
Von Pilzarchitektur und POP Farmen
AnzeigeWarum sollte das Wohnen in Pilzhäusern zukunftsweisend sein? Was befähigt diese mikroskopisch kleinen Lebewesen dazu, unser Leben nachhaltiger zu gestalten? Und: Welche Rolle könnte die Welt der Mykologie in der Bioökonomie der Zukunft spielen?
Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Über den Transfer in die Gesellschaft“.
Solche und ähnliche Fragen stehen im Zentrum von „MY-CO SPACE“, einem von über 20 Reallaboren im Berliner Stadtraum, das dazu anregt, vom Wissen ins Handeln zu kommen. Die Plattform für transdisziplinäre Projekte dieser Art ist die TU-StadtManufaktur, die eine Schnittstelle zwischen der Technischen Universität Berlin und der Stadtgesellschaft bilden soll. Die Idee ist, öffentliche Räume zu schaffen, in denen sich die Berlinerinnen und Berliner über neue wissenschaftliche Erkenntnisse austauschen und eigene Themen, die sie für forschungsrelevant halten, einbringen können.
Die TU Berlin, die den Exzellenztitel trägt und Teil des bundesweit einzigartigen Exzellenzverbundes Berlin University Alliance ist, hat sechs Forschungsschwerpunkte. Neben der digitalen Transformation, der Photonik und Optik sowie Strategien zur Vermeidung altersbedingter Erkrankungen zählen unter anderem Fragen zur Energie, Mobilität und Nachhaltigkeit dazu – Themen, die sich auch in den Reallaboren der StadtManufaktur widerspiegeln: ob es um Strategien zur Klimaanpassung geht, die Förderung des sozialen Miteinanders oder um eine nachhaltige Städteplanung wie im „MY-CO SPACE“.
Kompostierbare Pilz-Häuser: Utopien für das Leben von morgen
Was die Besucherinnen und Besucher dort erwartet, ist eine begehbare Skulptur, deren Hülle aus einem Pilzpflanzenkomposit besteht. Die Grundlage bildet ein regional verfügbarer Pilz, der zunächst im Labor auf der Basis pflanzlicher Reststoffe der Berlin-Brandenburger Agrar- und Forstwirtschaft kultiviert wurde. In einem zweiten Schritt werden seine Bestandteile digital bearbeitet, damit der Pilzwerkstoff optimale Trageigenschaften aufweist. So entstehen stabile, äußerst leichte Verbundmaterialien, die nach und nach zu einer Raumskulptur zusammengefügt werden. Initiatorin des Projektes ist Vera Meyer, die an der TU Berlin das Fachgebiet Angewandte und Molekulare Mikrobiologie leitet und den neuen Werkstoffen eine große Zukunft attestiert: „Sobald Klimawandel, ein steigender Meeresspiegel und somit Migration unseren Alltag prägen, könnten kompostierbare Häuser aus Pilzen eine utopische Antwort auf diese Herausforderungen sein.“ Zwei Jahrzehnte lang hatte sich die Künstlerin und Professorin mit Schimmelpilzen als potenziellen Produzenten von Medikamenten, Plattformchemikalien und Biokraftstoffen beschäftigt, bis sie vor fünf Jahren auf die innovativen Verbundstoffe stieß. In der Öffentlichkeit sei kaum bekannt, dass sich daraus nachhaltige Möbel, Kleidung und Baustoffe produzieren ließen, bedauert Meyer; ebenso wenig über die Fähigkeit von Pilzen, Protein- und Fettabfälle zu verstoffwechseln. Umso wichtiger sei es, im Rahmen der TU-StadtManufaktur in Berlin erfahrbare Laborsituationen wie MY-CO SPACE zu kreieren. „Je mehr akademisches Wissen öffentlich geteilt wird, desto besser ist die Bevölkerung dafür gerüstet, gesellschaftliche Transformationen voranzutreiben.“
Diesem Zweck dient auch ein neuer temporärer Kunst- und Kulturort in der Berliner City West, POP KUDAMM, der direkt am Kurfürstendamm liegt und Stadtentwicklung kreativ erfahrbar macht. Die TU-StadtManufaktur ist hier Kooperationspartnerin und präsentiert unter anderem mit der POP Farm einen Prototyp für urbane Infrastrukturentwicklung. Die Farm ist das Produkt des Reallabors „Mobile blau-grüne Infrastruktur“ und dokumentiert eine zukunftsweisende Form der lokalen Lebensmittelproduktion: In einem Wasserkreislauf wachsen hier Salate, Kräuter und Gemüse, die mit Nährstoffen angereichert