ZEIT für X
Biodiversität ist mehr als Artenzählen – es kommt auch auf die inneren Werte an: Das Erbgut im Zellkern, die DNA. Wie können wir ihre Diversität erfassen und was bringt das?

Die genetische Diversität von Öko­sys­temen erfassen

24. März 2022
Anzeige
Ein Beitrag des Saxony⁵ Mitglieds HSMW.

Forscher*innen der Hochschule Mittweida entschlüsseln Pollen-DNA um Bio­diver­sität und Umwelt­einflüsse zu untersuchen.

Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Zukunftsfragen der Forschung“.

Biodiversität, die Mannigfaltigkeit des Lebendigen, ist in aller Munde. Sie geht verloren und der Erhalt des Verbliebenen wird in der Europäischen Union mit vielen Programmen gefördert, beispiels­weise in der Land­wirtschaft. Doch wie können wir die Biodiver­sität und die Wirkung erhaltender Maßnahmen messen? Eine bekannte Methode ist das Bestimmen und Zählen von Arten, zum Beispiel in einem Blüh­streifen. Die Wider­stands­kraft einer Art wird jedoch nicht nur durch die schiere Anzahl an Individuen, sondern auch durch die genetische Vielfalt innerhalb der Art bestimmt. Aber was bedeutet das: genetische Vielfalt? Wir Menschen besitzen 46 Chromosomen, 23 vom Vater und ebenso viele von der Mutter. Bis auf die Geschlechts­chromosomen (X und Y) liegt jedes Chromosom und damit jedes Gen, das eine Eigenschaft codiert, zweimal vor. Beide Genkopien, die wir Allele nennen, können identisch sein oder sich unterscheiden. Sie können sich auch zwischen Individuen unterscheiden. So können drei Personen sechs unterschiedliche Genvarianten tragen, die jeweils dieselbe Funktion codieren – mit klitze­kleinen Unterschieden. Je nach Umwelt- und Lebens­bedingungen können diese Unterschiede riesige Wirkungen entfalten. Ein bekanntes Beispiel ist ein Allel, das die Sichelzell­krankheit beim Menschen verursacht. Codieren beide Allele die Erkrankung, so ist das fatal. Ist jedoch nur ein Allel betroffen, so schützt dies den Träger vor einer Malaria­infektion. Ähnliche Beispiele finden sich bei allen Lebewesen. In der Agrar­forschung werden derzeit gezielt Allele gesucht, die ertragsarme alte Sorten widerstands­fähig gegen Trockenheit, Insektenfraß oder Hitze machen – Stichwort Klima­resilienz. Verschiedene Züchtungs- und Geneditie­rungs­methoden erlauben das Einbringen dieser Allele in Hochertrags­sorten. Im natürlichen Ökosystem vermischen sich die Allele per Zufall mit jeder Generation neu. Es droht jedoch Inzucht, wenn nicht mehr genügend verschiedene Allele vorhanden sind – und die verläuft bei Tieren und Pflanzen nicht besser als beim Fürsten­geschlecht der Habsburger. Letztlich muss der Fokus beim Erhalt der Biodi­versität also vor allem auf dem Erhalt genetischer Vielfalt liegen. Es geht nicht nur um Quantität (Anzahl der Individuen einer Art), sondern auch um Qualität (Anzahl der Allele im Genpool einer Art).

Lisa Prudnikow bei der Beprobung eines Bienenstocks.
© Birgit Pannicke Lisa Prudnikow bei der Beprobung eines Bienenstocks.

An der Hochschule Mittweida, im Co-Creation Lab „Landwirtschaft und Biodiversität“ des Transferverbundes Saxony⁵ kooperieren Professor Wünschiers und sein Team mit Bienen, genauer mit Wildbienen, Hummeln sowie Honigbienen und ihren Imkern, um die genetische Biodi­versität zu erfassen – und nebenbei mit weiteren Partnern weitere Fragen zum Sammel­verhalten von Bienen zu beantworten. Untersucht wird die DNA des von den Bienen gesammelten Pollens. So können die Mittweidaer Forscher*innen sich ein Bild der genetischen Diversität von Blühpflanzen in einem Biotop machen, ohne selbst in das Biotop einzudringen. Denn mit einer Pollenfalle, in der Honigbienen über ein Gitter laufen und dadurch ihre Pollenhöschen verlieren, werden die Bienen für uns zum Sammler.

