ZEIT für X
Öl ist schädlich für das Klima

Auf der Ölspur

30. Juni 2023
ZEIT Redaktion

Um Betriebe zu mehr Nachhaltigkeit zu zwingen, setzt die EU auf den Finanzsektor. Was gut gemeint ist, bereitet Mittel­ständlern wie dem Ölhändler Menke Ärger. Sie kommen immer schwerer an Geld, selbst wenn sie grün werden wollen.

von Jan Schulte

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 2/2023.“ Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.

In fünf Aktenordnern hat Michael Menke all den Ärger der vergangenen anderthalb Jahre abgeheftet. Der Familien­unternehmer aus Rheinland-Pfalz ist genervt, wenn er über sein geplantes neues Verwaltungs­gebäude spricht. Gleich zweimal drohte die Finanzierung zu scheitern: einmal, weil eine Bank überraschend absprang, und einmal, weil die Regierung im weit entfernten Berlin beschloss, die Förderung für energie­effiziente Neubauten ein­zu­stellen. Menke sagt: „Ich habe überhaupt kein Verständnis dafür, wie man mit mir umgegangen ist.“

Der 57-Jährige handelt mit Öl, zuletzt erwirtschaftete seine Firma, die Erich Menke GmbH, mit Heizöl, Kraft­stoffen und Schmier­stoffen nach eigenen Angaben gut 100 Millionen Euro Jahres­umsatz. Das Unternehmen sitzt in Hettenleidelheim, einem Ort an der A 6 zwischen Mannheim und Kaisers­lautern, bis zur deutschen Wein­straße ist es nicht weit. Wenn Menkes Gebäude irgendwann gebaut sein wird, kann er von dort auf bewaldete Hügel blicken. Ins Grüne also.

Der Weg ins Grüne im ökonomischen Sinne ist für ihn aber voller Hürden. Grund: Die Europäische Kommission tut einiges, um die Wirtschaft zur Einhaltung der Klimaziele zu motivieren. Wer nicht wegkommt von fossilen Energien etwa, soll fürs Erste nur noch schwer Geld erhalten und bald womöglich gar nicht mehr.

Menke, das blau-weiß karierte Hemd in die grüne Hose gesteckt, sagt: „Wohin genau ich mich transformieren werde, weiß ich zwar nicht, weil mir die politischen Rahmenbedingungen in keiner Weise signalisieren, was ich in 15 Jahren verkaufen kann.“

Michael Menke will den Wandel nutzen und umrüsten

Grundsätzlich hat der Unternehmer den Kurs­wechsel akzeptiert: Er will lang­fristig wegkommen vom Öl, das er ausliefert. Mehr noch: Er will den Wandel nutzen und umrüsten. Das Verwaltungsgebäude sei der erste Schritt, sagt Menke. In dem Gebäude will er Platz für Start-ups schaffen, gerne aus dem Bereich erneuerbare Energien. Dazu will er einen Schulungs­raum einrichten, den andere Unternehmen mieten können. E-Fuels könnten ein Teil seiner Zukunft sein, vielleicht auch Wasser­stoff. Und er erwägt, andere Firmen beim Brandschutz zu beraten, damit kennen sich seine Leute aus.

Menke bringt Ideen mit und den Willen, sich zu verändern. Das müsste eigentlich den vielen Finanzierern gefallen, die die Transformation wollen. Nur: So einfach ist das nicht.

Gut 6,5 Millionen Euro soll das zweistöckige Bauwerk kosten. Um das zu finanzieren, wandte Menke sich an den Firmen­kunden­betreuer der Sparkasse Donnersberg, mit dem er seit Jahren zusammen­arbeitet. „Immer gut“, wie Menke sagt. Und so war zumindest die Sparkasse angetan von dem Vorhaben. Aber es brauchte eine weitere Bank, mit der sich das Geldhaus das Risiko teilen konnte. So etwas ist nicht ungewöhnlich. Doch damit begannen die Probleme.