sind und ohne Erde auskommen, in die Höhe. Dank ihres geringen Gewichts eigne sich die Vertikalfarm besonders gut für gebäudeintegrierte Varianten des Urban Farming, sagt Dr. Anja Steglich, Projektleiterin der TU-StadtManufaktur Berlin. Mit POP KUDAMM sei man bewusst mitten auf eine der beliebtesten Einkaufsmeilen Berlins gegangen und habe dabei die Kooperation mit einem Immobilienentwickler und einem internationalen Netzwerk aus Künstlerinnen und Künstlern sowie Kreativen gesucht. Der Impuls sei, Diskurse zur Stadtentwicklung aus dem akademischen Raum zu holen, Forschungsergebnisse experimentell und anschaulich zu machen und mit der Stadtgesellschaft gemeinschaftlich zu erproben und zu entwickeln, so Steglich. „Zum Beispiel, um in der Gastronomie von POP KUDAMM, die Gemüse und Kräuter der Farm verarbeitet, mit Besucher*innen ins Gespräch zu kommen und deren Fragen einzusammeln.“
Partizipative Stadtentwicklung: das A und O der Verkehrswende - nicht nur in Berlin
Den Anspruch, Wissen in die Gesellschaft zu tragen und damit Veränderungen anzustoßen, verfolgt auch die Forschungsgruppe „EXPERI – Die Verkehrswende als sozial-ökologisches Realexperiment“, das von Julia Jarass vom Institut für Verkehrsforschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) geleitet wird. Partner sind die TU Berlin und das Institut für transformative Nachhaltigkeitsforschung (IASS) Potsdam. Eine zentrale Frage lautet: Wie kann das Zufußgehen und Radfahren, aber auch die Aufenthaltsqualität im urbanen Raum gefördert werden? Ziele, die auf die Berliner Verkehrswende zurückgehen und zu den Pop-up-Radwegen geführt haben. Zu einem weiteren Realexperiment wurde eine Kreuzung in Charlottenburg, wo seit 2020 ein Teil der Straße autofrei ist. Holzpodeste, Hochbeete und Stadtmobiliar sind in Planung. Diese Ideen seien das Ergebnis von Haushaltsbefragungen und des Dialoges mit Anwohnerinnen und Anwohnern, die bei der Neugestaltung selbst Hand anlegten, um den öffentlichen Raum vor ihrer Haustür lebenswerter zu machen, so Jarass. „Es ist ein Beispiel, das vor Augen führt, wie wichtig Partizipation in der Stadtentwicklung ist.“

Interview mit Prof. Dr. Geraldine Rauch, Präsidentin der Technischen Universität Berlin
Wo ist die TU Berlin besonders forschungsstark?
Wir haben immer wieder aktuelle gesellschaftliche Fragen aufgegriffen, schnell reagiert und flexible Strukturen geschaffen. So gelang es uns, mit dem Einstein Center Digital Future 50 neue Professuren zu schaffen. Wir konnten eins der fünf nationalen KI-Zentren etablieren und haben eine sehr erfolgreiche Mathematik. Durch die Exzellenzinitiative setzen wir mit dem Chemie-Cluster wichtige Impulse. Auch Klimaökonomie oder nachhaltige Mobilität gehören zu unseren Leuchttürmen.
Inwiefern erfordern große gesellschaftliche Transformationen einen Wandel der Art und Weise, wie an TUs gelehrt und geforscht wird?
Wir sind führend bei transdisziplinärer Forschung. So kann der Transfer von der Wissenschaft in die Gesellschaft schneller und nachhaltiger gelingen und andere Perspektiven eröffnen. Der transdisziplinäre Ansatz erhöht zugleich die Akzeptanz aller Beteiligten. Er fließt auch in die Lehre ein. Große Transformationen werden eben nicht nur von der Wissenschaft erforscht, auch die Wissenschaft selbst muss sich verändern und Impulse von außen aufnehmen.
Partizipative Wissenschaft, die der Gesellschaft Erkenntnisse der Grundlagenforschung vertraut machen soll, spielt eine wachsende Rolle. Welche Erfahrungen machen Sie damit?
Das ist ein zentraler Teil unserer Transferstrategie. Wir bringen unsere Expertise dazu auch in den Berliner Exzellenzverbund ein. Gleichzeitig senden wir ein wichtiges Signal: Wir öffnen uns.
Kontakt

Technische Universität Berlin
Stefanie Terp, Dipl.-Journ. Pressesprecherin der TU Berlin
Tel.: +49 (0)30-314-23922
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