ZEIT für X
Zia-Fellow Dinner
Zia - Visible Women in Science

Starke Frauen für die Wissenschaft

25. Januar 2024
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Ein Artikel der ZEIT Verlagsgruppe

Netzwerktreffen von „Zia – Visible Women in Science“ in Berlin: Beim Auftakt zur zweiten Förder­runde trafen sich Wissen­schaftler­innen zum Erfahrungs­austausch.

von Kristina von Klot

Die gute Nachricht: Laut einer jüngsten Studie der Stanford University wird die Kluft zwischen den meistzitierten Wissen­schaftlerinnen und Wissenschaftlern kleiner. Die schlechte Nachricht ist, dass diese Geschlechter­lücke nach wie vor existiert: Von den 5,8 Millionen analysierten Autorinnen und Autoren aus unter­schiedlichen Disziplinen fanden sich rund 3,8 Millionen Männer – und nur zwei 2 Millionen Frauen. Was lässt sich tun, um das zu ändern? Und welchen Beitrag können weibliche Netzwerke dabei spielen? Die mangelnde Sichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft war vielfach Tisch­gespräch an diesem Abend. Zur zweiten Förder­runde des Zia-Fellowship-Programms „Visible Women in Science“ hatte der ZEIT Verlag erneut ins Restaurant Spindler in Berlin Kreuzberg eingeladen. In der französischen Brasserie trafen in ungezwungener Atmosphäre 60 Wissenschaftlerinnen unter­schiedlicher Disziplinen aufeinander. An schlicht gedeckten Holz­tischen saßen 17 Zia-Fellows mit 16 Stipendiatinnen der Falling Walls Foundation zusammen, die sich kurz zuvor im Rahmen der Berlin Science Week kennen­gelernt hatten.

Disziplinübergreifender Austausch: Beim Z ia-Netzwerktreffen der zweiten Generation in Berlin konnten sich die 17 Fellows aus unterschiedlichen Fachrichtungen zum ersten Mal persönlich begegnen.
© Phil Dera für DIE ZEIT Disziplinübergreifender Austausch: Beim Z ia-Netzwerktreffen der zweiten Generation in Berlin konnten sich die 17 Fellows aus unterschiedlichen Fachrichtungen zum ersten Mal persönlich begegnen.

Hinzukam ein Dutzend Role Models aus dem Wissen­schafts­system, darunter Prof. Dr. Ute Ambrosius. Die Wirtschafts- und Medien­psychologin von der Hochschule Ansbach zeigte sich verständnis­los darüber, dass im Wirtschafts­leben unzählige Zusammen­schlüsse von Unter­nehmerinnen existierten, während vergleichbare Strukturen in der Wissenschaft fehlten. „In der Folge gibt es nur selten offizielle Ansprech­partnerinnen für Kooperationen, sodass es Wissen­schaftlerinnen sehr schwer haben, interessante und lukrative Forschungs­projekte an Land zu ziehen“, betonte die Ökonomin. Und: Viele karriere­relevante Informationen verbreiteten sich über persönliche Kontakte, für deren Pflege Frauen weniger Zeit aufbringen könnten als Männer, weil sie nach wie vor einen Großteil des mental loads, der inner­familiären Organisation, über­nähmen. Dass die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie leider nach wie vor offen ist, befand auch die Rechts­medizinerin Prof. Dr. Silke Kauferstein vom Universitäts­klinikum Frankfurt am Main, die als Role Model eingeladen war. „Wenn man als Frau nach kurzen Erziehungs­pausen wieder in die Wissenschaft zurück­kehren möchte, gibt es immer noch viele Barrieren“, kritisierte sie. Eine weitere große Hürde stellten männlich dominierte Netzwerke dar, die über Jahr­zehnte an den Hoch­schulen gewachsen sind. Dabei handele es sich häufig auch um private Treffen in der Freizeit, bei denen Männer unter­einander Informationen tauschten, die nicht selten auch für die Karriere ihrer weiblichen Kollegen relevant sind. „Wenn man da als Frau außen vor bleibt, können viele wichtige Interna schon mal an einem vorübergehen.“

