Klimawandel als interdisziplinäre Herausforderung
AnzeigeDie Erschließung ungenutzter Baustoffressourcen durch upgrade eines „problematischen“ Laubholzsortiments. Ein Verbundforschungsprojekt der Hochschule Mainz.
Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Angewandte Forschung an Hochschulen“.
Der Deutsche Wald. Kulturgeschichte, Ökosystem, Erholungsraum und Wirtschaftsgut. Der globale Klimawandel mit zunehmenden Trockenperioden und Witterungsextremen beeinträchtigt auch den deutschen Wald. Damit er seine vielfältigen Ökosystemdienstleistungen erbringen kann, muss die Bewirtschaftung nachhaltig sein. Einen aktiven Beitrag dazu leistet die Holzbauforschung Mainz gemeinsam mit ihren Partnern im Rahmen des Verbundforschungsprojektes EichenSystem. In diesem hat sich ein interdisziplinäres Team mit den unterschiedlichen Forschungsschwerpunkten Waldnutzung und Holzphysik, Konstruktion und Digitales Bauen sowie Holz-Hybridbau und Holzmechanik ein gemeinsames Ziel gesetzt: Die Erschließung und Bereitstellung neuer Rohstoffquellen für hochwertig genutzte Bauprodukte im konstruktiven Holzbau im Rahmen der Waldstrategie 2050.
Eine solche Rohstoffquelle sind schwache Laubholzsortimente aus Eiche, die aufgrund ihrer Wuchsmerkmale und langen Umtriebszeit für den rasant wachsenden Bausektor wirtschaftlich nicht attraktiv genug sind und somit die üblichen Roh- und Werkstoffklassifikationen bisher nicht nachgefragt wurden. Dies gilt es nachzuholen, mit Besinnung auf bewährte Regeln des Handwerks und Anwendung modernster Methoden und Kenntnisse der Bau- und Materialforschung, von der Feldstudie über zerstörungsfreie Prüfmethoden mit optischer Messwerterkennung bis hin zur Ergebnisvalidierung mittels Röntgen-Volumentomographie. Unbeachtete Ressourcen können somit über ihren digitalen Zwilling ein „upgrade“ zu einem gefragten nachwachsenden Rohstoff und einer ressourcenschonende Alternative zu mineralischen oder metallischen Baustoffen in klassischen Stabtragwerken erfahren.
Entwicklung eines neuartigen Tragsystems aus Laubschwachholz
Ausgangspunkt der Forschung war die Idee einer neuen Prozesskette, bei der die Konstruktion von Bauwerken flexibel an das vorrätige Holzangebot angepasst wird. Hier bestimmt nicht die serielle Architektur den Materialbedarf, sondern die Architektur entsteht aus dem verfügbaren Material- und Sortimentsangebot des Waldes. Das Entwurfskonzept bedient sich ebenso überlieferter Kenntnisse und Abläufe der Zimmerer-, Schiffsbauer- und Wagnerkunst. Da Holz als Naturfaserwerkstoff stark inhomogen aufgebaut ist, bildet die Bestimmung der Werkstoffkennwerte einen wesentlichen Forschungsschwerpunkt, da alle Eigenschaften wuchs-, feuchte- und standortabhängig veränderlich sind. Die Zuordnung vorhandener Stammquerschnitte erfolgt über eine waldnahe Charakterisierung des Angebotes und merkmalbezogener Vorsortierung des Eichenrohholzes für die Datenbank WALD des Rohstoffangebotes.
