Auf der Ölspur
ZEIT RedaktionUm Betriebe zu mehr Nachhaltigkeit zu zwingen, setzt die EU auf den Finanzsektor. Was gut gemeint ist, bereitet Mittelständlern wie dem Ölhändler Menke Ärger. Sie kommen immer schwerer an Geld, selbst wenn sie grün werden wollen.
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 2/2023.“ Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.
In fünf Aktenordnern hat Michael Menke all den Ärger der vergangenen anderthalb Jahre abgeheftet. Der Familienunternehmer aus Rheinland-Pfalz ist genervt, wenn er über sein geplantes neues Verwaltungsgebäude spricht. Gleich zweimal drohte die Finanzierung zu scheitern: einmal, weil eine Bank überraschend absprang, und einmal, weil die Regierung im weit entfernten Berlin beschloss, die Förderung für energieeffiziente Neubauten einzustellen. Menke sagt: „Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, wie man mit mir umgegangen ist.“
Der 57-Jährige handelt mit Öl, zuletzt erwirtschaftete seine Firma, die Erich Menke GmbH, mit Heizöl, Kraftstoffen und Schmierstoffen nach eigenen Angaben gut 100 Millionen Euro Jahresumsatz. Das Unternehmen sitzt in Hettenleidelheim, einem Ort an der A 6 zwischen Mannheim und Kaiserslautern, bis zur deutschen Weinstraße ist es nicht weit. Wenn Menkes Gebäude irgendwann gebaut sein wird, kann er von dort auf bewaldete Hügel blicken. Ins Grüne also.
Der Weg ins Grüne im ökonomischen Sinne ist für ihn aber voller Hürden. Grund: Die Europäische Kommission tut einiges, um die Wirtschaft zur Einhaltung der Klimaziele zu motivieren. Wer nicht wegkommt von fossilen Energien etwa, soll fürs Erste nur noch schwer Geld erhalten und bald womöglich gar nicht mehr.
Menke, das blau-weiß karierte Hemd in die grüne Hose gesteckt, sagt: „Wohin genau ich mich transformieren werde, weiß ich zwar nicht, weil mir die politischen Rahmenbedingungen in keiner Weise signalisieren, was ich in 15 Jahren verkaufen kann.“
Michael Menke will den Wandel nutzen und umrüsten
Grundsätzlich hat der Unternehmer den Kurswechsel akzeptiert: Er will langfristig wegkommen vom Öl, das er ausliefert. Mehr noch: Er will den Wandel nutzen und umrüsten. Das Verwaltungsgebäude sei der erste Schritt, sagt Menke. In dem Gebäude will er Platz für Start-ups schaffen, gerne aus dem Bereich erneuerbare Energien. Dazu will er einen Schulungsraum einrichten, den andere Unternehmen mieten können. E-Fuels könnten ein Teil seiner Zukunft sein, vielleicht auch Wasserstoff. Und er erwägt, andere Firmen beim Brandschutz zu beraten, damit kennen sich seine Leute aus.
Menke bringt Ideen mit und den Willen, sich zu verändern. Das müsste eigentlich den vielen Finanzierern gefallen, die die Transformation wollen. Nur: So einfach ist das nicht.
Gut 6,5 Millionen Euro soll das zweistöckige Bauwerk kosten. Um das zu finanzieren, wandte Menke sich an den Firmenkundenbetreuer der Sparkasse Donnersberg, mit dem er seit Jahren zusammenarbeitet. „Immer gut“, wie Menke sagt. Und so war zumindest die Sparkasse angetan von dem Vorhaben. Aber es brauchte eine weitere Bank, mit der sich das Geldhaus das Risiko teilen konnte. So etwas ist nicht ungewöhnlich. Doch damit begannen die Probleme.
Der Berater von der Sparkasse fragte bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) an, es war nur ein erstes Vorfühlen, weil man häufig zusammenarbeitet. Und kassierte nach etwas Hin und Her eine Absage: Man finanziere generell keine Neukunden mehr aus dem Bereich fossile Energien, habe es geheißen, erinnert sich Menke; die LBBW will das auf Nachfrage weder bestätigen noch dementieren. „Einzelne Geschäftsmodelle, wie insbesondere die Förderung von fossilen Brennstoffen, sind aus unserer Sicht nicht transformierbar“, teilt die Landesbank bloß ganz allgemein mit. Denn CO2-Emissionen könnten nur konsequent reduziert werden, wenn fossile Brennstoffe ersetzt werden. Daher habe die Landesbank Neugeschäfte mit Unternehmen stark eingeschränkt, die Öl und Gas fördern. Menkes Sparkassenberater musste sich erneut auf die Suche begeben.
Welche Bank hat richtig gehandelt? Die Sparkasse oder die Landesbank? Ist die Transformation eines mittelständischen Ölhändlers möglich? Können Geldinstitute das überhaupt einschätzen? Oder sollte ein solches Unternehmen besser kein Geld mehr für langfristige Projekte bekommen?
