ZEIT für X
Hinterm Horizont geht’s weiter: Der Abschied von der Braunkohle gibt dem Rheinischen Revier die Chance, sich in eine bioökonomische Modellregion zu verwandeln.

Ein Modell für die Welt von morgen

22. April 2021
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Dies ist ein Beitrag des Forschungszentrum Jülich.

Bioökonomie im Rheinland: Wissenschaft, Wirtschaft und Zivilgesellschaft gestalten den nachhaltigen Wandel in einer Region.

Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Aufbruch ins grüne Zeitalter“.

Die Chancen der Bioökonomie sind vielfältig. Sie liefert Nahrung für Menschen und Tiere, Rohstoffe für Textilien, Werkstoffe und Papier, Bausteine für chemische Synthesen und auch Bioenergie. Damit trägt sie schon heute wesentlich zur Lebensmittelsicherheit bei und gewinnt zunehmende Bedeutung für die Gestaltung einer nachhaltigen Zukunft angesichts der Wende weg von fossilen hin zu nachwachsenden Rohstoffen. Das Rheinland hat sich schon vor einigen Jahren auf den Weg gemacht, die Chancen der Bioökonomie in Wissenschaft und Praxis zu nutzen und eine „Innovationsregion Bioökonomie“ zu werden: mit Hightech, systemischen wissenschaftlichen Konzepten und neuen Wertschöpfungsnetzen in der Praxis.

Hightech für mehr Nahrungsmittel

Ein wichtiger Ausgangspunkt für Lebensmittel und nachwachsende Rohstoffe ist, die Produktivität und Qualität von Pflanzen zu steigern und ihre Nutzbarkeit zu erweitern. Dabei ist es essenziell, pflanzliche Strukturen und das Verhalten von Pflanzen unter realen Umweltbedingungen zu vermessen und zu verstehen. Das ist die Voraussetzung, damit Züchter neue Sorten entwickeln und Landwirte effizient Pflanzenbau betreiben können. Das Forschungszentrum Jülich hat sich in dieser Schlüsseltechnologie der Phänotypisierung eine weltweit führende Position aufgebaut: In den Laboren und Gewächshäusern des IBG-2 werden dafür bildgebende Verfahren wie CT oder Kernspin angewandt und auf den Feldern kommen Robotik, Drohnen sowie satellitengestützte Sensoren zum Einsatz. Diese Messungen erfolgen – wo immer möglich – im Hochdurchsatz-Verfahren, ohne die Pflanzen während der Messung zu beeinflussen. So erschließen sich Details über die Struktur von Sprossen und Wurzeln, den Wassergehalt, den Zeitpunkt der Kornfüllung oder die Intensität der Fotosynthese. „Die Pflanzenphänotypisierung profitiert von den raschen Fortschritten der Digitalisierung“, sagt Prof. Dr. Ulrich Schurr, Institutsleiter für Pflanzenwissenschaften am Forschungszentrum. „So liefert sie immer präzisere quantitative Daten über die dynamischen Antworten von Pflanzen auf ihr Umfeld.“ Erst die Kenntnis dieser Antworten erlaubt es, die natürliche Biodiversität optimal zu nutzen, um zum Beispiel Getreide mit höherer Ertragskraft und stärkerer Widerstandsfähigkeit gegen Wassermangel zu züchten. Das ist heute dringender denn je, weil wegen der wachsenden Weltbevölkerung die Erträge der wichtigsten Nutzpflanzen bis 2050 verdoppelt werden müssen, damit es dann genügend Nahrung für alle Menschen gibt. Und das, obwohl der Klimawandel immer häufiger Hitze und ertragsmindernde Dürren mit sich bringt und verfügbares Land immer weniger wird.

Systemische Konzepte überwinden disziplinäre Berührungsängste Bioökonomische Lösungen brauchen eine Vielzahl von Disziplinen. Neben den Pflanzen- und Agrarwissenschaften sind Biotechnologie, Chemie, Verfahrenstechnik sowie Sozial- und Wirtschaftswissenschaften aktiv – alles Fachgebiete, die im Rheinischen Revier hervorragend vertreten sind. Um integrierte Konzepte für die Bioökonomie zu erarbeiten, gründeten das Forschungszentrum Jülich, die RWTH Aachen sowie die Universitäten Düsseldorf und Bonn schon 2010 das Bioeconomy Science Center (BioSC). Dieses Kompetenzzentrum für systemische Bioökonomie wird langfristig vom Land Nordrhein-Westfalen gefördert. „In einem sehr dynamischen Wissenschaftsfeld haben wir früh Gebiete zusammengeführt, die sonst wenig Berührungspunkte haben, aber alle essenziell für eine nachhaltige Bioökonomie sind“, sagt Dr. Heike Slusarczyk, Leiterin der Geschäftsstelle des BioSC. Zu Beginn seiner zweiten Dekade gehören dem BioSC, dessen Arbeit auch international ausstrahlt, 68 Institute an, die sich in Forschung und Ausbildung auf vier Felder fokussieren:

  • Smartes Management der Pflanzenproduktion
  • Biotransformationen zur Herstellung von Wertstoffen
  • Integrierte Bioraffinerien
  • Sozioökonomische Strategien und Konzepte biobasierter Transformation

Neue Wertschöpfungsketten im Strukturwandel

Der beschlossene Ausstieg aus der Braunkohlewirtschaft erweitert die Arbeiten nun um eine neue Facette: die praktische Erprobung bioökonomischer Ansätze unter den Bedingungen eines weiträumigen Reallabors. Denn in der Strukturwandelinitiative BioökonomieREVIER Rheinland koordiniert das IBG-2 seit 2019 den Aufbau der bundesweit ersten Modellregion für nachhaltige Bioökonomie. Neue bioökonomische Wertschöpfung – gemeinsam entwickelt von Partnern aus Unternehmen, Kommunen, Landwirtschaft, Bildung und Wissenschaft – soll ein wichtiger Innovationsmotor mit hoher Wirtschaftskraft in der Region werden. Wie das gelingen kann, wird derzeit in 15 Innovationslaboren demonstriert, Keimzellen für den Transfer von der Wissenschaft in die Wirtschaft. „Marginal Field Labs“ heißt eines dieser Labore, in dem der nutzbringende Anbau nicht essbarer Pflanzen auf kargen Böden erprobt wird. Die Färberdistel ist eine solche Pflanze. Sie begnügt sich mit den sandigen Terrassen an den Rändern der ausgekohlten Tagebaue des Reviers, um dort safran- gelb aufzublühen. Großflächig soll deshalb dort aus ihr schon bald Öl gewonnen werden, aus dem die chemische Industrie Schmierstoffe oder Kosmetika produzieren kann, für die sie bislang erdölbasierte Substanzen oder Palmöl braucht. Den Machbarkeitsnachweis dafür hat ein mittelständisches Unternehmen aus der Region bereits erbracht. Nun kommt es darauf an, den Ölgehalt der Distelsamen so weit zu erhöhen, dass das Verfahren wirtschaftlich wird – eine spannende Aufgabe für die Pflanzenphänotypisierung.

Aufbruch in die Zukunft

„Vielleicht gelingt es uns auch, die Distel für die Herstellung von Papier oder Textilien zu verwerten“, sagt Dr. Holger Klose, Leiter der Forschungsgruppe Alternative Biomasse am IBG-2, der ein zunehmendes Interesse der regionalen Landwirtschaft und Industrie am Innovationslabor „Marginal Field Labs“ feststellt. „Auf diese Art entstehen neue, wertschöpfende Partnerschaften für die Zeit nach der Braunkohle“, erläutert Dr. Christian Klar, der die Koordinierungsstelle BioökonomieREVIER leitet. Anknüpfungspunkte für solche Partnerschaften mit der hier traditionell starken Landwirtschaft bieten im Rheinischen Revier besonders die Branchen Chemie, Energie, Lebensmittel und Papier, aber auch Maschinenbau und Digitalisierung. Dass die Transformation in eine nachhaltige Zukunft koordiniert werden, aber gleichzeitig offen für neue Lösungen sein muss und sich im Zuge des Strukturwandels des Rheinischen Reviers modellhaft verwirklichen lässt, davon ist Ulrich Schurr überzeugt: „Die Menschen hier sind in Aufbruchsstimmung. Sie spüren, dass ihnen der Abschied von der Braunkohle die einzigartige Möglichkeit gibt, gemeinsam etwas völlig Neues zu wagen.“

Ein Beitrag des Instituts für Pflanzenwissenschaften des Forschungszentrums Jülich (IBG-2)

Kontakt

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Dr. Andreas Müller

Tel. (02461) 61-35 28
a.mueller@fz-juelich.de
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