Der Berater von der Sparkasse fragte bei der Landesbank Baden-Württemberg (LBBW) an, es war nur ein erstes Vorfühlen, weil man häufig zusammen­arbeitet. Und kassierte nach etwas Hin und Her eine Absage: Man finanziere generell keine Neukunden mehr aus dem Bereich fossile Energien, habe es geheißen, erinnert sich Menke; die LBBW will das auf Nachfrage weder bestätigen noch dementieren. „Einzelne Geschäfts­modelle, wie insbesondere die Förderung von fossilen Brenn­stoffen, sind aus unserer Sicht nicht transformierbar“, teilt die Landesbank bloß ganz allgemein mit. Denn CO2-Emissionen könnten nur konsequent reduziert werden, wenn fossile Brenn­stoffe ersetzt werden. Daher habe die Landesbank Neugeschäfte mit Unternehmen stark eingeschränkt, die Öl und Gas fördern. Menkes Sparkassen­berater musste sich erneut auf die Suche begeben.

Welche Bank hat richtig gehandelt? Die Sparkasse oder die Landesbank? Ist die Transformation eines mittel­ständischen Ölhändlers möglich? Können Geld­institute das überhaupt einschätzen? Oder sollte ein solches Unternehmen besser kein Geld mehr für lang­fristige Projekte bekommen?

Diese Fragen führen zurück zu einem Dezember­tag im Jahr 2019. Kurz vor Weihnachten rief EU-Kommissions­präsidentin Ursula von der Leyen in Brüssel den „Green Deal“ aus. Europa soll der erste klima­neutrale Kontinent bis 2050 werden, so der Plan. Allein um die Zwischen­ziele bis 2030 zu erreichen, sind nach der ersten Schätzung der Kommission jährlich 260 Milliarden Euro nötig. Der private Finanz­sektor soll dabei eine wichtige Rolle spielen.

Seitdem hat die EU-Kommission etliche Gesetze initiiert, damit Finanz­sektor und die Real­wirtschaft grün werden. Es gibt eine Richt­linie zur Nachhaltig­keits­bericht­erstattung und eine Taxonomie. Sie gibt vor, welche wirtschaftlichen Tätigkeiten als nachhaltig anzusehen sind – der Handel mit Öl gehört nicht dazu. Und es gibt die Offen­legungs­verordnung, die Klarheit darüber schaffen soll, wie nachhaltig einzelne Finanz­produkte sind. Hinzu kommt bald das europäische Liefer­ketten­gesetz, das strenger werden wird als das deutsche Pendant.

© Grafik: Pia Bublies

Ein Verbot, sein Geld in fossile Unternehmen zu stecken, gibt es zwar nicht. Aber die meisten EU-Gesetze zielen darauf ab, sichtbar zu machen, was nachhaltig ist und was nicht – und was finanziert wird. Und damit steigt der Druck. Wohl keine Bank will als das Institut wahrgenommen werden, das die schmutzigen Firmen fördert.

Die Regulierung ist manchmal wider­sprüchlich – und oft umstritten

Als die EU-Kommission auf die Finanzbranche setzte, habe zuerst „viel Euphorie“ bei den Finanz­unternehmen geherrscht, sagt Christian Klein. An der Uni Kassel ist er Professor für Sustainable Finance, also für nachhaltiges Finanzwesen. Auf Nach­haltigkeit aus­gerichtete Finanz­produkte wie grüne Anleihen und Fonds wurden beliebter.

Heute wird über einige geplante Regulierungen noch heftig gestritten, andere werden teilweise schon angewandt und widersprechen sich in einigen Punkten. Die EU-Taxonomie zum Beispiel ist bisher nur für Fragen zum Klima­wandel anwendbar. Eigentlich soll sie auch besagen, was im Sinne einer Kreis­lauf­wirtschaft oder Arten­vielfalt nachhaltig wäre. Doch dazu liegen lediglich Entwürfe vor. Auch ist unklar, wie sich die Offen­legungs­verordnung und die EU-Taxonomie zueinander verhalten. Ist ein Fonds im Sinne der Offen­legungs­verordnung nur nachhaltig, wenn er zu 100 Prozent in Unternehmen investiert, die die Taxonomie als nach­haltig ansieht? Oder reichen auch 80 Prozent aus, vielleicht gehen auch 40 Prozent? Und was ist eigentlich, wenn ein Fonds­manager braune Unternehmen, die auf fossile Treib­stoffe setzen, transformieren möchte? Eine hohe Taxonomie­quote kann er dann gar nicht haben, ist er dann nach­haltig?

