ZEIT für X
Neuer Ort für Ruhesuchende: MY-CO-SPACE, eine begehbare Pilz-Skulptur, hat sich zu einem beliebten Rückzugsort in der Universitätsbibliothek der TU Berlin und der UdK Berlin entwickelt. Die Holzkonstruktion, die mit Pilzpaneelen ummantelt ist, steht für ebenso nachhaltige wie utopische Lebens- und Wohnformen, die an diesem Ort Studierenden einen ruhigen Arbeitsplatz eröffnet. Konzipiert und realisiert wurde sie von Vera Meyer, Künstlerin und Wissenschaftlerin, die an der TU Berlin den Fachbereich Angewandte und Molekulare Mikrobiologie leitet.

Von Pilzarchitektur und POP Farmen

10. Juni 2022
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Ein Beitrag der TU Berlin.

Warum sollte das Wohnen in Pilzhäusern zukunfts­weisend sein? Was befähigt diese mikros­kopisch kleinen Lebewesen dazu, unser Leben nach­haltiger zu gestalten? Und: Welche Rolle könnte die Welt der Mykologie in der Bioökonomie der Zukunft spielen?

Ein Beitrag aus dem Themenschwerpunkt „Über den Transfer in die Gesellschaft“.

Solche und ähnliche Fragen stehen im Zentrum von „MY-CO SPACE“, einem von über 20 Reallaboren im Berliner Stadtraum, das dazu anregt, vom Wissen ins Handeln zu kommen. Die Plattform für trans­diszi­plinäre Projekte dieser Art ist die TU-Stadt­Manufaktur, die eine Schnitt­stelle zwischen der Technischen Universität Berlin und der Stadt­gesellschaft bilden soll. Die Idee ist, öffentliche Räume zu schaffen, in denen sich die Berlinerinnen und Berliner über neue wissen­schaftliche Erkenntnisse austauschen und eigene Themen, die sie für forschungs­relevant halten, einbringen können.

Die TU Berlin, die den Exzellenz­titel trägt und Teil des bundesweit einzigartigen Exzellenz­verbundes Berlin University Alliance ist, hat sechs Forschungs­schwerpunkte. Neben der digitalen Transformation, der Photonik und Optik sowie Strategien zur Vermeidung alters­bedingter Erkrankungen zählen unter anderem Fragen zur Energie, Mobilität und Nachhaltigkeit dazu – Themen, die sich auch in den Real­laboren der StadtManufaktur wider­spiegeln: ob es um Strategien zur Klima­anpassung geht, die Förderung des sozialen Miteinanders oder um eine nachhaltige Städte­planung wie im „MY-CO SPACE“.

Kompostierbare Pilz-Häuser: Utopien für das Leben von morgen

Was die Besucherinnen und Besucher dort erwartet, ist eine begehbare Skulptur, deren Hülle aus einem Pilz­pflanzen­komposit besteht. Die Grundlage bildet ein regional verfügbarer Pilz, der zunächst im Labor auf der Basis pflanzlicher Reststoffe der Berlin-Branden­burger Agrar- und Forst­wirtschaft kultiviert wurde. In einem zweiten Schritt werden seine Bestandteile digital bearbeitet, damit der Pilz­werkstoff optimale Trageigenschaften aufweist. So entstehen stabile, äußerst leichte Verbund­materialien, die nach und nach zu einer Raumskulptur zusammengefügt werden. Initiatorin des Projektes ist Vera Meyer, die an der TU Berlin das Fachgebiet Angewandte und Molekulare Mikro­biologie leitet und den neuen Werk­stoffen eine große Zukunft attestiert: „Sobald Klimawandel, ein steigender Meeresspiegel und somit Migration unseren Alltag prägen, könnten kompostierbare Häuser aus Pilzen eine utopische Antwort auf diese Heraus­forderungen sein.“ Zwei Jahrzehnte lang hatte sich die Künstlerin und Professorin mit Schimmel­pilzen als potenziellen Produzenten von Medikamenten, Plattform­chemi­kalien und Biokraft­stoffen beschäftigt, bis sie vor fünf Jahren auf die innovativen Verbund­stoffe stieß. In der Öffentlichkeit sei kaum bekannt, dass sich daraus nachhaltige Möbel, Kleidung und Baustoffe produzieren ließen, bedauert Meyer; ebenso wenig über die Fähigkeit von Pilzen, Protein- und Fettabfälle zu verstoff­wechseln. Umso wichtiger sei es, im Rahmen der TU-StadtManufaktur in Berlin erfahrbare Labor­situa­tionen wie MY-CO SPACE zu kreieren. „Je mehr akademisches Wissen öffentlich geteilt wird, desto besser ist die Bevölkerung dafür gerüstet, gesell­schaftliche Transformationen voranzutreiben.“

