ZEIT für X
Bio-hybrid-Fuels: Adaptive Umwandlungssysteme

CO2-neutrale Kraftstoffe für eine nach­haltige Mobi­lität: Forschung im Exzellenz­cluster „The Fuel Science Center“

22. April 2021
Anzeige
Dies ist ein Beitrag der RWTH Aachen.

Eine der wichtigsten globalen Heraus­for­der­ungen für eine nach­haltige Zukunft ist die welt­weite Redu­zierung der Treib­haus­gas-Emissionen, insbesondere von CO₂.

Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Aufbruch ins grüne Zeitalter“.

Motivation

Eine der wichtigsten globalen Herausforderungen für eine nachhaltige Zukunft ist die weltweite Reduzierung der Treib­hausgas-Emissionen, insbesondere von CO2. Die Strom­erzeugung aus erneuerbaren Primär­energie­quellen und der Rohstoffwechsel von fossilen zu alternativen Kohlen­stoff­quellen gelten als die wichtigsten Beiträge, um einen geschlossenen anthropogenen Kohle­stoff­kreis­lauf, die Defossi­lisierung, zu erreichen. Für diesen Wandel spielen synthetische flüssige Energie­träger eine entscheidende Rolle, weil (i) sie eine effiziente Speicherung fluktuierender Energie aus erneuer­baren Quellen in großen Mengen ermöglichen, (ii) eine hohe Energie­dichte mit einfacher Verteilung verbinden, (iii) sie ihre Anwendung und Handhabung in robusten Techno­logien und Infra­strukturen etabliert ist und (iv) sie eine Schnitt­stelle der energe­tischen und chemischen Wert­schöpfungs­kette darstellen.

Um alle Dimensionen der Nachhaltig­keit zu adressieren, müssen Antriebs­systeme, die auf der Verbrennung erneuerbarer Kraft­stoffe basieren, die Grenzen heutiger Motoren­techno­logien überwinden und die reduzierte Kohlen­stoff­intensität der Produktion mit einer Verbesserung des Verbrennungs­wirkungs­grades sowie der lokalen Schad­stoff­emissionen verbinden [Si14].

Bei den Forschungs- und Entwicklungs­aktivitäten zu erneuer­baren Kraft­stoffen wurden große Fort­schritte bei Bio-Kraftstoffen erzielt, die hauptsächlich durch Fermentation und in chemischen Prozessen hergestellt werden [Le17]. Neuere Ansätze konzentrieren sich auf E-Fuels, die durch CO2-Umwandlung unter Verwendung von „grünem Wasser­stoff“ aus der Wasser­elektrolyse gewonnen werden [Ar18]. Für beide Konzepte gibt es Technologien mit hohem Reifegrad, die auch kurzfristig wesentliche Beiträge zur Senkung der CO2-Emission beitragen können. Während die „Bio-Kraftstoffe“ und „E-Fuels“ bisweilen als konkurrierende technologische Konzepte wahrgenommen werden, zeigen detaillierte Studien zu zukünftigen Energie­szenarien, dass langfristig nur die integrierte Nutzung aller alternativen Kohlen­stoff-Rohstoffe die chemische Umwandlung von erneuerbarer Energie in für den Mobilitäts­sektor relevanten Größen­ordnungen ermöglicht [Ac17]. Die Grund­lagen­forschung im Fuel Science Center (FSC) fokussiert daher auf Biohybrid-Kraftstoffe [Be19]. Die erhöhte Vielfalt an möglichen molekularen Strukturen solcher Komponenten bietet die Möglichkeit zum Kraftstoff­design für innovative Motor­techno­logien, um so eine CO2-neutrale und emissions­freie Mobilität unter weitgehender Nutzung bestehender Infra­strukturen zu ermöglichen [De18].

Chemische Energieträger bilden einen zentralen Nexus, um erneuerbare Energien mit materiellen Wert­schöpfungs­ketten zu verbinden [Sch15]. Um die daraus resul­tierenden, sich dynamisch verändernden Grenzen über die Techno­sphäre hinaus zu berücksichtigen, ist eine integrierte System­perspektive erforderlich. Methodische Ansätze zur Bewertung und voraus­schauenden Analyse von Umwelt­auswirkungen, wirtschaft­licher Tragfähig­keit und gesell­schaftlicher Relevanz müssen entwickelt werden, um eine unmittelbare Rück­kopplung für technische Entwick­lungen zu etablieren.

