Starke Frauen für die Wissenschaft
AnzeigeNetzwerktreffen von „Zia – Visible Women in Science“ in Berlin: Beim Auftakt zur zweiten Förderrunde trafen sich Wissenschaftlerinnen zum Erfahrungsaustausch.
Die gute Nachricht: Laut einer jüngsten Studie der Stanford University wird die Kluft zwischen den meistzitierten Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern kleiner. Die schlechte Nachricht ist, dass diese Geschlechterlücke nach wie vor existiert: Von den 5,8 Millionen analysierten Autorinnen und Autoren aus unterschiedlichen Disziplinen fanden sich rund 3,8 Millionen Männer – und nur zwei 2 Millionen Frauen. Was lässt sich tun, um das zu ändern? Und welchen Beitrag können weibliche Netzwerke dabei spielen? Die mangelnde Sichtbarkeit von Frauen in der Wissenschaft war vielfach Tischgespräch an diesem Abend. Zur zweiten Förderrunde des Zia-Fellowship-Programms „Visible Women in Science“ hatte der ZEIT Verlag erneut ins Restaurant Spindler in Berlin Kreuzberg eingeladen. In der französischen Brasserie trafen in ungezwungener Atmosphäre 60 Wissenschaftlerinnen unterschiedlicher Disziplinen aufeinander. An schlicht gedeckten Holztischen saßen 17 Zia-Fellows mit 16 Stipendiatinnen der Falling Walls Foundation zusammen, die sich kurz zuvor im Rahmen der Berlin Science Week kennengelernt hatten.
Hinzukam ein Dutzend Role Models aus dem Wissenschaftssystem, darunter Prof. Dr. Ute Ambrosius. Die Wirtschafts- und Medienpsychologin von der Hochschule Ansbach zeigte sich verständnislos darüber, dass im Wirtschaftsleben unzählige Zusammenschlüsse von Unternehmerinnen existierten, während vergleichbare Strukturen in der Wissenschaft fehlten. „In der Folge gibt es nur selten offizielle Ansprechpartnerinnen für Kooperationen, sodass es Wissenschaftlerinnen sehr schwer haben, interessante und lukrative Forschungsprojekte an Land zu ziehen“, betonte die Ökonomin. Und: Viele karriererelevante Informationen verbreiteten sich über persönliche Kontakte, für deren Pflege Frauen weniger Zeit aufbringen könnten als Männer, weil sie nach wie vor einen Großteil des mental loads, der innerfamiliären Organisation, übernähmen. Dass die Frage der Vereinbarkeit von Beruf und Familie leider nach wie vor offen ist, befand auch die Rechtsmedizinerin Prof. Dr. Silke Kauferstein vom Universitätsklinikum Frankfurt am Main, die als Role Model eingeladen war. „Wenn man als Frau nach kurzen Erziehungspausen wieder in die Wissenschaft zurückkehren möchte, gibt es immer noch viele Barrieren“, kritisierte sie. Eine weitere große Hürde stellten männlich dominierte Netzwerke dar, die über Jahrzehnte an den Hochschulen gewachsen sind. Dabei handele es sich häufig auch um private Treffen in der Freizeit, bei denen Männer untereinander Informationen tauschten, die nicht selten auch für die Karriere ihrer weiblichen Kollegen relevant sind. „Wenn man da als Frau außen vor bleibt, können viele wichtige Interna schon mal an einem vorübergehen.“
Der Rat, sich eigeninitiativ Zutritt zu solchen „Men’s Clubs“ zu verschaffen bzw. diesen aktiv einzufordern, kam von der Soziologin Prof. Dr. h.c. Jutta Allmendinger: „Sie müssen als Frau immer den ersten Schritt tun und dürfen nicht warten, bis man Sie hineinbittet, denn das wird nicht geschehen!“ Die Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung war das prominenteste Role Model des Abends, die zahlreiche Impulse zur Karriere- und Netzwerkplanung gab und von der ZEIT-Redakteurin Anna-Lena Scholz interviewt wurde. Nicht zuletzt empfahl sie Fellows, fokussiert zu bleiben. „Solange Sie keine unbefristete Stelle haben, konzentrieren Sie sich auf Ihre Forschung, verschwenden Sie keine Zeit, auch nicht mit der Arbeit in Gremien!“
Die Erwartungen der Zia-Fellows an das Programm sind groß: Die meisten wünschen sich nicht nur Hilfestellung bei Anträgen und Vertragsverhandlungen, sondern auch Unterstützung in der Frage, wie man mit Geschlechter-Diskriminierung umgeht. Was einige hier „Sexismus an Hochschulen“ nannten, bezeichnet in der Sache eine Erfahrung, von der an diesem Abend fast alle Frauen berichteten: Mal ging es da um herablassende Kommentare bzw. das Absprechen von Kompetenz, mal um ungebetene Eingriffe in wissenschaftliche Texte ohne sachliche Begründung und Rücksprache mit den Autorinnen – in einem Fall sogar ohne deren Kenntnis. Einig war man sich darüber, dass Männer solche Probleme vergleichsweise selten haben – und dass Rückhalt und Solidarität untereinander zu den wichtigsten Strategien zählen, um sich als Frau im Umgang mit Gleichstellung im akademischen Raum starkzumachen.
