Flickenteppich oder bunte Vielfalt?
Deutschland gilt als exzellenter Forschungsstandort. Doch über welche Wege finden Erfinderinnen und Erfinder, Forschende und Anwender eigentlich zueinander?
Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Transfer und Innovation“.
Die deutsche Wissenschaft ist rege: Mehr als 58.000 Patente wurden im Coronajahr 2021 angemeldet. Auch wenn die Innovationskraft eines Landes nicht nur allein durch die Patentanmeldungen abgebildet werden kann, gilt sie doch als Treiber von Fortschritt und wirtschaftlicher Entwicklung. International stehen deutsche Forschende und Entwicklerinnen und Entwickler damit ausnehmend gut da: In Europa immerhin an erster Stelle, und auch weltweit schaffen sie es auf den zweiten Platz, nach den USA und vor Japan. 14 Prozent aller weltweiten Patente werden in Deutschland angemeldet! Dazu kommen vielfältige Erkenntnisse aus der Grundlagenforschung, den Gesellschaftswissenschaften und anderen Bereichen, die sich statistisch vielleicht nicht ganz so knackig darstellen lassen, aber dennoch für den Fortschritt stehen. Gesellschaftlich und wirtschaftlich relevant werden all diese Errungenschaften allerdings erst, wenn sie auch umgesetzt werden. Doch wie geschieht der Wissenstransfer?
Viele Wege führen von der Forschung und den Hochschulen in die Wirtschaft und letztlich in den Alltag
Ein Instrument für einen erfolgreichen Technologietransfer sind beispielsweise Ausgründungen, also Unternehmensgründungen von Forschenden und Studierenden, die ihre im Studium errungenen Ergebnisse in einem Unternehmen umsetzen. Zahlreiche Technologie- und Gründungszentren, Innovation Hubs und Start-up-Camps unterstützen sie bei dieser nicht immer einfachen Aufgabe, denn neben den wirtschaftlichen Herausforderungen gilt es auch allerhand rechtliche Fragen zu klären. Speziell auf diese Gruppe zurechtgeschnittene Förderprogramme helfen, das erforderliche Startkapital zu bekommen. An vielen Hochschulen und Universitäten geben zudem Ausgründungsberaterinnen und -berater Hilfestellung.
Es ist wichtig, die Unternehmen frühzeitig einzubinden, denn sie sind schließlich die Ideengeber, Entwickler und Anwender dieser Innovation.
Christian Gollnick, Referatsleiter Innovationspolitik des Deutschen Industrie- und Handelskammertages e. V. (DIHK)
Ein weiterer, noch weitaus wichtigerer Faktor sind Kooperationen im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungsaufträgen. Dies kann in Form von gemeinsamen Projekten von Hochschulen, Universitäten und Unternehmen geschehen, über Lizenzvergaben oder Auftragsforschungen, wenn etwa Unternehmen wissenschaftliche Einrichtungen direkt mit einem Forschungsvorhaben beauftragen. In allen Fällen müssen Wissenschaft und Unternehmen allerdings erst einmal zusammenfinden. Mittler wie Verbände oder die Industrie- und Handelskammern versuchen die richtigen Partner zusammenzubringen. Gleichzeitig haben viele Universitäten und Hochschulen eine eigene Abteilung für Wissenstransfer. Ein weiterer Ansatz ist die Bildung sogenannter regionaler Cluster: Unternehmen und Forschungsinstitutionen eines Wirtschaftszweiges bilden regionale Innovationsökosysteme und fördern dadurch den Austausch und oft auch die Ansiedlung weiterer Player. „Eines der bekanntesten Cluster ist ,it’s OWL‘, Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe“, erklärt Christian Gollnick, Referatsleiter Innovationspolitik des Deutschen Industrie- und Handelskammertages e. V. (DIHK). „Es besteht aus über 200 Unternehmen, Forschungseinrichtungen, Hochschulen, Organisationen und der lokalen IHK. Die Mitglieder arbeiten eng zusammen und beraten sich regelmäßig, wie man den Transfer verbessern könnte.“
Alles in allem runden staatliche Förderprogramme diese Möglichkeiten ab: „Die Förderdatenbank des Bundes listet mehr als 2.400 Förderprogramme auf“, so Gollnick, „damit lassen sich beispielsweise risikobehaftete Vorhaben bezuschussen.“ Insgesamt zeigt diese vielfältige Landschaft an Kooperationswegen durchaus gute Erfolge. 2020 wurden in Deutschland insgesamt immerhin rund 106 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben, was rund 3,14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entspricht. Davon entfallen 15.589 Millionen Euro auf staatliche und private Institutionen ohne Erwerbszweck, 19.264 Millionen Euro auf die Hochschulen und 105.885 Millionen Euro auf die Wirtschaft. „Wenn wir uns diese Zahlen genauer ansehen, stellen wir allerdings fest, dass das steigende Forschungs- und Entwicklungsbudget der Wirtschaft vor allem auf Großunternehmen zurückgeht“, sagt Gollnick. „Bei kleinen und mittleren Unternehmen sehen wir, dass die Innovatorenquote seit Jahren stagniert.“
Mehr anwendungsorientierte Forschung gewünscht
Seit 1951 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Grundlagenforschung, meist geschieht dies an den Universitäten. Für den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Wirtschaft und Gesellschaft hinein gibt es bisher kein vergleichbares Organ. Mit DATI plant die Koalition nun eine Art Transfergemeinschaft als Pendant zur DFG.