Das Fuel Science Center schafft Grund­lagen­wissen und neuartige wissen­schaft­liche Methoden für die Entwick­lung nach­haltiger tech­nischer Lösungen zur Nutzung von erneuer­barer Energie und alter­nativen Kohlen­stoff­quellen in flüssigen Energie­trägern für CO2-neutrale und nahezu schad­stoff­freie Antriebssysteme

Das Fuel Science Center verfolgt dazu einen fundamental neuen Forschungs­ansatz und bietet den idealen struk­turellen Rahmen, um die notwendige experi­mentelle und theore­tische Basis zu schaffen. Es baut auf den wissen­schaftlichen und methodischen Errungen­schaften des Exzellenz­clusters „Tailor-Made Fuels from Biomass“ (TMFB) auf und erweitert dessen inter­diszi­plinären Ansatz, indem es unterschied­lichste Forschungs­bereiche der Natur-, Ingenieur- und Sozial­wissenschaften in einer kohärenten Forschungs­struktur zusammen­führt. Durch die Partner­schaft der RWTH Aachen University mit komple­mentären Kompetenzen und Infra­strukturen der Max-Planck-Institute für Kohlen­forschung und für Chemische Energie­konversion sowie dem Forschungs­zentrum Jülich ergibt sich ein einzig­artiges Forschungs­umfeld: The Fuel Science Center

Vision & Mission

Die Grundlagen­forschung des Exzellenzclusters schafft die Basis für die integrierte Umwandlung von erneuer­barer Elektri­zität mit biomasse­basierten Rohstoffen und CO2 zu flüssigen Energie­trägern mit hoher Energie­dichte (Biohybrid-Kraftstoffe), die eine hoch­effiziente und saubere Verbrennung ermöglichen. Die angestrebten Prozesse und Aggregate werden hochflexibel sein, um die Effizienz unter zeitlichen Schwankungen und regionalen Unter­schieden in der Rohstoff- und Energie­versorgung zu maxi­mieren. Die Entwicklungen zielen auf Komple­menta­rität und Synergie mit anderen Komponenten des Energie­systems und der stofflichen Wert­schöpfungs­kette. Die angestrebten Konzepte werden an den gesell­schaftlichen Bedürfnissen ausgerichtet und auf ihre Umwelt­verträg­lichkeit und Wirt­schaft­lichkeit hin analysiert, wobei insbesondere die scheinbar wider­sprüchlichen Grenzen der Größen­ordnung des Kraftstoff­sektors und der dezentralen Verfüg­barkeit von erneuer­baren Energien und Rohstoffen berück­sichtigt werden. Die wissen­schaftlichen Erkenntnisse stellen die Grundlage für anpassungs­fähige Produktions- und Antriebs­technologien unter dynamischen Systemgrenzen dar.

Biohybrid-Kraftstoffe

Bio-hybrid-Kraftstoffe
© FSC, RWTH Aachen University

Im FSC werden die molekularen und inge­nieur­technischen Grundlagen geschaffen, um flüssige Energieträger, die als Biohybrid-Kraftstoffe definiert werden, über integrierte (elektro-) katalytische Transformationen von Biomasse und CO2 herzustellen. Ver­arbei­tungs­routen, die beide Kohlen­stoff­quellen gemeinsam ausnutzen, eröffnen die Mög­lich­keit, die Kohlen­stoff-Effizienz für die Gewinnung von erneuer­barem Strom durch Spei­cherung in den chemischen Bin­dungen flüssiger Energie­träger zu maxi­mieren. Bestimmte etablierte Ziel­struk­turen können prinzipiell sowohl aus Biomasse als auch aus CO2 gewonnen werden (z. B. kurzkettige Alkohole) und bieten das Potenzial, bei optimaler regionaler oder zeitlicher Roh­stoff­balance zu den gleichen Produkten zu gelangen.

