Die genetische Diversität von Ökosystemen erfassen
AnzeigeForscher*innen der Hochschule Mittweida entschlüsseln Pollen-DNA um Biodiversität und Umwelteinflüsse zu untersuchen.
Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Zukunftsfragen der Forschung“.
Biodiversität, die Mannigfaltigkeit des Lebendigen, ist in aller Munde. Sie geht verloren und der Erhalt des Verbliebenen wird in der Europäischen Union mit vielen Programmen gefördert, beispielsweise in der Landwirtschaft. Doch wie können wir die Biodiversität und die Wirkung erhaltender Maßnahmen messen? Eine bekannte Methode ist das Bestimmen und Zählen von Arten, zum Beispiel in einem Blühstreifen. Die Widerstandskraft einer Art wird jedoch nicht nur durch die schiere Anzahl an Individuen, sondern auch durch die genetische Vielfalt innerhalb der Art bestimmt. Aber was bedeutet das: genetische Vielfalt? Wir Menschen besitzen 46 Chromosomen, 23 vom Vater und ebenso viele von der Mutter. Bis auf die Geschlechtschromosomen (X und Y) liegt jedes Chromosom und damit jedes Gen, das eine Eigenschaft codiert, zweimal vor. Beide Genkopien, die wir Allele nennen, können identisch sein oder sich unterscheiden. Sie können sich auch zwischen Individuen unterscheiden. So können drei Personen sechs unterschiedliche Genvarianten tragen, die jeweils dieselbe Funktion codieren – mit klitzekleinen Unterschieden. Je nach Umwelt- und Lebensbedingungen können diese Unterschiede riesige Wirkungen entfalten. Ein bekanntes Beispiel ist ein Allel, das die Sichelzellkrankheit beim Menschen verursacht. Codieren beide Allele die Erkrankung, so ist das fatal. Ist jedoch nur ein Allel betroffen, so schützt dies den Träger vor einer Malariainfektion. Ähnliche Beispiele finden sich bei allen Lebewesen. In der Agrarforschung werden derzeit gezielt Allele gesucht, die ertragsarme alte Sorten widerstandsfähig gegen Trockenheit, Insektenfraß oder Hitze machen – Stichwort Klimaresilienz. Verschiedene Züchtungs- und Geneditierungsmethoden erlauben das Einbringen dieser Allele in Hochertragssorten. Im natürlichen Ökosystem vermischen sich die Allele per Zufall mit jeder Generation neu. Es droht jedoch Inzucht, wenn nicht mehr genügend verschiedene Allele vorhanden sind – und die verläuft bei Tieren und Pflanzen nicht besser als beim Fürstengeschlecht der Habsburger. Letztlich muss der Fokus beim Erhalt der Biodiversität also vor allem auf dem Erhalt genetischer Vielfalt liegen. Es geht nicht nur um Quantität (Anzahl der Individuen einer Art), sondern auch um Qualität (Anzahl der Allele im Genpool einer Art).
An der Hochschule Mittweida, im Co-Creation Lab „Landwirtschaft und Biodiversität“ des Transferverbundes Saxony⁵ kooperieren Professor Wünschiers und sein Team mit Bienen, genauer mit Wildbienen, Hummeln sowie Honigbienen und ihren Imkern, um die genetische Biodiversität zu erfassen – und nebenbei mit weiteren Partnern weitere Fragen zum Sammelverhalten von Bienen zu beantworten. Untersucht wird die DNA des von den Bienen gesammelten Pollens. So können die Mittweidaer Forscher*innen sich ein Bild der genetischen Diversität von Blühpflanzen in einem Biotop machen, ohne selbst in das Biotop einzudringen. Denn mit einer Pollenfalle, in der Honigbienen über ein Gitter laufen und dadurch ihre Pollenhöschen verlieren, werden die Bienen für uns zum Sammler.
Vermischt mit kleinen Keramikkügelchen, sogenannten Beads, wird die gewonnene Pollenprobe zerrieben, bis die einzelnen Pollenkörner aufgeknackt sind. Das ist nötig, da äußerst robuste Zellwände die die einfache Freisetzung der DNA aus Pollen verhindern. Die spätere Isolierung des Pollenerbguts erfolgt mit klassischen Extraktionsmethoden, wie sie auch für viele andere Zelltypen im Labor genutzt werden können, um DNA für Analysen zu separieren. Nun wird ein bestimmter Bereich des Genoms der Pollen-DNA genauer betrachtet: die sogenannte ITS-Region. Dieser Bereich ist vergleichbar mit einem Barcode, wie er bspw. an der Supermarktkasse gescannt wird: Er gleicht einem genetischen Fingerabdruck und erlaubt die Bestimmung der Pflanzenspezies. So muss die DNA nicht in ihrer gesamten Länge untersucht werden: Das spart Zeit- und vor allem Datenverarbeitungsaufwand.
Die Entschlüsselung der ITS-Region erfolgt in Mittweida mit der neuartigen Nanoporensequenzierung. Bei dieser Technologie wird die DNA in einem elektrischen Feld durch ein Porenprotein gezogen, das in einer Membran eingebettet ist. Der Ionenstrom durch die Pore wird dadurch charakteristisch gestört und aus den resultierenden Stromflussschwankungen kann die DNA-Sequenz berechnet werden. Mit den portablen Sequenziergeräten von Oxford Nanopore Technologies kann dies sogar außerhalb eines Labors durchgeführt werden, also beispielsweise direkt am Bienenstock.
So konnte das Team von Professor Wünschiers bereits bestimmen, wie unterschiedlich Honig- und Wildbienen eines Standortes Pollen sammeln. Die Methode kann nun eingesetzt werden, um zu analysieren wie Agrarumweltmaßnahmen, wie Blühstreifen und der Verzicht auf Insektizide oder Herbizide, auf die Bestäuber wirken. In Zukunft soll die Bienenpollen-Sequenzierung auch dazu dienen, die Diversität des Blütenangebots in der Umgebung eines Bienenstocks abzubilden.
Anstelle des Pollens können auch Bodenproben oder Luftpartikel (Stäube und Aerosole) auf ihre DNA-Zusammensetzung untersucht werden. Auch hier konnten die Wissenschaftler*innen aus Mittweida zeigen, dass sogar in gemischten Proben die enthaltenen Bakterienarten identifiziert werden.
Wer jetzt neugierig geworden ist und tiefer in die Welt der Gene oder der Geneditierung eintauchen möchte, dem seien die Bücher „Allgemeinbildung Gene, Genome und Gentechnik für Dummies“, erschienen 2022 bei Wiley-VCH oder „Generation Gen-Schere“, erschienen 2019 bei SpringerNature, von Professor Wünschiers empfohlen. Mit seiner Bienenforschung gewann er auch beim 3. Saxony⁵ ScienceSlam 2021 in Mittweida.
Im Transferverbund Saxony⁵ arbeiten die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften Sachsens interdisziplinär und vernetzt zusammen, um eine inhaltlich und methodisch neue Qualität im Wissens- und Technologietransfer und somit einen nachhaltigen Mehrwert für die Region Sachsen zu erreichen.
Saxony⁵ wird seit 2018 im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ von BMBF und SMWK gefördert.