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Zwischen Verantwortung und Vision

08. April 2022
Ein Artikel von Studio ZX.

Passen Nachhaltigkeit und Digitalisierung zusammen? Und wenn ja, wie? Die Plattform nachhaltig.digital unterstützt Unternehmen dabei, beides zusammen­zu­denken.

von Kristina Kara, Studio ZX

Carl-Ernst Müller leitet die Initiative seit ihrer Gründung im Jahr 2017. Studio ZX hat mit ihm über Chancen und Heraus­forderungen im Spannungs­feld von Klima und Kommunikations­technologien gesprochen.

Studio ZX: Herr Müller, Sie beschäftigen sich seit fünf Jahren damit, Digitalisierung und Nachhaltigkeit miteinander in Einklang zu bringen. Klima­krise, Extrem­wetter und Bio­diversitäts­verlust zählen zu den drei weltweit größten Risiken, die vom World Economic Forum im Global Risks Report 2022 veröffentlicht wurden. Wie kann die Digitalisierung dabei unterstützen, diesen entgegen­zu­wirken?

Carl-Ernst Müller: Zunächst einmal muss uns allen klar sein, dass die Wechsel­wirkung zwischen Nachhaltigkeit und Digitalisierung immer existiert. Sie existiert teilweise sogar mit enormen Hebeln, und sie wurde leider bisher oft unterschätzt. Es geht also nicht darum, Themen aktiv zu verbinden, sondern sie sind verbunden. Wir müssen nur erkennen, wie genau, und dann entsprechend handeln. Bei der Frage, wie die Digitalisierung uns Menschen bei den genannten Risiken unter­stützen kann, sollte man die Zusammen­hänge zur Vereinfachung in zwei Kategorien einteilen: „Green IT“ und „IT for Green“, wobei mit „Green“ hier alle drei Säulen der Nach­haltigkeit gemeint sind. „Green IT“ umfasst die direkten Auswirkungen der Herstellung oder Nutzung von IT, zum Beispiel der Energie­einsatz zum Betrieb von Servern oder die Arbeits­bedingungen bei der Gewinnung seltener Erden. „IT for Green“ ist die Nutzung der Möglichkeiten, die uns die Digitalisierung bietet, um ziel­gerichtet ökosoziale Fragen zu adressieren – zum Beispiel die Blockchain-Technologie in der Wert­schöpfungs­kette oder gegebenen­falls auch nur ein Chatbot in der Kundenkommunikation.

Carsten-Ernst mMüler
© Jana Kreye

Carl-Ernst Müller koordiniert die Kompetenz­platt­form nachhaltig.digital seit ihrer Gründung im Jahr 2017. Der studierte Betriebs­wissen­schaftler hat zuvor vor allem als Kommunikations­stratege gearbeitet.

Laut einer Studie des Branchenverbands Bitkom könne eine entschlossene und konsequente Digitalisierung maßgeblich dazu beitragen, dass Deutschland seine Klimaziele erreiche. Mehr als zwei Drittel der vorgesehenen CO2-Einsparungen würden durch eine beschleunigte Digitalisierung umgesetzt, heißt es. Ihre Initiative hat ebenfalls eine große Umfrage gestartet. Dem „nachhaltig.digital monitor“ zufolge sehen 55 Prozent der Teilnehmenden die Digitalisierung als Chance für Nachhaltigkeit. Wo liegen konkret die Chancen?

Der nachhaltig.digital monitor geht der Frage nach, wo sich kleine und mittlere Unternehmen in der digitalen Transformation sehen. Er wird im Jahr 2022 wiederholt, um in der Gegen­über­stellung der Jahre Entwicklungen besser verfolgen zu können. Einige Ergebnisse über­schneiden sich mit der Studie des Branchen­verbands Bitkom, denn die Befragten sehen die größten Chancen in der Produktion. Ressourcen- und Energie­effizienz stehen hier ganz oben auf der Skala. Aber auch Transparenz in der Liefer­kette und Vereinfachung der Bildung werden hier gesehen. Sowohl für den Monitor als auch die Bitkom-Studie ist aber zu sagen, dass Effizienz­gewinne in der Fertigung leider auch schnell aufgezehrt werden, falls die Produkte über­proportional mehr verkauft werden. Auch hier kommt es leider häufig zum Rebound-Effekt.