Diesem Zweck dient auch ein neuer temporärer Kunst- und Kulturort in der Berliner City West, POP KUDAMM, der direkt am Kurfürstendamm liegt und Stadtent­wicklung kreativ erfahrbar macht. Die TU-StadtManufaktur ist hier Kooperations­partnerin und präsentiert unter anderem mit der POP Farm einen Prototyp für urbane Infra­struktur­entwicklung. Die Farm ist das Produkt des Reallabors „Mobile blau-grüne Infrastruktur“ und dokumentiert eine zukunftsweisende Form der lokalen Lebens­mittel­produktion: In einem Wasser­kreislauf wachsen hier Salate, Kräuter und Gemüse, die mit Nährstoffen angereichert sind und ohne Erde auskommen, in die Höhe. Dank ihres geringen Gewichts eigne sich die Vertikalfarm besonders gut für gebäude­integrierte Varianten des Urban Farming, sagt Dr. Anja Steglich, Projektleiterin der TU-StadtManufaktur Berlin. Mit POP KUDAMM sei man bewusst mitten auf eine der beliebtesten Einkaufs­meilen Berlins gegangen und habe dabei die Kooperation mit einem Immobilien­entwickler und einem inter­nationalen Netzwerk aus Künstlerinnen und Künstlern sowie Kreativen gesucht. Der Impuls sei, Diskurse zur Stadt­entwicklung aus dem akademischen Raum zu holen, Forschungs­ergebnisse experimentell und anschaulich zu machen und mit der Stadt­gesellschaft gemeinschaftlich zu erproben und zu entwickeln, so Steglich. „Zum Beispiel, um in der Gastronomie von POP KUDAMM, die Gemüse und Kräuter der Farm verarbeitet, mit Besucher*innen ins Gespräch zu kommen und deren Fragen einzusammeln.“

Partizipative Stadtentwicklung: das A und O der Verkehrswende - nicht nur in Berlin

Den Anspruch, Wissen in die Gesellschaft zu tragen und damit Veränderungen anzustoßen, verfolgt auch die Forschungsgruppe „EXPERI – Die Verkehrswende als sozial-ökologisches Realexperiment“, das von Julia Jarass vom Institut für Verkehrs­forschung des Deutschen Zentrums für Luft- und Raumfahrt (DLR) geleitet wird. Partner sind die TU Berlin und das Institut für trans­formative Nachhaltig­keits­forschung (IASS) Potsdam. Eine zentrale Frage lautet: Wie kann das Zufußgehen und Radfahren, aber auch die Aufenthalts­qualität im urbanen Raum gefördert werden? Ziele, die auf die Berliner Verkehrswende zurückgehen und zu den Pop-up-Radwegen geführt haben. Zu einem weiteren Real­experiment wurde eine Kreuzung in Charlottenburg, wo seit 2020 ein Teil der Straße autofrei ist. Holzpodeste, Hochbeete und Stadt­mobiliar sind in Planung. Diese Ideen seien das Ergebnis von Haushalts­befragungen und des Dialoges mit Anwohnerinnen und Anwohnern, die bei der Neugestaltung selbst Hand anlegten, um den öffentlichen Raum vor ihrer Haustür lebenswerter zu machen, so Jarass. „Es ist ein Beispiel, das vor Augen führt, wie wichtig Partizipation in der Stadtentwicklung ist.“

Geraldine Rauch - Präsidentin der Technischen Universität Berlin.
© TU Berlin / Philipp Arnoldt Geraldine Rauch - Präsidentin der Technischen Universität Berlin.

Interview mit Prof. Dr. Geraldine Rauch, Präsidentin der Technischen Universität Berlin

Wo ist die TU Berlin besonders forschungsstark?

Wir haben immer wieder aktuelle gesell­schaft­liche Fragen aufgegriffen, schnell reagiert und flexible Strukturen geschaffen. So gelang es uns, mit dem Einstein Center Digital Future 50 neue Professuren zu schaffen. Wir konnten eins der fünf nationalen KI-Zentren etablieren und haben eine sehr erfolgreiche Mathematik. Durch die Exzellenz­initiative setzen wir mit dem Chemie-Cluster wichtige Impulse. Auch Klima­ökonomie oder nach­haltige Mobi­lität gehören zu unseren Leuchttürmen.

Inwiefern erfordern große gesellschaftliche Transformationen einen Wandel der Art und Weise, wie an TUs gelehrt und geforscht wird?

Wir sind führend bei trans­diszi­plinärer Forschung. So kann der Transfer von der Wissen­schaft in die Gesellschaft schneller und nachhaltiger gelingen und andere Perspektiven eröffnen. Der trans­disziplinäre Ansatz erhöht zugleich die Akzeptanz aller Beteiligten. Er fließt auch in die Lehre ein. Große Trans­formationen werden eben nicht nur von der Wissenschaft erforscht, auch die Wissenschaft selbst muss sich verändern und Impulse von außen aufnehmen.

Partizipative Wissenschaft, die der Gesellschaft Erkenntnisse der Grundlagen­forschung vertraut machen soll, spielt eine wachsende Rolle. Welche Erfahrungen machen Sie damit?

Das ist ein zentraler Teil unserer Transfer­strategie. Wir bringen unsere Expertise dazu auch in den Berliner Exzellenz­verbund ein. Gleichzeitig senden wir ein wichtiges Signal: Wir öffnen uns.

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Stefanie Terp, Dipl.-Journ. Pressesprecherin der TU Berlin

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