ZEIT für X
Wie finden Erfinderinnen und Erfinder zueinander?

Flickenteppich oder bunte Vielfalt?

10. Juni 2022
Ein Beitrag von Studio ZX.

Deutschland gilt als exzellenter For­schungs­stand­ort. Doch über welche Wege finden Erfin­derinnen und Erfinder, Forschende und Anwender eigentlich zueinander?

Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Transfer und Innovation“.

Die deutsche Wissenschaft ist rege: Mehr als 58.000 Patente wurden im Coronajahr 2021 angemeldet. Auch wenn die Innova­tions­kraft eines Landes nicht nur allein durch die Patent­anmeldungen abgebildet werden kann, gilt sie doch als Treiber von Fortschritt und wirtschaft­licher Entwicklung. International stehen deutsche Forschende und Entwick­lerinnen und Entwickler damit ausnehmend gut da: In Europa immerhin an erster Stelle, und auch weltweit schaffen sie es auf den zweiten Platz, nach den USA und vor Japan. 14 Prozent aller weltweiten Patente werden in Deutschland angemeldet! Dazu kommen vielfältige Erkennt­nisse aus der Grundlagen­forschung, den Gesellschafts­wissen­schaften und anderen Bereichen, die sich statistisch vielleicht nicht ganz so knackig darstellen lassen, aber dennoch für den Fortschritt stehen. Gesell­schaftlich und wirtschaftlich relevant werden all diese Errungen­schaften allerdings erst, wenn sie auch umgesetzt werden. Doch wie geschieht der Wissenstransfer?

Viele Wege führen von der Forschung und den Hoch­schulen in die Wirt­schaft und letztlich in den Alltag

Ein Instrument für einen erfolgreichen Technologie­transfer sind beispielsweise Ausgründungen, also Unternehmens­gründungen von Forschenden und Studie­renden, die ihre im Studium errungenen Ergebnisse in einem Unternehmen umsetzen. Zahlreiche Technologie- und Gründungs­zentren, Innovation Hubs und Start-up-Camps unterstützen sie bei dieser nicht immer einfachen Aufgabe, denn neben den wirtschaft­lichen Heraus­forderungen gilt es auch allerhand rechtliche Fragen zu klären. Speziell auf diese Gruppe zurecht­geschnittene Förder­programme helfen, das erforder­liche Startkapital zu bekommen. An vielen Hochschulen und Univer­sitäten geben zudem Ausgründungs­beraterinnen und -berater Hilfestellung.

Es ist wichtig, die Unternehmen frühzeitig einzubinden, denn sie sind schließlich die Ideengeber, Entwickler und Anwender dieser Innovation.

Christian Gollnick, Referatsleiter Innovationspolitik des Deutschen Industrie- und Handelskammertages e. V. (DIHK)

Ein weiterer, noch weitaus wichtigerer Faktor sind Koopera­tionen im Rahmen von Forschungs- und Entwicklungs­aufträgen. Dies kann in Form von gemein­samen Projekten von Hoch­schulen, Universitäten und Unternehmen geschehen, über Lizenz­vergaben oder Auftrags­forschungen, wenn etwa Unternehmen wissen­schaftliche Einrichtungen direkt mit einem Forschungs­vorhaben beauftragen. In allen Fällen müssen Wissen­schaft und Unter­nehmen allerdings erst einmal zusammen­finden. Mittler wie Verbände oder die Industrie- und Handels­kammern versuchen die richtigen Partner zusammen­zubringen. Gleichzeitig haben viele Universitäten und Hoch­schulen eine eigene Abteilung für Wissens­transfer. Ein weiterer Ansatz ist die Bildung sogenannter regionaler Cluster: Unter­nehmen und Forschungs­institutionen eines Wirtschafts­zweiges bilden regionale Innovations­ökosysteme und fördern dadurch den Austausch und oft auch die Ansiedlung weiterer Player. „Eines der bekanntesten Cluster ist ,it’s OWL‘, Intelligente Technische Systeme OstWestfalenLippe“, erklärt Christian Gollnick, Referats­leiter Innovations­politik des Deutschen Industrie- und Handels­kammertages e. V. (DIHK). „Es besteht aus über 200 Unternehmen, Forschungs­einrichtungen, Hochschulen, Organisationen und der lokalen IHK. Die Mitglieder arbeiten eng zusammen und beraten sich regelmäßig, wie man den Transfer verbessern könnte.“

Alles in allem runden staatliche Förder­programme diese Möglichkeiten ab: „Die Förder­datenbank des Bundes listet mehr als 2.400 Förder­programme auf“, so Gollnick, „damit lassen sich beispiels­weise risiko­behaftete Vorhaben bezuschussen.“ Insgesamt zeigt diese vielfältige Landschaft an Kooperations­wegen durchaus gute Erfolge. 2020 wurden in Deutschland insgesamt immerhin rund 106 Milliarden Euro für Forschung und Entwick­lung ausgegeben, was rund 3,14 Prozent des Brutto­inlands­produktes entspricht. Davon entfallen 15.589 Millionen Euro auf staatliche und private Institutionen ohne Erwerbs­zweck, 19.264 Millionen Euro auf die Hoch­schulen und 105.885 Millionen Euro auf die Wirt­schaft. „Wenn wir uns diese Zahlen genauer ansehen, stellen wir allerdings fest, dass das steigende Forschungs- und Entwicklungs­budget der Wirtschaft vor allem auf Groß­unternehmen zurückgeht“, sagt Gollnick. „Bei kleinen und mittleren Unternehmen sehen wir, dass die Innovatoren­quote seit Jahren stagniert.“