Diese Fragen führen zurück zu einem Dezembertag im Jahr 2019. Kurz vor Weihnachten rief EU-Kommissionspräsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel den „Green Deal“ aus. Europa soll der erste klimaneutrale Kontinent bis 2050 werden, so der Plan. Allein um die Zwischenziele bis 2030 zu erreichen, sind nach der ersten Schätzung der Kommission jährlich 260 Milliarden Euro nötig. Der private Finanzsektor soll dabei eine wichtige Rolle spielen.
Seitdem hat die EU-Kommission etliche Gesetze initiiert, damit Finanzsektor und die Realwirtschaft grün werden. Es gibt eine Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung und eine Taxonomie. Sie gibt vor, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten als nachhaltig anzusehen sind – der Handel mit Öl gehört nicht dazu. Und es gibt die Offenlegungsverordnung, die Klarheit darüber schaffen soll, wie nachhaltig einzelne Finanzprodukte sind. Hinzu kommt bald das europäische Lieferkettengesetz, das strenger werden wird als das deutsche Pendant.
Ein Verbot, sein Geld in fossile Unternehmen zu stecken, gibt es zwar nicht. Aber die meisten EU-Gesetze zielen darauf ab, sichtbar zu machen, was nachhaltig ist und was nicht – und was finanziert wird. Und damit steigt der Druck. Wohl keine Bank will als das Institut wahrgenommen werden, das die schmutzigen Firmen fördert.
Die Regulierung ist manchmal widersprüchlich – und oft umstritten
Als die EU-Kommission auf die Finanzbranche setzte, habe zuerst „viel Euphorie“ bei den Finanzunternehmen geherrscht, sagt Christian Klein. An der Uni Kassel ist er Professor für Sustainable Finance, also für nachhaltiges Finanzwesen. Auf Nachhaltigkeit ausgerichtete Finanzprodukte wie grüne Anleihen und Fonds wurden beliebter.
Heute wird über einige geplante Regulierungen noch heftig gestritten, andere werden teilweise schon angewandt und widersprechen sich in einigen Punkten. Die EU-Taxonomie zum Beispiel ist bisher nur für Fragen zum Klimawandel anwendbar. Eigentlich soll sie auch besagen, was im Sinne einer Kreislaufwirtschaft oder Artenvielfalt nachhaltig wäre. Doch dazu liegen lediglich Entwürfe vor. Auch ist unklar, wie sich die Offenlegungsverordnung und die EU-Taxonomie zueinander verhalten. Ist ein Fonds im Sinne der Offenlegungsverordnung nur nachhaltig, wenn er zu 100 Prozent in Unternehmen investiert, die die Taxonomie als nachhaltig ansieht? Oder reichen auch 80 Prozent aus, vielleicht gehen auch 40 Prozent? Und was ist eigentlich, wenn ein Fondsmanager braune Unternehmen, die auf fossile Treibstoffe setzen, transformieren möchte? Eine hohe Taxonomiequote kann er dann gar nicht haben, ist er dann nachhaltig?
Über all diese Fragen wird diskutiert, obwohl Unternehmen wie Finanzinstitute die Regeln schon anwenden müssen. „Das geht ein Stück weit auch gar nicht anders, weil der EU nicht mehr viel Zeit bleibt im Kampf gegen den Klimawandel“, sagt Klein. Erst alles perfekt durchzuregulieren und dann loszulegen würde zu lange dauern.
Doch die Firmen und die Finanzbranche verunsichert das. „Die Anfangseuphorie ist auf jeden Fall weg“, sagt der Forscher. Nachdem der Finanzbranche zuletzt häufiger Greenwashing vorgeworfen wurde – also das Bewerben von Finanzprodukten als grün, die es gar nicht sind – wächst die Erkenntnis, dass die Finanzierung der Transformation schwierig wird. „Es wird vor allem auch etwas kosten“, sagt Klein. Will eine Bank einen Kredit vergeben oder ein Fonds in eine Firma investieren, wird eine Rendite erwartet. „Diese Rendite kann kleiner ausfallen als bei herkömmlichen Produkten, das nimmt vielen gerade die Motivation.“
Der Trend zur Nachhaltigkeit im Finanzsektor führte zu immer mehr Ausschlusskriterien, die Banken sich für Kredite auferlegen. Viele schließen Unternehmen aus, die auf Kohle setzen. Auch wer im Öl- und Gasgeschäft ist, hat es schwerer, an eine Finanzierung zu kommen. Je strenger die Ausschlusskriterien, desto fortgeschrittener und nachhaltiger ist die Bank, so die Ansicht mancher. Harte Ausschlusskriterien also könnten den Wandel abwürgen, der dringend notwendig ist. Was ist, wenn eine Firma einen guten Plan hat, aber kein Geld für die Umsetzung bekommt?
Der Ölhändler Michael Menke will an seinem Plan festhalten
Obwohl Michael Menkes Sparkassenberater inzwischen mit der Bürgschaftsbank Rheinland-Pfalz eine andere Bank zur Risikoteilung gefunden hat, ist der Ölhändler sauer: auf die LBBW, auf die er gezählt hatte, und auf die Energiepolitik der Bundesregierung – und auf die der gesamten EU.
