ZEIT für X
Weltraumschrott

Großreinemachen im Orbit

03. Februar 2023
Ein Artikel von Studio ZX

Immer mehr Satelliten ziehen ihre Bahnen um die Erde, immer häufiger drohen Kollisionen. Start-ups helfen, den Welt­raum­schrott weit­räumig zu umfliegen – und könnten künftig gefährliche Trümmer­teile aus dem Orbit entfernen.

Für den Schrott gibt es eine Statistik: 36.500 Trümmerteile mit einem Durchmesser von mehr als zehn Zentimetern kreisen aktuell um die Erde – geschätzte 130 Millionen Teile sind kleiner als ein Zentimeter. Das hält die Europäische Welt­raum­organisation (ESA) in ihrem regelmäßig aktualisierten „Welt­raum­schrott-Report“ fest. Besonders riskant sind dabei die etwa eine Million Bruchstücke von Satelliten und Raketen­stufen im All, die eine Größe zwischen einem und zehn Zentimeter Durchmesser haben. Denn in diesem Größen­bereich werden die Teile nicht vom Radar erfasst, können aber trotzdem erhebliche Schäden anrichten.

Im Schnitt gibt es etwa fünf unvorhersehbare Explosionen pro Jahr.

Carsten Wiedemann, TU Braunschweig

Es kommt immer wieder zu Unfällen mit abgeschriebenen Satelliten oder Raketen­teilen, deren Batterien oder Rest­treib­stoffe sich entzünden. „Das große Problem sind derzeit die im Schnitt etwa fünf unvorher­seh­baren Explosionen pro Jahr“, sagt Carsten Wiedemann vom Institut für Raum­fahrt­systeme der TU Braunschweig. Und es wird immer enger im Orbit: In den vergangenen Jahren ist die Zahl der jährlichen Raketen­starts auf über 100 gestiegen. Immer mehr private Firmen – angeführt durch Elon Musks Raum­fahrt­unternehmen SpaceX – schicken Satelliten in die Umlauf­bahn. Und immer wieder geht dabei auch etwas schief, wodurch das Müll­problem immer größer wird. So wächst weltweit die Sorge, dass es zukünftig zu immer neuen Kollisionen kommt – und immer mehr Trümmer­wolken die Umlauf­bahnen gefährden.

Neue Navigations­systeme für den Weltraum

Es muss dringend etwas geschehen. Und so ruft der Schrott in großer Höhe Start-ups auf den Plan, die für freie Flugbahnen sorgen wollen. Die Strategien unterscheiden sich. So arbeitet das Darmstädter Unternehmen Vyoma daran, „ein Hilfssystem für den Flugverkehr im Weltraum“ zu entwerfen, wie es Gründer Stefan Frey formuliert. Die Doppel­strategie der Tech-Firma: Zum einen kalkuliert das Team mithilfe von boden­gestützten Teleskopen, ob der Satellit eines Kunden auf Kollisions­kurs ist. Zum anderen sollen künftig eigene Flugkörper aufsteigen, die speziell nach Trümmer­teilen Ausschau halten. Die Daten sollen dann zusammen­fließen – und irgendwann die Daten für automatisierte Ausweich­manöver liefern.

Mit einem ähnlichen Ziel ist das Start-up OKAPI:Orbits unterwegs. Das Braunschweiger Team arbeitet unter anderem an einer „Collision Avoidance Software“. Sie berechnet, wo Zusammen­stöße drohen – und welchen Aufwand und welche Kosten eine Kurs­änderung verursacht. Diese Ansätze sorgen dafür, dass ein immer genaueres Bild von den Flugbahnen der gewünschten und störenden Teile entsteht.

Abschleppdienst fürs All

Am effizientesten ist es jedoch, Kollisionen von vornherein zu verhindern. Dabei helfen will das Start-up Morpheus Space, das Standorte in Los Angeles und Dresden hat. Das Team hat sich vorgenommen, vergleichs­weise kosten­günstige Antriebe zu entwickeln, die auch schuh­schachtel­große Satelliten manövrier­fähig machen können. Bislang kreisen die nämlich meist ohne Steuerung um die Erde. Künftig könnten sie am Ende ihrer Lebenszeit gezielt in Richtung Erd­atmosphäre gedrückt werden – wo sie rasch verglühen.

Ein radikalerer Ansatz stammt von einem Schweizer Start-up. ClearSpace baut eine Art Abschlepp­roboter für irrlichternde Satelliten und große Trümmer­teile. Spätestens im Jahr 2026 soll er seine Mission starten. Ein konkretes Ziel ist bereits anvisiert: Irgendwo zwischen 650 und 800 Kilometer über der Erde schwebt ein 112 Kilogramm schweres Antriebs­stück einer Rakete, die 2013 ins All geschossen wurde. Mit vier Greifarmen soll der Schweizer Space-Roboter das Trümmerstück bergen – finanziert wird die Mission „ClearSpace-1“ von der ESA.

Start-ups fliegen im Staats­auftrag

Kein Einzelfall: Staatliche Raum­fahrt­organisationen wie die NASA oder ESA beauftragen auch in Sachen Welt­raum­schrott zunehmend private Unternehmen – sowohl mit Forschungs­arbeiten zum Thema als auch mit konkreten Missionen. Aufstrebende Tech-Firmen wollen außerdem eigene Satelliten ins All bringen, weil eine stetige Daten­über­tragung und eine globale Vernetzung für ihr Geschäfts­modell essenziell sind. Das alles hat eine neue Raum­fahrt­branche entstehen lassen. Eine Mischung aus staatlichen Forschungs­geldern und privatem Risiko­kapital finanziert die Unterfangen. „Viele Aufgaben haben mit der Entwicklung von Software zu tun“, sagt Wissenschaftler Wiedemann. „Darauf können sich auch kleine Firmen sehr gut spezialisieren.“

Start-ups haben generell den Vorteil, Probleme schnell und unbüro­kratisch angehen zu können.

Stefan Frey, Vyoma

Die kleinen Teams von Luftfahrtingenieur:innen und Weltraumforscher:innen konzentrieren sich auf bestimmte Anwendungs­fälle, für die sie dann Lösungen entwickeln. „Start-ups haben generell den Vorteil, Probleme schnell und unbüro­kratisch angehen zu können“, sagt Vyoma-Gründer Frey. Doch im Vergleich zu anderen Start-ups stehen die All-Ausgründungen vor besonderen Heraus­forderungen: Sie bewegen sich in einem stark regulierten Raum, und sie brauchen meist viel Zeit, bis ihre komplexen Systeme tatsächlich vollständig einsatz­bereit sind.

Auch wenn die Investoren ihre Finanzspritzen immer zurückhaltender gewähren, kamen die Aufräum­experten eher glimpflich davon. Vyoma konnte 2022 eine Finanzierungs­runde um neue Kapitalgeber erweitern, OKAPI:Orbits sammelte 5,5 Millionen Euro ein, und Morpheus Space erhielt sogar mehr als 25 Millionen Euro von Investoren. „Die Kommerzialisierung des Weltraums schreitet voran“, sagt Frey. „Deshalb werden Systeme, die die Infrastruktur schützen und einen effizienten Betrieb ermöglichen, immer wichtiger.“