrung: Je höher man aufsteigt, desto geringer ist die Chancengleichheit, „besonders, wenn es um die Verteilung interessanter Stellen geht“. Umso wichtiger werde die Solidarität unter Kolleginnen. „Die kann man anrufen, wenn es richtig ätzend wird, damit sie einem Trost spenden und Rat geben.“ Dass es nichts bringt, die andere Wange hinzuhalten bzw. den Mund zu halten, habe sie gelernt, nachdem sie in typisch weiblicher Manier zu viel „unpaid labour“ übernommen hatte. „Damals wandte ich mich an den Münchner Uni-Präsidenten und fragte ihn: 14 Berufungsverfahren in einem Jahr: Wie soll ich da noch gute Forschung und Lehre betreiben?“ Buyx’ Rat an den Nachwuchs: „Man muss lernen, sich abzugrenzen und Prioritäten setzen. Seid ein paar Jahre lang ein bisschen eigennütziger und weniger gebend!“ Auch in Hinblick auf Familiengründung seien erfahrene Frauen wichtige Vorbilder, betonte die zweifache Mutter: „Die wissen aus eigener Praxis, was zu tun ist, wenn man einen Ruf annimmt, aber ein Baby an der Brust hat.“
Was den weiblichen Schulterschluss darüber hinaus unverzichtbar mache, sei das drohende Auseinanderdriften der Gesellschaft, ergänzte Buyx. Gemeinsam müsse man auch für eine bessere Wissenschaftskommunikation eintreten, um der Desinformation nicht das Feld zu überlassen. „Es geht darum, den Konsens zu wahren, was die Generierung von Wissen und akademische Standards von Wahrheit betrifft – und unsere Demokratie zu verteidigen!“ Ein Schlusswort, das für viel Beifall und Gesprächsstoff sorgte. „Es ist diese Art female power, die mir an der Uni gefehlt hat“, bekannte eine Fellow beim Abschied und sprach damit einen Spirit an, den alle Frauen an diesem Abend miteinander teilen konnten.