Der Rat, sich eigeninitiativ Zutritt zu solchen „Men’s Clubs“ zu verschaffen bzw. diesen aktiv ein­zu­fordern, kam von der Soziologin Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger: „Sie müssen als Frau immer den ersten Schritt tun und dürfen nicht warten, bis man Sie hinein­bittet, denn das wird nicht geschehen!“ Die Präsidentin des Wissen­schafts­zentrums Berlin für Sozial­forschung war das prominenteste Role Model des Abends, die zahl­reiche Impulse zur Karriere- und Netzwerk­planung gab und von der ZEIT-Redakteurin Anna-Lena Scholz interviewt wurde. Nicht zuletzt empfahl sie Fellows, fokussiert zu bleiben. „Solange Sie keine unbefristete Stelle haben, konzentrieren Sie sich auf Ihre Forschung, verschwenden Sie keine Zeit, auch nicht mit der Arbeit in Gremien!“

Wertvolle Expertise: Soziologin Jutta Allmendinger im Gespräch mit ZEIT-Redakteurin Anna-Lena Scholz.
© Phil Dera für DIE ZEIT Wertvolle Expertise: Soziologin Jutta Allmendinger im Gespräch mit ZEIT-Redakteurin Anna-Lena Scholz.

Die Erwartungen der Zia-Fellows an das Programm sind groß: Die meisten wünschen sich nicht nur Hilfe­stellung bei Anträgen und Vertrags­verhandlungen, sondern auch Unter­stützung in der Frage, wie man mit Geschlechter-Diskriminierung umgeht. Was einige hier „Sexismus an Hochschulen“ nannten, bezeichnet in der Sache eine Erfahrung, von der an diesem Abend fast alle Frauen berichteten: Mal ging es da um herab­lassende Kommentare bzw. das Absprechen von Kompetenz, mal um ungebetene Eingriffe in wissenschaftliche Texte ohne sachliche Begründung und Rück­sprache mit den Autorinnen – in einem Fall sogar ohne deren Kenntnis. Einig war man sich darüber, dass Männer solche Probleme vergleichs­weise selten haben – und dass Rückhalt und Solidarität unter­einander zu den wichtigsten Strategien zählen, um sich als Frau im Umgang mit Gleich­stellung im akademischen Raum stark­zu­machen.

Verena Claudia Haage, die als Postdoc mit Schwerpunkt Neuroimmunologie an der Columbia Universität in New York arbeitet, hat am Campus ihres Fach­bereichs vergeblich nach Frauen­netz­werken gesucht. Der Fokus dort liege eher auf der Stärkung von Diversität und ethnischen Minderheiten, lautet die Erfahrung der 34-Jährigen. Weil ihr akademischer Alltag in den USA stark von „kompetitiver Energie“ unter Frauen geprägt sei, beschloss sie daraufhin, selbst aktiv zu werden und von sich aus in ihrer Freizeit „women circles“ zu gründen: Netzwerke, die sie in Zukunft auch in ihre Hochschule hinein­tragen werde. Wichtig sei, dass man in diesen Räumen offen über alles und auf Augenhöhe miteinander sprechen kann, so Haage. „Da sprechen wir auch über die eigene Verletzlichkeit und lernen voneinander, Grenzen zu setzen.“ Weibliche Netzwerke seien immer auch Vorbilder für eine wertschätzende Kommunikation, die im Hochschul­betrieb häufig zu kurz käme. „Der Anspruch ist, mitfühlend zu sein, dem anderen als Mensch zu begegnen – und nicht zu bewerten. Und zwar unabhängig vom Geschlecht.“