Über all diese Fragen wird diskutiert, obwohl Unternehmen wie Finanz­institute die Regeln schon anwenden müssen. „Das geht ein Stück weit auch gar nicht anders, weil der EU nicht mehr viel Zeit bleibt im Kampf gegen den Klima­wandel“, sagt Klein. Erst alles perfekt durch­zu­regulieren und dann loszulegen würde zu lange dauern.

Doch die Firmen und die Finanzbranche verunsichert das. „Die Anfangs­euphorie ist auf jeden Fall weg“, sagt der Forscher. Nachdem der Finanz­branche zuletzt häufiger Greenwashing vorgeworfen wurde – also das Bewerben von Finanz­produkten als grün, die es gar nicht sind – wächst die Erkenntnis, dass die Finanzierung der Transformation schwierig wird. „Es wird vor allem auch etwas kosten“, sagt Klein. Will eine Bank einen Kredit vergeben oder ein Fonds in eine Firma investieren, wird eine Rendite erwartet. „Diese Rendite kann kleiner ausfallen als bei herkömmlichen Produkten, das nimmt vielen gerade die Motivation.“

Der Trend zur Nachhaltigkeit im Finanzsektor führte zu immer mehr Ausschluss­kriterien, die Banken sich für Kredite auferlegen. Viele schließen Unternehmen aus, die auf Kohle setzen. Auch wer im Öl- und Gasgeschäft ist, hat es schwerer, an eine Finanzierung zu kommen. Je strenger die Ausschluss­kriterien, desto fort­geschrittener und nach­haltiger ist die Bank, so die Ansicht mancher. Harte Ausschluss­kriterien also könnten den Wandel abwürgen, der dringend notwendig ist. Was ist, wenn eine Firma einen guten Plan hat, aber kein Geld für die Umsetzung bekommt?

Der Ölhändler Michael Menke will an seinem Plan festhalten

Obwohl Michael Menkes Sparkassenberater inzwischen mit der Bürgschaftsbank Rheinland-Pfalz eine andere Bank zur Risiko­teilung gefunden hat, ist der Ölhändler sauer: auf die LBBW, auf die er gezählt hatte, und auf die Energie­politik der Bundes­regierung – und auf die der gesamten EU.

Statt in seinem neuen Gebäude, sitzt er in seinem Büro aus den Siebziger­jahren, ein brauner Holzschrank streckt sich über die eine Wand bis zur Tür, die Wände sind nur einfach verputzt und vor Jahren mal weiß gewesen, ein senkrechter Holzbalken durch­schneidet den Raum. Blickt Menke aus dem Fenster, schaut er nicht auf grüne Hügel, sondern auf eine alte Abfüll­anlage. „Wir machen mal wieder den zweiten Schritt vor dem ersten. Wir wollen aus ganz vielen Energie­trägern raus, ohne einen konkreten Plan zu haben, wie wir das auffangen können“, beschwert er sich. Es sind Sätze, die derzeit häufig fallen, von Wirtschafts­vertretern, von Politikern und von Bankern.

Menke hält an seinem Plan fest: Auf vier Seiten hat er für die Sparkasse dargelegt, wie seine Perspektive sein könnte. Für die nächsten zehn Jahre sieht er keine Probleme auf sein Geschäft zukommen. Sein Öl werde gebraucht, für die Weinhändler der Umgebung, die Land­wirtschaft, für gut 6500 Kunden in der Region. Auch der Kreis Bad Dürkheim setzt auf den Händler. „Die Firma Menke hat für den Fall eines Blackouts bei uns in der Region eine große Bedeutung“, sagt Landrat Hans-Ulrich Ihlenfeld (CDU). Sie sei für den Notfall fest eingeplant als Treib­stoff­lieferant – und als ein Betrieb, bei dem man auch bei Stromausfall an der Zapf­säule noch Benzin bekommen könnte.