Statt in seinem neuen Gebäude, sitzt er in seinem Büro aus den Siebzigerjahren, ein brauner Holzschrank streckt sich über die eine Wand bis zur Tür, die Wände sind nur einfach verputzt und vor Jahren mal weiß gewesen, ein senkrechter Holzbalken durchschneidet den Raum. Blickt Menke aus dem Fenster, schaut er nicht auf grüne Hügel, sondern auf eine alte Abfüllanlage. „Wir machen mal wieder den zweiten Schritt vor dem ersten. Wir wollen aus ganz vielen Energieträgern raus, ohne einen konkreten Plan zu haben, wie wir das auffangen können“, beschwert er sich. Es sind Sätze, die derzeit häufig fallen, von Wirtschaftsvertretern, von Politikern und von Bankern.
Menke hält an seinem Plan fest: Auf vier Seiten hat er für die Sparkasse dargelegt, wie seine Perspektive sein könnte. Für die nächsten zehn Jahre sieht er keine Probleme auf sein Geschäft zukommen. Sein Öl werde gebraucht, für die Weinhändler der Umgebung, die Landwirtschaft, für gut 6500 Kunden in der Region. Auch der Kreis Bad Dürkheim setzt auf den Händler. „Die Firma Menke hat für den Fall eines Blackouts bei uns in der Region eine große Bedeutung“, sagt Landrat Hans-Ulrich Ihlenfeld (CDU). Sie sei für den Notfall fest eingeplant als Treibstofflieferant – und als ein Betrieb, bei dem man auch bei Stromausfall an der Zapfsäule noch Benzin bekommen könnte.
Erst für die Zeit danach wird es spannend, und darauf will Menke sich vorbereiten. „Ich benötige dieses neue Bürogebäude einfach“, sagt er. Zumal das alte aus allen Nähten platzt. Es gibt nicht einmal einen Konferenzraum. Wenn alle etwa 30 Mitarbeiter zusammenkommen, trifft man sich in Menkes Büro, einer umgebauten Lkw-Garage. Dafür steht ein Holztisch mitten im Raum.
Es sind alles Gründe, die die Sparkasse Donnersberg überzeugten. Offiziell will sie sich nicht zu dem Fall äußern, auch dieses Geldhaus spricht nicht über einzelne Kundenbeziehungen. Nur so viel: Man wolle Kunden „auf dem Weg zu einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes weiterhin kompetent begleiten“. Es ist ein Satz, den sich wohl jede Bank auf die Fahnen schreibt. So sieht es auch der Sparkassenverband. Dabei stünden sie nicht nur an der Seite der Unternehmen, die bereits „grün“ sind, teilt eine Verbandssprecherin mit. „Sparkassen wollen sich auch dort engagieren, wo die ökologische Transformation erst noch gelingen muss.“
Auch die LBBW tut das. Eigentlich. „Das Erreichen von Netto-Null-Emissionen ist eine der entscheidenden Herausforderungen unserer Zeit“, sagt Jürgen Harengel, der den Bereich Unternehmenskunden verantwortet. „Als starke, regional verwurzelte Universalbank versteht es die LBBW als ihre Pflicht, genau diese Rolle einzunehmen und die Transformation von Unternehmen, Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Klimaneutralität aktiv zu gestalten.“
Nur halt nicht im Falle eines mittelständischen Ölhändlers.
Natürlich lässt sich argumentieren, dass die LBBW richtig gehandelt hat und die Sparkasse nicht. Ob Menke die Transformation gelingen kann, weiß er ja selbst nicht genau. Das Risiko, ihm langfristige Kredite zu geben, nimmt zu. Außerdem ist es politisch gewollt, aus dem Öl auszusteigen.
Timo Busch, Professor für BWL an der Uni Hamburg, hält es für richtig, dass die Sparkasse Donnersberg Menke Geld leihen will. Er fordert, dass die Banken den Dialog mit den Firmen verstärken. „Die klassische Sicht ist doch, dass alle braunen Unternehmen böse sind und sie kein Geld mehr bekommen sollten“, sagt Busch, der wie Christian Klein Mitglied der Wissenschaftsplattform für Sustainable Finance ist. Das sei zwar nachvollziehbar, weil sich so kein Finanzierer die Hände schmutzig mache, aber es sei dann schwerer, die Transformation zu finanzieren. „Für einen mittelständischen Ölhändler wird die Umstellung natürlich schwierig“, sagt er, „wenn der aber genau darlegen kann, wie er sich wandeln möchte, wäre es auch sinnvoll, ihn zu finanzieren.“
In Menkes Betrieb arbeiten auch die vier Söhne mit. Menke hat dem Ältesten schon geraten, über den Wechsel nachzudenken. Weil es riskant sein könnte, wenn sie alle in einem Unternehmen mit einem bald veralteten Geschäftsmodell arbeiten. Doch der Sohn habe nicht gewollt, das macht Menke ein bisschen stolz. Weil es zeigt, wie sehr die Familie an den Wandel glaubt.