Die synthetische Kombination von aus Biomasse gewonnenen Zwischen­produkten mit CO2 eröffnet den Zugang zu neuen Klassen von Molekül­strukturen, die zusätzliche Optimierungs­parameter bieten. Die erforderliche selektive Umsetzung von CO2 unter gleichzeitiger Reduktion und Bindungs­bildung ist eine der großen wissen­schaftlichen Heraus­forderungen in der Katalyse und Biokatalyse. Insbesondere die Kombination solcher Trans­formationen mit den De- und Refunktio­nalisierungs­prozessen biobasierter Substrate ist bis heute kaum erforscht. Das Design von maßge­schnei­derten Bio-, Chemo- und Elektro­kataly­satoren mit multiplen Funktio­nalitäten und deren Imple­mentierung in integrierte Produktions­prozesse ist daher ein besonderer Schwerpunkt des FSC. Die Nutzung erneuerbarer Energien als treibende Kraft für chemische Reaktionen mittels Wasserstoff oder Elektro­chemie erfordert sprunghafte Innovationen in der Reaktions- und Verfahrenstechnik, bei denen Grenz­flächen­prozesse zwischen strukturierten Feststoffen, funktionalen Flüssig­phasen und reaktiven Gasen entschlüsselt und kontrolliert werden müssen.

Molekular kontrollierte Brennverfahren

Molekular kontrollierte Brennverfahren
© FSC, RWTH Aachen University

Das im FSC angestrebte integrierte Mole­kular- und Maschi­nen­design nutzt die mole­kulare Viel­falt von Biohybrid-Kraft­stoffen, um die inhä­renten Grenzen fossil betrie­bener Motor­techno­logien zu überwinden und fort­schritt­liche Ver­brennungs­motoren als wesent­liche Kompo­nenten in einem diversi­fizier­ten Mobilitäts­sektor zu etablieren. Das Erkennen der Zusammen­setzung und molekularen Struktur des Energie­trägers als entscheidender Design­parameter eröffnet attraktive Möglich­keiten für fort­schritt­liche Motor­konzepte. Die Verbrennung von Kraft­stoffen ist jedoch eines der kompli­ziertesten Phänomene, bei dem komplexe Grenz­flächen-, hydro­dynamische und chemische Mecha­nismen gleich­zeitig auf einer Vielzahl von Zeit- und Längenskalen zusammenwirken.

Die Entwicklung anspruchsvoller experi­menteller Methoden muss mit fortschritt­lichen Modellie­rungs- und Simulations­techniken gekoppelt werden, um die komplexen Prozesse zu ent­schlüsseln. Auf dieser Basis ermöglichen die mole­kularen Eigen­schaften von Biohybrid-Kraft­stoffen letztlich die angestrebten molekular kontrollierten Verbrennungs­systeme. Ziel des FSC ist es, den thermo-dynamischen Wirkungs­grad um 20 % gegenüber heutigen Motoren zu steigern, wodurch der Kraft­stoff­verbrauch im Straßen­verkehr bei hybridisierten Antriebs­strängen um 50 % gesenkt werden soll. Gleich­zeitig werden die gesamten Schadstoff­emissionen um mehr als 80 % gegenüber den aktuellen europäischen Grenz­werten im realen Fahrbetrieb gesenkt. Über die On-Road-Anwendungen hinaus werden sich die gewonnenen grundlegenden Erkennt­nisse auf eine breite Palette von Techno­logien für Off-Road-Anwendungen, die Mobilität auf dem Wasser und in der Luftfahrt auswirken.

