ZEIT für X
Nahaufnahme Wassertropfen auf einem grünen Blatt

Wasserstoff – Element mit Konjunktur­wirkung?

21. April 2023
Ein Artikel von Studio ZX

Grüner Wasserstoff punktet mit Klimaneutralität und Vielseitigkeit. Wasser­stoff­experte Hans Schäfers forscht unter anderem daran, wie die Wasser­stoff­wende am Standort Deutschland gelingen kann.

von Kristina Kara, Studio ZX

Studio ZX: Herr Schäfers, Sie unterteilen die Energie­wende in vier Phasen. Welche sind das – und wo stehen wir aktuell?

Hans Schäfers: Die erste Phase beinhaltet den massiven Ausbau von Photovoltaik und Windkraft, die quasi die Grundlage für die Energie­wende bilden. Aber weil die Sonne nicht immer scheint und der Wind nicht immer weht, müssen Strom­verbräuche neu erfasst und gesteuert werden. Das gelingt am besten mithilfe der Digitalisierung, die deshalb als zweite Phase gilt. In der dritten Phase fangen wir an, regenerativ erzeugten Strom, der nicht sofort verbraucht werden kann oder soll, zu speichern. Batterien sind hier sicherlich die bekannteste Form. Allerdings können sie nur begrenzte Mengen an Strom speichern, brauchen viel Platz und sind in der Herstellung teuer. Genau da kommt Wasserstoff ins Spiel, der in großem Umfang in den bereits bestehenden Gas­speichern unter Tage eingelagert werden kann. Aktuell befinden wir uns am Anfang dieser dritten Phase. Wir erarbeiten Lösungen, die eine großvolumige Speicherung von Wasser­stoff ermöglichen. Die Forschung geht davon aus, dass wir bis zum Jahr 2045 jährlich etwa 100 Giga­watt­stunden Energie in Form von Wasser­stoff zwischen­speichern müssen.

Bei unserem Thementag ZEIT für Klima am 29. Juni 2023 in der Landesvertretung Nordrhein-Westfalen in Berlin wollen wir gemeinsam mit Ihnen und führenden Expert:innen aus Wirtschaft und Wissenschaft über die Potenziale von Wasserstoff sprechen. Wie gelingt ein erfolgreicher Netzaufbau in Europa? Und was braucht es, um Wasserstoff als Energieträger und als Speicher wettbewerbsfähig zu machen? Kann die Umstellung auf wasserstoffbasierte Energiegewinnung die deutsche Wirtschaft n Schwung bringen?

Melden Sie sich schon heute an und sichern Sie sich kostenfrei Ihren Zugang für die Veran­staltung. Seien Sie live dabei, wenn wir unter anderem mit der Wirschaftsweisen Dr. Veronika Grimm und Staatssekretär Dr. Patrick Graichen darüber sprechen, wie Deutschland als Industrie­standort im globalen Kontext wettbewerbs­fähig bleiben und gleichzeitig die nach­haltige Entwick­lung der Wirtschaft vorantreiben kann.

Und was kommt nach der dritten Phase?

Phase vier ist eine Ära, in der wir Wasserstoff nicht mehr nur als Lang­zeit­speicher für Strom begreifen, sondern ihn in großem Umfang auch dafür verwenden, andere Bereiche der Wirtschaft so zu gestalten, dass sie ohne fossile Rohstoffe funktionieren. Dies gilt für große Teile der Industrie, die Wasser­stoff für ihre Prozesse benötigen, etwa in der Petrochemie, die Plastik produziert, oder in der chemischen Industrie und natürlich ganz besonders in der Stahl­industrie. Dort wird Wasser­stoff vermehrt Kohle oder Gas als Reduktions­mittel in den Hochöfen ersetzen und diesen Prozess damit klima­neutral machen. Diese vierte Phase ist mit Abstand der teuerste Schritt der Energie­wende, hat aber auch das größte Potenzial. Der Bedarf an Wasserstoff wird in der Industrie zwei- bis dreimal so groß sein wie die Menge an Wasserstoff, die wir brauchen, um die Strom­lücke zu schließen.

In der Stahlindustrie wird Wasserstoff vermehrt Kohle oder Gas als Reduktions­mittel in den Hochöfen ersetzen und diesen Prozess damit klima­neutral machen.

Hans Schäfers ist Professor für intelligente Energie­systeme und Energie­effizienz

Können Sie konkret beziffern, wie teuer der eben skizzierte Umbau des Energiesystems für Deutschland wird?

Das Fraunhofer Institut und die Unternehmens­beratung McKinsey haben das unabhängig voneinander durch­gerechnet und sind auf relativ ähnliche Ergebnisse gekommen: Rund zwei Billionen Euro müssen bis 2045 investiert werden. Umgerechnet bedeutet das für die nächsten 20 Jahre Kosten von rund 100 Milliarden Euro jährlich für Photo­voltaik­anlagen, Wärmepumpen, Elektrolysatoren, in denen Wasser­stoff hergestellt werden kann, Elektro­fahr­zeuge und die dafür nötige Infra­struktur. Ich weiß, dass das sehr viel Geld ist, aber ich sehe deutliche Parallelen zur Wieder­vereinigung Deutschlands. Diese hat damals eine vergleichbar große Summe Geld gekostet, verteilt über einen ebenfalls vergleichbaren Zeitraum. Dabei hat die Wieder­vereinigung sich als gigantisches Konjunktur­programm erwiesen. Das können wir mit der Energie­wende wiederholen.