Sammelbehälter für Pollenhöschen.
© Lisa Prudnikow Sammelbehälter für Pollenhöschen.

Vermischt mit kleinen Keramikkügelchen, sogenannten Beads, wird die gewonnene Pollenprobe zerrieben, bis die einzelnen Pollen­körner aufgeknackt sind. Das ist nötig, da äußerst robuste Zellwände die die einfache Freisetzung der DNA aus Pollen verhindern. Die spätere Isolierung des Pollen­erbguts erfolgt mit klassischen Extraktions­methoden, wie sie auch für viele andere Zelltypen im Labor genutzt werden können, um DNA für Analysen zu separieren. Nun wird ein bestimmter Bereich des Genoms der Pollen-DNA genauer betrachtet: die sogenannte ITS-Region. Dieser Bereich ist vergleichbar mit einem Barcode, wie er bspw. an der Supermarkt­kasse gescannt wird: Er gleicht einem genetischen Finger­abdruck und erlaubt die Bestimmung der Pflanzen­spezies. So muss die DNA nicht in ihrer gesamten Länge untersucht werden: Das spart Zeit- und vor allem Daten­verarbeitungs­aufwand.

Die Entschlüsselung der ITS-Region erfolgt in Mittweida mit der neuartigen Nanoporen­sequen­zierung. Bei dieser Technologie wird die DNA in einem elektrischen Feld durch ein Poren­protein gezogen, das in einer Membran eingebettet ist. Der Ionenstrom durch die Pore wird dadurch charakteristisch gestört und aus den resultierenden Strom­fluss­schwankungen kann die DNA-Sequenz berechnet werden. Mit den portablen Sequenzier­geräten von Oxford Nanopore Technologies kann dies sogar außerhalb eines Labors durchgeführt werden, also beispielsweise direkt am Bienenstock.

MinION Mk1C der Firma Oxford Nanopore Technologies.
© Birgit Pannicke MinION Mk1C der Firma Oxford Nanopore Technologies.

So konnte das Team von Professor Wünschiers bereits bestimmen, wie unterschiedlich Honig- und Wildbienen eines Standortes Pollen sammeln. Die Methode kann nun eingesetzt werden, um zu analysieren wie Agrar­umwelt­maßnahmen, wie Blüh­streifen und der Verzicht auf Insektizide oder Herbizide, auf die Bestäuber wirken. In Zukunft soll die Bienen­pollen-Sequen­zierung auch dazu dienen, die Diversität des Blüten­angebots in der Umgebung eines Bienen­stocks abzubilden.

Anstelle des Pollens können auch Bodenproben oder Luft­partikel (Stäube und Aerosole) auf ihre DNA-Zusammen­setzung untersucht werden. Auch hier konnten die Wissen­schaft­ler*innen aus Mittweida zeigen, dass sogar in gemischten Proben die enthaltenen Bakterienarten identifiziert werden.

Wer jetzt neugierig geworden ist und tiefer in die Welt der Gene oder der Geneditierung eintauchen möchte, dem seien die Bücher „Allgemein­bildung Gene, Genome und Gentechnik für Dummies“, erschienen 2022 bei Wiley-VCH oder „Generation Gen-Schere“, erschienen 2019 bei SpringerNature, von Professor Wünschiers empfohlen. Mit seiner Bienen­forschung gewann er auch beim 3. Saxony⁵ ScienceSlam 2021 in Mittweida.

YouTube

Mit dem Laden des Videos akzeptieren Sie die Datenschutzerklärung von YouTube.
Mehr erfahren

Video laden

Transferverbund Saxony⁵

Im Transferverbund Saxony⁵ arbeiten die Hochschulen für Angewandte Wissenschaften Sachsens interdiszi­plinär und vernetzt zusammen, um eine inhaltlich und methodisch neue Qualität im Wissens- und Technologie­transfer und somit einen nachhaltigen Mehrwert für die Region Sachsen zu erreichen.

Saxony⁵ wird seit 2018 im Rahmen der Bund-Länder-Initiative „Innovative Hochschule“ von BMBF und SMWK gefördert.

www.saxony5.de

Logokombination von Innovative Hochschule, Bundesministerium für Bildung und Forschung sowie Gemeinsame Wissenschaftskonferenz