Eine im Februar erschienene Studie des Leibniz-Zentrums für Europäische Wirtschafts­forschung (ZEW) in Mannheim in Kooperation mit dem Borderstep Institut zeigt ein ernüchterndes Bild über die Effekte der Digitalisierung für die CO2-Reduktion. So führte etwa Homeoffice zu weniger Emission durch Mobilität, aber mehr Emission durch Geräte, Streaming und Server. Wo liegen die größten Heraus­forderungen?

Ja, in dieser Studie war die industrielle Fertigung lediglich eines von mehreren Anwendungsfeldern. Es ging hier mehr um Homeoffice, Cloud Computing und Medien­nutzung. Und gerade diese Felder sind schwer zu fassen, denn wenn heutzutage Video­konferenzen Telefon­anrufe ersetzen oder jeder Speicher­vorgang eines Dokuments nicht mehr auf der Festplatte, sondern in der Cloud erfolgt, dann erhöht sich der Energie­verbrauch.

Die Bundesregierung möchte Klimaschutz und Nachhaltigkeit unter dem Slogan „von der Ambition zur Umsetzung“ zu einem Kernthema ihrer G7-Präsidentschaft machen und zusammen mit der Idee eines globalen Klimaklubs voran­treiben. Wie beurteilen Sie generell die bisherige politische Unterstützung und die Vorhaben der neuen Regierung?

Die politische Unterstützung bis zur Bundes­tags­wahl 2021 war nicht ausreichend. Es gab aber durchaus auch Impulse, wobei sie, wenn es um Nachhaltig­keits­aspekte geht, eher aus dem Bundes­ministerium für Umwelt stammten, zum Beispiel die Umweltvpolitische Digital­agenda, als aus dem Bundes­ministerium für Wirtschaft. Die Vorhaben der neuen Regierung sind noch schwer zu beurteilen. Zwar wurde das Bundes­verkehrs­ministerium zum Bundes­ministerium für Digitalisierung und Verkehr, aber auch in den anderen Ministerien scheint die digitale Transformation ebenfalls verortet zu sein. Einerseits spiegelt das die Quer­schnitts­funktion der Digitalisierung wider, anderer­seits bleibt noch offen, ob sich die Ministerien systematisch ergänzen können. Die Innovations­geschwindigkeit in der Digitalisierung ist allerdings so hoch, dass auch viel Verantwortung bei den Unternehmen liegt, die Neues anbieten.

Die Plattform nachhaltig.digital besteht mittlerweile seit fünf Jahren. Was sind Ihre größten Learnings aus dieser Zeit? Beobachten Sie eine Veränderung der Themen? Gibt es neue Trends?

Als wir die konkrete Arbeit aufnahmen, gab es Gespräche mit Dritten auch dazu, wie die Themen Nachhaltigkeit und Digitalisierung gemeinsam dargestellt werden sollten. Häufig wurden wir direkt gefragt, warum die Themen überhaupt zusammengehörten. Das ist heute nicht mehr so. Die Wichtigkeit der Digitalisierung für alle Bereiche der Gesellschaft wurde vielen Menschen sehr viel bewusster – nicht nur als Chance, sondern eben auch als konkrete Gefahr. Diese wachsende Erkenntnis hat auch zu Entwicklungen wie der Europäischen Daten­schutz-Grund­verordnung geführt. Womöglich führt ein sehr gesunder Weg zwischen den Extremen des westlichen digitalen Kapitalismus und des fernöstlichen digitalen Kommunismus zu einer europäisch-demokratischen Digitalisierung. Vertrauen wird zu einem zunehmend wichtigen Faktor. Als Trend kann hier sicherlich die Entwicklung der Corporate Digital Responsibility genannt werden, denn schwindet das Vertrauen, wird auch die Datennutzung schwieriger. Aber Daten und eine sinnvolle Digitalisierung sind genau das, was wir für eine lebenswerte Zukunft benötigen – mit mehr Vision, Vertrauen und Vorsicht.