Erst für die Zeit danach wird es spannend, und darauf will Menke sich vorbereiten. „Ich benötige dieses neue Büro­gebäude einfach“, sagt er. Zumal das alte aus allen Nähten platzt. Es gibt nicht einmal einen Konferenzraum. Wenn alle etwa 30 Mitarbeiter zusammen­kommen, trifft man sich in Menkes Büro, einer umgebauten Lkw-Garage. Dafür steht ein Holz­tisch mitten im Raum.

So verändern Banken ihre Risikostrategie, um nachhaltiger zu wirtschaften
© Grafik: Pia Bublies

Es sind alles Gründe, die die Sparkasse Donnersberg überzeugten. Offiziell will sie sich nicht zu dem Fall äußern, auch dieses Geldhaus spricht nicht über einzelne Kunden­beziehungen. Nur so viel: Man wolle Kunden „auf dem Weg zu einer Reduzierung des CO2-Ausstoßes weiterhin kompetent begleiten“. Es ist ein Satz, den sich wohl jede Bank auf die Fahnen schreibt. So sieht es auch der Sparkassen­verband. Dabei stünden sie nicht nur an der Seite der Unternehmen, die bereits „grün“ sind, teilt eine Verbands­sprecherin mit. „Sparkassen wollen sich auch dort engagieren, wo die ökologische Transformation erst noch gelingen muss.“

Auch die LBBW tut das. Eigentlich. „Das Erreichen von Netto-Null-Emissionen ist eine der entscheidenden Heraus­forderungen unserer Zeit“, sagt Jürgen Harengel, der den Bereich Unternehmens­kunden verantwortet. „Als starke, regional verwurzelte Universal­bank versteht es die LBBW als ihre Pflicht, genau diese Rolle einzunehmen und die Transformation von Unternehmen, Wirtschaft und Gesellschaft in Richtung Klimaneutralität aktiv zu gestalten.“

Nur halt nicht im Falle eines mittel­ständischen Ölhändlers.

Natürlich lässt sich argumentieren, dass die LBBW richtig gehandelt hat und die Sparkasse nicht. Ob Menke die Transformation gelingen kann, weiß er ja selbst nicht genau. Das Risiko, ihm lang­fristige Kredite zu geben, nimmt zu. Außerdem ist es politisch gewollt, aus dem Öl auszusteigen.

Timo Busch, Professor für BWL an der Uni Hamburg, hält es für richtig, dass die Sparkasse Donnersberg Menke Geld leihen will. Er fordert, dass die Banken den Dialog mit den Firmen verstärken. „Die klassische Sicht ist doch, dass alle braunen Unternehmen böse sind und sie kein Geld mehr bekommen sollten“, sagt Busch, der wie Christian Klein Mitglied der Wissenschafts­plattform für Sustainable Finance ist. Das sei zwar nach­voll­zieh­bar, weil sich so kein Finanzierer die Hände schmutzig mache, aber es sei dann schwerer, die Transformation zu finanzieren. „Für einen mittel­ständischen Ölhändler wird die Umstellung natürlich schwierig“, sagt er, „wenn der aber genau darlegen kann, wie er sich wandeln möchte, wäre es auch sinnvoll, ihn zu finanzieren.“

In Menkes Betrieb arbeiten auch die vier Söhne mit. Menke hat dem Ältesten schon geraten, über den Wechsel nach­zu­denken. Weil es riskant sein könnte, wenn sie alle in einem Unternehmen mit einem bald veralteten Geschäftsmodell arbeiten. Doch der Sohn habe nicht gewollt, das macht Menke ein bisschen stolz. Weil es zeigt, wie sehr die Familie an den Wandel glaubt.