Mehr anwendungsorientierte Forschung gewünscht

Seit 1951 fördert die Deutsche Forschungsgemeinschaft (DFG) die Grundlagenforschung, meist geschieht dies an den Universitäten. Für den Transfer wissenschaftlicher Erkenntnisse in Wirtschaft und Gesellschaft hinein gibt es bisher kein vergleichbares Organ. Mit DATI plant die Koalition nun eine Art Transfergemeinschaft als Pendant zur DFG.

Quellen: statista. wipo, epo, ihk-köln, destatis

Niederschwellige Angebote, weniger Bürokratie und vor allem neue, innovative Methoden des Wissens­transfers sind gefragt

Die Gründe dafür sind vielfältig, ein Faktor ist sicher aber auch der Wissens­transfer. „Gerade die kleinen und mittleren Unternehmen, das Rückgrat der deutschen Wirtschaft, kennen oft weder die Koopera­tions- und Förder­möglich­keiten noch die speziellen fachlichen Kompetenzen und Ansprech­partner an den Hoch­schulen“, erklärt Gollnick weiter. Für sie stellt sich die Fülle an Kooperations- und Förder­möglich­keiten oft als unüber­sichtlicher Flicken­teppich dar. „Dabei sind gerade die KMUs auf die Zusammen­arbeit mit Forschungs­institutionen angewiesen, da sie nur selten über eigene Forschungs­infra­strukturen zur Weiter­entwicklung ihrer Produkte und Verfahren verfügen“, sagt Gollnick und fordert: „Wir brauchen nieder­schwellige Angebote.“ Das Land Nordrhein-Westfalen hat beispielsweise für das bereits genannte Cluster Ostwestfalen-Lippe sogenannte Transfer­gutscheine aufgelegt. Das bedeutet ganz konkret, dass Expertinnen und Experten einer Hochschule oder einer Forschungs­einrichtung gemeinsam mit dem Unternehmen Verbesserungs­möglichkeiten beim Unternehmen im Bereich der digitalen Transformation identifizieren und dann ein gemeinsames Projekt aufsetzen.

2020 wurden in Deutschland insgesamt immerhin rund 106 Milliarden Euro für Forschung und Entwicklung ausgegeben, was rund 3,14 Prozent des Brutto­inlands­produktes entspricht.

Wie wichtig das Thema Innovation und Transfer ist, zeigt übrigens auch der Koalitions­vertrag vom November 2021: Ihm nach soll noch 2022 eine Deutsche Agentur für Technik und Innovation (DATI) gegründet werden, um soziale und techno­logische Inno­vationen insbesondere an den Hochschulen für angewandte Wissen­schaften und kleinen und mittleren Universitäten zu fördern. Mit einem Budget von mittel­fristig bis zu einer Milliarde Euro pro Jahr soll DATI zudem mit erheblichen Mitteln ausgestattet werden. „Es wäre schön, wenn man DATI nutzen würde, um wirklich neue Wege zu gehen“, wünscht sich Gollnick. „Es ist wichtig, die Unternehmen frühzeitig einzubinden, denn sie sind schließlich die Ideengeber, Entwickler und Anwender dieser Innovation. Gleichzeitig sollte DATI akteurs­offen sein, also nicht nur die Hochschulen für angewandte Wissen­schaften und die kleinen und mittleren Universi­täten einbinden, sondern alle Forschungs­einrichtungen genauso wie regionale Cluster.“ DATI ist für ihn „zudem die Chance, wirklich Neues auszuprobieren, zum Beispiel in Form von Reallaboren, in denen zeitlich und räumlich begrenzt innovative Technologien unter realen Bedingungen erprobt werden. Oder über Challenges, in denen mehrere Teams gegeneinander antreten“. Was er sich nicht wünscht, ist auch klar: „Etablierte Mechanismen wie das Zentrale Innovations­programm Mittelstand (ZIM), die wirklich gut funktionieren, sollten unabhängig von DATI bleiben und natürlich keine Doppelstrukturen schaffen. Es wäre schade, wenn DATI den teils seit Jahr­zehnten bestehenden Netzwerken Konkurrenz machen würde.“

Nicht zuletzt gebe es noch ein ganz einfaches Mittel, die Umsetzung von neuem Wissen zu beschleunigen: weniger Papier und Bürokratie, egal ob bei Förder­anträgen oder Genehmigungen. „63 Prozent der Teilnehmer unseres Innovations­reports klagen über langwierige Bearbeitungen und komplizierte Anträge“, weiß Gollnick, „und sehen das als größtes Hemmnis für die Innovations­leistung von Unternehmen.“