Die Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung thematisierte Amelie Reigl. Sie promoviert an der Universität Würzburg im Fach Biologie, arbeitet parallel an der Ausgründung eines Biotech-Start-ups bei Fraunhofer ISC und bringt auf TikTok dem potenziellen Hochschul-Nachwuchs ihren Alltag als Wissenschaftlerin näher. Mangelndes Selbst­bewusst­sein sei unter Akademikerinnen „ein Riesen­thema“ – und zwar unabhängig von Alter und Status, lautet die Erfahrung der 29-Jährigen. „Viele Frauen signalisieren: Ich bin nicht sichtbar, habe aber Angst, mich in den sozialen Medien zu präsentieren. Oder: Für diesen oder jenen Job wäre ich sicher nicht die Richtige.“ Eine solche Skepsis in eigener Sache sei zwar meist unbegründet, zeuge aber nicht nur von Selbst­zweifeln, sondern womöglich auch von Besonnenheit, meinte Reigl. „Deshalb sollte man aktiv auf Akademikerinnen zugehen und sie immer ermutigen!“ Ein übergroßes Ego sei in der Wissenschaft ohnehin fehl am Platz: „Allein vorpreschen, auf Mikro­management setzen und anderen diktieren, was sie tun sollen, ist nicht zeitgemäß. Heute muss man auch fähig sein, Kontrolle abzugeben, sich zurück­zunehmen und das Team machen zu lassen.“

Isabel Schäufele-Elbers, die an der Fakultät für Wirtschafts­wissenschaften der Universität Bozen zu nach­haltigem Konsum forscht, macht als Zia-Fellow ihre erste Erfahrung mit einem großen Netzwerk. Anfangs habe sie noch Zweifel am inter­disziplinären Setting gehabt, sagte die 35-Jährige. Aber nach vielen sehr interessanten Gesprächen, die weit über das Fachliche hinausgingen, sei sie vom Gegenteil überzeugt. Unter anderem habe man über Fragen der Arbeits­teilung und Work-Life-Balance diskutiert, sagte die zweifache Mutter, und über berufliche Perspektiven. „Hier ist mir wieder klar geworden, dass es nicht um jeden Preis um eine Professur auf Lebens­zeit geht, sondern man auch auf anderen Wegen eigene Inhalte verfolgen und sich treu bleiben kann.“ Sie trete die Heim­reise mit einem gestärkten Selbst­bewusst­sein an. „Ich habe nicht nur tolle Frauen kennen­gelernt, sondern es fühlt sich auch so an, als hätte ich einen neuen Werk­zeug­kasten zur Verfügung.“

Prof. Dr. Heike Grassmann

Role-Model: die Administrative Vorständin des Max-Delbrück-Centers für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)

Was für Erfahrungen wollen Sie den weiblichen Early Career Researchers mitgeben?
Dass es sich lohnt, Dinge auch mal zu machen, ohne lange zu überlegen: Kann ich das eigentlich? Manchmal muss man sich direkt in eine Situation hinein­begeben und merkt plötzlich: Es kann ja auch Spaß machen, sich etwas zu trauen, egal, ob man damit erfolg­reich ist. Das tun Männer übrigens auch!

Heike Grassmann
© Phil Dera für DIE ZEIT

Und welche Vorbilder hatten Sie selbst zu Beginn Ihrer Karriere?
Ich hatte immer freche Vorbild­frauen vor Augen: ost­deutsche Frauen, die Führung bewiesen haben, keine Angst vorm Scheitern hatten und pragmatisch und mutig waren. Als Administrative Vorständin, die BWL studiert hat, werbe ich auch hier dafür, nicht nur die theorie­geleitete Wissenschaft zu sehen, sondern auch mit der anderen Welt ins Gespräch zu kommen. Denn der BWL-Pragmatismus hat zwar viel mit Regeln und Routinen zu tun, aber auch mit Strategie und Ermöglichung.

Haben Sie Tipps für den Umgang mit Diskriminierung im akademischen Umfeld?
Authentisch reagieren. Viele kennen die Situation: Eine Gesprächs­runde, an der sich auch eine Frau beteiligt. Kurz darauf wiederholt ein Kollege deren Idee und gibt sie als seine aus. Heute spiegele ich das sofort zurück, nach dem Motto: „Wie schon Frau XY zuvor geäußert hat …“ Auch in diesem Kontext haben wir vorhin am Tisch diskutiert, ob das Engagement in Komitees tatsächlich Zeit­verlust bedeutet, wie Jutta Allmendinger meinte. Wir Frauen wollen doch das System verändern, aber wenn wir dabei die Gremien­arbeit vermeiden, dauert das noch 100 Jahre!