Nachhaltige Mobilität

Nachhaltige Mobilität
© FSC, RWTH Aachen University

Das FSC integriert den techno­logischen Fort­schritt in eine erweiterte System­perspek­tive, die eine voraus­schauende Bewer­tung der Umwelt­auswirkungen, der wirtschaft­lichen Trag­fähig­keit und der gesell­schaftlichen Relevanz neuartiger Kraftstoff-Wert­schöpfungs­ketten ermöglicht. Der Über­gang zu neuartigen flüssigen Energie­trägern für fort­schritt­liche Antriebs­systeme ist nicht nur eine technologische Heraus­forderung, sondern betrifft direkt die drei Dimensionen der Nach­haltig­keit und wird letztlich durch die gesell­schaft­liche Akzeptanz entschieden. Während die Technologie­entwicklung üblicher­weise zuerst und unab­hängig durch­geführt wird, integriert das FSC die Bewertung der Nach­haltig­keit und der gesell­schaft­lichen Akzeptanz aller relevanten Stakeholder-Gruppen sowie die politischen Implikationen.

Emissionen und (Öko-)Toxikologie der Kraft­stoff­kandi­daten werden früh­zeitig bewertet, um die Zusammen­hänge zwischen der Molekül­struktur und den Eigen­schaften ex ante zu entschlüsseln. Die Wert­schöpf­ungs­ketten werden dann gemeinsam auf Kosten und Nach­haltig­keit über den gesamten Lebens­zyklus von der Produktion bis zum Antrieb optimiert und spiegeln die Wechsel­wirkungen zwischen dem Strom- und dem Mobilitäts­sektor wider, wobei die verfügbaren Ressourcen zu jedem Zeitpunkt bestmöglich genutzt werden. Die daraus resul­tierenden Leistungs­indikatoren zur Nach­haltig­keit und öffentlichen Wahr­nehmung von Kraft­stoffen und deren Wert­schöpfungs­ketten werden iterativ in die Techno­sphären­forschung zurückgeführt.

Von Molekül bis zum Gesamtsystem

Inspiriert von den gewaltigen wissenschaftlichen Heraus­forderungen, die sich aus der gemeinsamen Vision und den oben skizzierten Zielen ergeben, definiert das FSC seine wissen­schaft­lichen Ziele, um grundlegende Aspekte der Pro­duk­tion und des Antriebs von der molekularen Skala bis hin zur System­ebene integriert zu behandeln. Diese fortschritt­liche Perspektive der Zusammen­arbeit nach Maßstäben und nicht nach Diszi­plinen oder einzelnen Technologien führt zu Synergien und gegenseitiger Bereicherung von wissen­schaftlichen Konzepten und Methoden.

Strukturschaffend

NachwuchswissenschaftlerInnen sind das Rückgrat der Forschungskultur und -leistungen im FSC und an der RWTH. Investitionen in die Förderung des wissen­schaftlichen Nach­wuchses und deren Forschungs­kompetenzen sind der Schlüssel für eine schnelle und nach­haltige Ent­wicklung neuer Forschungs­felder. Das FSC unterstützt daher sowohl die akademische als auch die wissen­schaft­liche Entwick­lung junger Wissen­schaftler­Innen. Die akademische Entwicklung erfolgt unter dem Dach des RWTH Center for Young Academics, das eine universi­tätsweit einheit­liche Ausbildung des wissen­schaftlichen Nach­wuchses gewähr­leistet. Die wissenschaftliche Entwicklung erfolgt in einer eigenen FSC Research School.

Die im Cluster aktiven Nachwuchs­wissen­schaftler­Innen sind über ihre diszi­plinären Forschungs­arbeiten hinaus in inter­diszi­plinäre Teams eingebunden. Die Trans­lation der Grundlagen­forschung in Richtung Umsetzung wird in weiter­führenden Projekten und Spin- off-Aktivi­täten verfolgt. Das Fuel Science Center lebt damit in besonderer Weise das Motto der RWTH Aachen zu ihrem 150-jährigen Bestehen: Lernen. Forschen. Machen.

Wer forscht am Fuel Science Center?

Weitere Interviews mit den über 100 Forscherinnen und Forschern sowie Informationen zu den über 70 Projekten des Exzellenz­clusters „The Fuel Science Center“ sind in dem quartals­weise erschei­nenden Newsletter sowie auf dem YouTube-Kanal des FSC zu finden.

The Fuel Science Center

Logo FSC RWTH Aachen University

Schinkelstraße 8
52062 Aachen

Tel. (0241) 80-953 52
info@fsc.rwth-aachen.de

The Fuel Science Center
Twitter