Großreinemachen im Orbit
Immer mehr Satelliten ziehen ihre Bahnen um die Erde, immer häufiger drohen Kollisionen. Start-ups helfen, den Weltraumschrott weiträumig zu umfliegen – und könnten künftig gefährliche Trümmerteile aus dem Orbit entfernen.
Für den Schrott gibt es eine Statistik: 36.500 Trümmerteile mit einem Durchmesser von mehr als zehn Zentimetern kreisen aktuell um die Erde – geschätzte 130 Millionen Teile sind kleiner als ein Zentimeter. Das hält die Europäische Weltraumorganisation (ESA) in ihrem regelmäßig aktualisierten „Weltraumschrott-Report“ fest. Besonders riskant sind dabei die etwa eine Million Bruchstücke von Satelliten und Raketenstufen im All, die eine Größe zwischen einem und zehn Zentimeter Durchmesser haben. Denn in diesem Größenbereich werden die Teile nicht vom Radar erfasst, können aber trotzdem erhebliche Schäden anrichten.
Im Schnitt gibt es etwa fünf unvorhersehbare Explosionen pro Jahr.
Carsten Wiedemann, TU Braunschweig
Es kommt immer wieder zu Unfällen mit abgeschriebenen Satelliten oder Raketenteilen, deren Batterien oder Resttreibstoffe sich entzünden. „Das große Problem sind derzeit die im Schnitt etwa fünf unvorhersehbaren Explosionen pro Jahr“, sagt Carsten Wiedemann vom Institut für Raumfahrtsysteme der TU Braunschweig. Und es wird immer enger im Orbit: In den vergangenen Jahren ist die Zahl der jährlichen Raketenstarts auf über 100 gestiegen. Immer mehr private Firmen – angeführt durch Elon Musks Raumfahrtunternehmen SpaceX – schicken Satelliten in die Umlaufbahn. Und immer wieder geht dabei auch etwas schief, wodurch das Müllproblem immer größer wird. So wächst weltweit die Sorge, dass es zukünftig zu immer neuen Kollisionen kommt – und immer mehr Trümmerwolken die Umlaufbahnen gefährden.
Neue Navigationssysteme für den Weltraum
Es muss dringend etwas geschehen. Und so ruft der Schrott in großer Höhe Start-ups auf den Plan, die für freie Flugbahnen sorgen wollen. Die Strategien unterscheiden sich. So arbeitet das Darmstädter Unternehmen Vyoma daran, „ein Hilfssystem für den Flugverkehr im Weltraum“ zu entwerfen, wie es Gründer Stefan Frey formuliert. Die Doppelstrategie der Tech-Firma: Zum einen kalkuliert das Team mithilfe von bodengestützten Teleskopen, ob der Satellit eines Kunden auf Kollisionskurs ist. Zum anderen sollen künftig eigene Flugkörper aufsteigen, die speziell nach Trümmerteilen Ausschau halten. Die Daten sollen dann zusammenfließen – und irgendwann die Daten für automatisierte Ausweichmanöver liefern.
Mit einem ähnlichen Ziel ist das Start-up OKAPI:Orbits unterwegs. Das Braunschweiger Team arbeitet unter anderem an einer „Collision Avoidance Software“. Sie berechnet, wo Zusammenstöße drohen – und welchen Aufwand und welche Kosten eine Kursänderung verursacht. Diese Ansätze sorgen dafür, dass ein immer genaueres Bild von den Flugbahnen der gewünschten und störenden Teile entsteht.
Abschleppdienst fürs All
Am effizientesten ist es jedoch, Kollisionen von vornherein zu verhindern. Dabei helfen will das Start-up Morpheus Space, das Standorte in Los Angeles und Dresden hat. Das Team hat sich vorgenommen, vergleichsweise kostengünstige Antriebe zu entwickeln, die auch schuhschachtelgroße Satelliten manövrierfähig machen können. Bislang kreisen die nämlich meist ohne Steuerung um die Erde. Künftig könnten sie am Ende ihrer Lebenszeit gezielt in Richtung Erdatmosphäre gedrückt werden – wo sie rasch verglühen.
Ein radikalerer Ansatz stammt von einem Schweizer Start-up. ClearSpace baut eine Art Abschlepproboter für irrlichternde Satelliten und große Trümmerteile. Spätestens im Jahr 2026 soll er seine Mission starten. Ein konkretes Ziel ist bereits anvisiert: Irgendwo zwischen 650 und 800 Kilometer über der Erde schwebt ein 112 Kilogramm schweres Antriebsstück einer Rakete, die 2013 ins All geschossen wurde. Mit vier Greifarmen soll der Schweizer Space-Roboter das Trümmerstück bergen – finanziert wird die Mission „ClearSpace-1“ von der ESA.
Start-ups fliegen im Staatsauftrag
Kein Einzelfall: Staatliche Raumfahrtorganisationen wie die NASA oder ESA beauftragen auch in Sachen Weltraumschrott zunehmend private Unternehmen – sowohl mit Forschungsarbeiten zum Thema als auch mit konkreten Missionen. Aufstrebende Tech-Firmen wollen außerdem eigene Satelliten ins All bringen, weil eine stetige Datenübertragung und eine globale Vernetzung für ihr Geschäftsmodell essenziell sind. Das alles hat eine neue Raumfahrtbranche entstehen lassen. Eine Mischung aus staatlichen Forschungsgeldern und privatem Risikokapital finanziert die Unterfangen. „Viele Aufgaben haben mit der Entwicklung von Software zu tun“, sagt Wissenschaftler Wiedemann. „Darauf können sich auch kleine Firmen sehr gut spezialisieren.“
Start-ups haben generell den Vorteil, Probleme schnell und unbürokratisch angehen zu können.
Stefan Frey, Vyoma
Die kleinen Teams von Luftfahrtingenieur:innen und Weltraumforscher:innen konzentrieren sich auf bestimmte Anwendungsfälle, für die sie dann Lösungen entwickeln. „Start-ups haben generell den Vorteil, Probleme schnell und unbürokratisch angehen zu können“, sagt Vyoma-Gründer Frey. Doch im Vergleich zu anderen Start-ups stehen die All-Ausgründungen vor besonderen Herausforderungen: Sie bewegen sich in einem stark regulierten Raum, und sie brauchen meist viel Zeit, bis ihre komplexen Systeme tatsächlich vollständig einsatzbereit sind.
Auch wenn die Investoren ihre Finanzspritzen immer zurückhaltender gewähren, kamen die Aufräumexperten eher glimpflich davon. Vyoma konnte 2022 eine Finanzierungsrunde um neue Kapitalgeber erweitern, OKAPI:Orbits sammelte 5,5 Millionen Euro ein, und Morpheus Space erhielt sogar mehr als 25 Millionen Euro von Investoren. „Die Kommerzialisierung des Weltraums schreitet voran“, sagt Frey. „Deshalb werden Systeme, die die Infrastruktur schützen und einen effizienten Betrieb ermöglichen, immer wichtiger.“