Quellen: statista. wipo, epo, ihk-köln, destatis
Niederschwellige Angebote, weniger Bürokratie und vor allem neue, innovative Methoden des Wissenstransfers sind gefragt
Die Gründe dafür sind vielfältig, ein Faktor ist sicher aber auch der Wissenstransfer. „Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, kennen oft weder die Kooperations- und Fördermöglichkeiten noch die speziellen fachlichen Kompetenzen und Ansprechpartner an den Hochschulen“, erklärt Gollnick weiter. Für sie stellt sich die Fülle an Kooperations- und Fördermöglichkeiten oft als unübersichtlicher Flickenteppich dar. „Dabei sind gerade die KMUs auf die Zusammenarbeit mit Forschungsinstitutionen angewiesen, da sie nur selten über eigene Forschungsinfrastrukturen zur Weiterentwicklung ihrer Produkte und Verfahren verfügen“, sagt Gollnick und fordert: „Wir brauchen niederschwellige Angebote.“ Das Land Nordrhein-Westfalen hat beispielsweise für das bereits genannte Cluster Ostwestfalen-Lippe sogenannte Transfergutscheine aufgelegt. Das bedeutet ganz konkret, dass Expertinnen und Experten einer Hochschule oder einer Forschungseinrichtung gemeinsam mit dem Unternehmen Verbesserungsmöglichkeiten beim Unternehmen im Bereich der digitalen Transformation identifizieren und dann ein gemeinsames Projekt aufsetzen.
2020 wurden in Deutschland insgesamt immerhin rund 106 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben, was rund 3,14 Prozent des Bruttoinlandsproduktes entspricht.
Wie wichtig das Thema Innovation und Transfer ist, zeigt übrigens auch der Koalitionsvertrag vom November 2021: Ihm nach soll noch 2022 eine Deutsche Agentur für Technik und Innovation (DATI) gegründet werden, um soziale und technologische Innovationen insbesondere an den Hochschulen für angewandte Wissenschaften und kleinen und mittleren Universitäten zu fördern. Mit einem Budget von mittelfristig bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr soll DATI zudem mit erheblichen Mitteln ausgestattet werden. „Es wäre schön, wenn man DATI nutzen würde, um wirklich neue Wege zu gehen“, wünscht sich Gollnick. „Es ist wichtig, die Unternehmen frühzeitig einzubinden, denn sie sind schließlich die Ideengeber, Entwickler und Anwender dieser Innovation. Gleichzeitig sollte DATI akteursoffen sein, also nicht nur die Hochschulen für angewandte Wissenschaften und die kleinen und mittleren Universitäten einbinden, sondern alle Forschungseinrichtungen genauso wie regionale Cluster.“ DATI ist für ihn „zudem die Chance, wirklich Neues auszuprobieren, zum Beispiel in Form von Reallaboren, in denen zeitlich und räumlich begrenzt innovative Technologien unter realen Bedingungen erprobt werden. Oder über Challenges, in denen mehrere Teams gegeneinander antreten“. Was er sich nicht wünscht, ist auch klar: „Etablierte Mechanismen wie das Zentrale Innovationsprogramm Mittelstand (ZIM), die wirklich gut funktionieren, sollten unabhängig von DATI bleiben und natürlich keine Doppelstrukturen schaffen. Es wäre schade, wenn DATI den teils seit Jahrzehnten bestehenden Netzwerken Konkurrenz machen würde.“
Nicht zuletzt gebe es noch ein ganz einfaches Mittel, die Umsetzung von neuem Wissen zu beschleunigen: weniger Papier und Bürokratie, egal ob bei Förderanträgen oder Genehmigungen. „63 Prozent der Teilnehmer unseres Innovationsreports klagen über langwierige Bearbeitungen und komplizierte Anträge“, weiß Gollnick, „und sehen das als größtes Hemmnis für die Innovationsleistung von Unternehmen.“