Verena Claudia Haage, die als Postdoc mit Schwerpunkt Neuroimmunologie an der Columbia Universität in New York arbeitet, hat am Campus ihres Fachbereichs vergeblich nach Frauennetzwerken gesucht. Der Fokus dort liege eher auf der Stärkung von Diversität und ethnischen Minderheiten, lautet die Erfahrung der 34-Jährigen. Weil ihr akademischer Alltag in den USA stark von „kompetitiver Energie“ unter Frauen geprägt sei, beschloss sie daraufhin, selbst aktiv zu werden und von sich aus in ihrer Freizeit „women circles“ zu gründen: Netzwerke, die sie in Zukunft auch in ihre Hochschule hineintragen werde. Wichtig sei, dass man in diesen Räumen offen über alles und auf Augenhöhe miteinander sprechen kann, so Haage. „Da sprechen wir auch über die eigene Verletzlichkeit und lernen voneinander, Grenzen zu setzen.“ Weibliche Netzwerke seien immer auch Vorbilder für eine wertschätzende Kommunikation, die im Hochschulbetrieb häufig zu kurz käme. „Der Anspruch ist, mitfühlend zu sein, dem anderen als Mensch zu begegnen – und nicht zu bewerten. Und zwar unabhängig vom Geschlecht.“
Die Kluft zwischen Selbst- und Fremdwahrnehmung thematisierte Amelie Reigl. Sie promoviert an der Universität Würzburg im Fach Biologie, arbeitet parallel an der Ausgründung eines Biotech-Start-ups bei Fraunhofer ISC und bringt auf TikTok dem potenziellen Hochschul-Nachwuchs ihren Alltag als Wissenschaftlerin näher. Mangelndes Selbstbewusstsein sei unter Akademikerinnen „ein Riesenthema“ – und zwar unabhängig von Alter und Status, lautet die Erfahrung der 29-Jährigen. „Viele Frauen signalisieren: Ich bin nicht sichtbar, habe aber Angst, mich in den sozialen Medien zu präsentieren. Oder: Für diesen oder jenen Job wäre ich sicher nicht die Richtige.“ Eine solche Skepsis in eigener Sache sei zwar meist unbegründet, zeuge aber nicht nur von Selbstzweifeln, sondern womöglich auch von Besonnenheit, meinte Reigl. „Deshalb sollte man aktiv auf Akademikerinnen zugehen und sie immer ermutigen!“ Ein übergroßes Ego sei in der Wissenschaft ohnehin fehl am Platz: „Allein vorpreschen, auf Mikromanagement setzen und anderen diktieren, was sie tun sollen, ist nicht zeitgemäß. Heute muss man auch fähig sein, Kontrolle abzugeben, sich zurückzunehmen und das Team machen zu lassen.“
Isabel Schäufele-Elbers, die an der Fakultät für Wirtschaftswissenschaften der Universität Bozen zu nachhaltigem Konsum forscht, macht als Zia-Fellow ihre erste Erfahrung mit einem großen Netzwerk. Anfangs habe sie noch Zweifel am interdisziplinären Setting gehabt, sagte die 35-Jährige. Aber nach vielen sehr interessanten Gesprächen, die weit über das Fachliche hinausgingen, sei sie vom Gegenteil überzeugt. Unter anderem habe man über Fragen der Arbeitsteilung und Work-Life-Balance diskutiert, sagte die zweifache Mutter, und über berufliche Perspektiven. „Hier ist mir wieder klar geworden, dass es nicht um jeden Preis um eine Professur auf Lebenszeit geht, sondern man auch auf anderen Wegen eigene Inhalte verfolgen und sich treu bleiben kann.“ Sie trete die Heimreise mit einem gestärkten Selbstbewusstsein an. „Ich habe nicht nur tolle Frauen kennengelernt, sondern es fühlt sich auch so an, als hätte ich einen neuen Werkzeugkasten zur Verfügung.“
Prof. Dr. Heike Grassmann
Role-Model: die Administrative Vorständin des Max-Delbrück-Centers für Molekulare Medizin in der Helmholtz-Gemeinschaft (MDC)
Was für Erfahrungen wollen Sie den weiblichen Early Career Researchers mitgeben?
Dass es sich lohnt, Dinge auch mal zu machen, ohne lange zu überlegen: Kann ich das eigentlich? Manchmal muss man sich direkt in eine Situation hineinbegeben und merkt plötzlich: Es kann ja auch Spaß machen, sich etwas zu trauen, egal, ob man damit erfolgreich ist. Das tun Männer übrigens auch!
Und welche Vorbilder hatten Sie selbst zu Beginn Ihrer Karriere?
Ich hatte immer freche Vorbildfrauen vor Augen: ostdeutsche Frauen, die Führung bewiesen haben, keine Angst vorm Scheitern hatten und pragmatisch und mutig waren. Als Administrative Vorständin, die BWL studiert hat, werbe ich auch hier dafür, nicht nur die theoriegeleitete Wissenschaft zu sehen, sondern auch mit der anderen Welt ins Gespräch zu kommen. Denn der BWL-Pragmatismus hat zwar viel mit Regeln und Routinen zu tun, aber auch mit Strategie und Ermöglichung.
Haben Sie Tipps für den Umgang mit Diskriminierung im akademischen Umfeld?
Authentisch reagieren. Viele kennen die Situation: Eine Gesprächsrunde, an der sich auch eine Frau beteiligt. Kurz darauf wiederholt ein Kollege deren Idee und gibt sie als seine aus. Heute spiegele ich das sofort zurück, nach dem Motto: „Wie schon Frau XY zuvor geäußert hat …“ Auch in diesem Kontext haben wir vorhin am Tisch diskutiert, ob das Engagement in Komitees tatsächlich Zeitverlust bedeutet, wie Jutta Allmendinger meinte. Wir Frauen wollen doch das System verändern, aber wenn wir dabei die Gremienarbeit vermeiden, dauert das noch 100 Jahre!