Charakterisierung und Klassifizierung des Waldbestandes
Für die Untersuchungen wurde Eichenholz mit einem Mittendurchmesser von 20-24 cm aus Erst- oder Zweitdurchforstung verwendet. Auf energieintensive Trocknungsprozesse und zu lange Transportwege wurde verzichtet, um eine günstigere Gesamtenergiebilanz zu erzielen (weitgehender Nassverbau). Die physikalische Erstbeurteilung erfolgte im Ultraschall-Laufzeitverfahren im Wald. Die anschließenden Eignungsklassifizierungen von 210 Stammabschnitten aus Stockausschlägen der Länge fünf Meter im Durchschnittsalter von ca. 90 Jahren fanden in Freiburg und Mainz statt. Dabei wurde das Probensortiment aus dem Pfälzer Wald auf Herz und Nieren geprüft: Qualitätssortierung nach der Rahmenvereinbarung Rohholzhandel (äußere Holzmerkmale), Computertomografie (innere Holzstrukturen, z. B. Äste), 3D-Laserscanning (Stammgeometrie, z. B. Krümmung), Serien an Holzproben (Darrdichte, Holzfeuchtigkeit), Eigenschwingungsmessung (dynamischer Elastizitätsmodul), Biegeprüfungen (statischer Elastizitätsmodul und Bruchfestigkeit) sowie Langzeitlagerungsversuche zur Bestimmung des Trocknungs- und Rissbildungsverhaltens.
Die Ergebnisse wurden in die Datenbank WALD eingepflegt und die definierten Merkmale der angebotenen Sortimente ergänzt. Komplementär dazu wurde die nachgefragten Sortimente typisierter Strukturen erfasst und alle Merkmale in der Datenbank WALD+BAU verknüpft.
Forsthalle als Demonstrationsobjekt
Zu Test- und Demonstrationszwecken wird ein Referenzgebäude in Form einer forstwirtschaftlich nutzbaren Halle errichtet. Die Stäbe der parametrisch entwickelten Tragwerke erfordern dabei in der Bauausführung lediglich einen Kappschnitt zur Herstellung definierter Längen. Am Demonstrationsobjekt werden die gewonnenen Erkenntnisse überprüft und validiert und für eine höherwertige bauliche Verwendung von Eichenschwachholz aufbereitet und einer mehrstufigen Kaskadennutzung zugeführt.
Das Verbundforschungsvorhaben EichenSystem verfolgt den Grundsatz der effizienten Ressourcennutzung. Laut Holzeinschlagstatistik 2020 wurde ein Fünftel der Holzernte entweder thermisch oder gar nicht verwertet. Dazu gehört auch das hier untersuchte „problematische“ Sortiment. Langanhaltende Trockenperioden in den Vorjahren begünstigten die rasante Ausbreitung des Borkenkäfers mit massiven Schäden vorwiegend an Fichte, Tanne und Douglasie. Es besteht also akuter Handlungsbedarf für eine stärkere Biodiversität. Dazu möchte das interdisziplinäre Forschungsvorhaben EichenSystem einen Beitrag leisten, indem die notwendige Bestandsvergrößerung klimaresilienter Laubholzsortimente in den kommenden Jahrzehnten nachhaltig genutzt und mit modernen Klassifikationsverfahren im Rahmen der Waldbewirtschaftung einer langlebigen und hochwertigen Nutzung im Bauwesen zugeführt wird.
Projektteam:
Hochschule Mainz, Forschungsgruppe Holz und Kunststoffe
(Prof. Dr.-Ing. Kay-Uwe Schober, Dr.-Ing. Beate Hörnel-Metzger, M.Eng. Verena Ubl)
Forstliche Versuchsanstalt Baden-Württemberg, Abteilung Waldnutzung
(Dr. rer. nat. Udo Hans Sauter, Dr. rer. nat. Franka Brüchert, M.Sc. Nicolas Hofmann)
Hochschule Trier, Holzkompetenzzentrum
(Prof. Dr. sc. techn. Wieland Becker, Dipl.-Ing. (FH) Jan Weber, M.A. Eirik Kjølsrud, M.Eng. Sophie Hüster)
Projektlaufzeit: 1. November 2019 – 30. April 2023
Projektförderung: ca. 800.000 € aus dem Sondervermögen Energie – und Klimafonds
Gefördert durch: Bundesministerium für Ernährung und Landwirtschaft und Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz aufgrund eines Beschlusses des Deutschen Bundestages.