Ich sehe deutliche Parallelen zur Wieder­vereinigung Deutschlands. Sie hat sich als gigantisches Konjunktur­programm erwiesen. Das können wir mit der Energie­wende wiederholen.

Hans Schäfers ist Professor für intelligente Energie­systeme und Energie­effizienz

Gehen Sie davon aus, dass sich der benötigte Wasser­stoff in Deutschland produzieren lässt?

Nein. Wir stellen jetzt schmerzlich fest, dass uns hierfür die Kapazitäten fehlen. Der Ausbau erneuerbarer Energien und die Digitalisierung sind in Deutschland lange nicht mutig genug voran­getrieben worden. Auch wenn hier nun eine Kurs­korrektur erfolgt, werden wir beim Wasser­stoff auf Importe angewiesen bleiben. Anfang April haben Kolleg:innen aus Australien eine bahn­brechende Studie veröffentlicht: Sie rechnen damit, dass sie in wenigen Jahren Wasser­stoff für 1,5 US-Dollar pro Kilo produzieren können. Der Preis liegt heute bei über 9 US-Dollar. Wir werden in vielen Teilen der Welt dauerhaft günstigere Produktions­bedingungen für Wasserstoff haben als bei uns in Deutschland. Daher sind sich alle großen Studien zur Zukunft des deutschen Energie­systems einig, dass wir etwa ein Drittel unseres Wasser­stoff­bedarfs hier erzeugen werden, die anderen zwei Drittel werden wir importieren. Aber auch das kann die heimische Wirtschaft ankurbeln: Als Exporteur von Technologien und Lösungs­komponenten können deutsche Unternehmen hier neue Märkte erobern.

Künftig werden wir etwa ein Drittel unseres Wasser­stoff­bedarfs hier erzeugen und zwei Drittel importieren. Aber auch das kann die heimische Wirtschaft ankurbeln: Als Exporteur von Technologien und Lösungs­komponenten können deutsche Unternehmen hier neue Märkte erobern.

Hans Schäfers ist Professor für intelligente Energie­systeme und Energie­effizienz

Das Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz an der HAW Hamburg arbeitet an genau solchen Lösungen. Womit beschäftigen Sie sich im Bereich Wasserstoff?

Das größte Projekt, an dem wir im Bereich Wasserstoff gerade arbeiten, heißt Norddeutsches Reallabor, kurz NRL. Gemeinsam mit 23 Förder­partnern und 27 assoziierten Unternehmen beschäftigen wir uns damit, wie eine funktionierende Wasser­stoff­infra­struktur in Nord­deutschland aufgestellt werden sollte. Wir arbeiten dabei in Hamburg, Schleswig-Holstein und Mecklenburg-Vorpommern und haben so das Glück, Bedingungen vorzufinden, die sich auch auf ganz Deutschland übertragen lassen. Im Norden wird viel Energie erzeugt, die weiter südlich gebraucht wird. Das klappt allerdings nur, wenn das Netz dafür richtig ausgebaut wird und die Knoten­punkte richtig miteinander verknüpft werden. Ganz konkret heißt das in unserem Fall auch, fest­zu­stellen, wo beispiels­weise sinnvoll große Elektrolyseure stehen müssen. Dann müssen wir überlegen, wohin welche Leitungen führen und wer wann den Wasserstoff braucht. So entsteht eine Blaupause für ein gänzlich neues Versorgungs­system.

Das Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E) ist eine wissen­schaftliche Einrichtung der Hochschule für Angewandte Wissenschaften (HAW) in Hamburg. Rund 60 Forschende plus knapp 20 Studierende, die ihre Abschluss­arbeiten schreiben, experimentieren dort mit Windkraftanlagen, Photovoltaik, Batterie­speichern, Wärme­pumpen, Elektrolyseuren, einem Block­heiz­kraftwerk und einer Anlage, die CO2 wieder aus der Atmosphäre holt und mit Wasserstoff in einer Methanisierungs­anlage zu regenerativem Erdgas macht. Auch an der Kohlen­stoff­abscheidung durch Plasmalyse, E-Fuels aus organischen Reststoffen und Fragen der intelligenten Betriebsweise von Strom- und Wärme­netzen wird am CC4E geforscht.

Welche Folgen hätte so ein neues System für die beteiligten Akteure aus der Wirtschaft?

Eine Wasserstoffwirtschaft, wie die Zukunft sie erfordert, wird für einzelne Unternehmen kollaborativer. Nicht mehr das einzelne Unternehmen, sondern das System steht im Fokus. In einem anderen Real­labor mit dem Titel „Westküste 100“ in Schleswig-Holstein arbeiten beispiels­weise gerade ein Zementwerk und eine Raffinerie zusammen. Bei der Zement­herstellung wird viel CO2 frei. Was dort ein Abfall­produkt ist, wird in der Raffinerie als Rohstoff für die Kerosin­produktion benötigt. Auch beim Wasserstoff werden neue Wertschöpfungs­ketten und Geschäfts­modelle entstehen. Dafür muss auch eine Wende in unseren Köpfen statt­finden: Die Energie­wende funktioniert nur gemeinsam.

Hans Schäfers
© HAW Hamburg

Hans Schäfers ist Professor für intelligente Energie­systeme und Energie­effizienz und stell­vertretender Leiter des Competence Center für Erneuerbare Energien und EnergieEffizienz (CC4E). Der Ingenieur ist seit 2019 bei den Scientists for Future engagiert. Der Zusammen­schluss von Wissenschaftler:innen setzt sich dafür ein, dass wissenschaftliche Erkenntnisse angemessen in politische Entscheidungen einfließen.