ZEIT für X
Thomas Bachem

Der Hochschul-CEO

04. April 2024
ZEIT Redaktion

Thomas Bachem hat vor acht Jahren seine eigene Hochschule gegründet – und sie gerade so vor der Pleite bewahrt. Zu Besuch bei einem Gründer, der Gründer ausbildet.

von Carolin Jackermeier

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 1/2024.“ Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.

Was andere Menschen stressen würde, verschafft Thomas Bachem Beruhigung: Sein digitaler Kalender ist dicht gefüllt, die Tage sind in 15-Minuten-Slots durchgetaktet. So wie an diesem Donnerstag im Februar. Der 38-Jährige sitzt in der Cafeteria der Factory, einem Berliner Co-Working-Space, und schiebt Termine hin und her. Hier hat auch die Code University of Applied Sciences ihren Sitz, die Bachem gegründet hat. „Die Code“ nennt er sie kurz und liebevoll. Eine Hochschule, die – der Name legt es nahe – Menschen das Programmieren beibringen und sie in IT-Unternehmer verwandeln soll. Um genau zu sein: „Leute, die Bock haben, ihr Ding zu machen“, sagt Bachem.

Wer Bachem einen Tag lang begleitet, merkt: Wenn sich mal Lücken im Tagesablauf auftun, füllt er sie sofort, er kann gar nicht anders. In jeder noch so kurzen Pause muss er zumindest eine Mail beantworten und akribisch abhaken. Erledigt. „Neulich habe ich eingetragen, wann ich geduscht habe“, sagt er und nippt an einem Hafer-Cappuccino, „da habe ich darüber nachgedacht, ob das vielleicht etwas too much ist.“

Bachem verkörpert so ziemlich das Gegenteil dessen, was man sich unter einem Hochschulkanzler vorstellt. Er kennt die meisten Studierenden beim Namen und läuft grüßend im Kapuzenpulli durch die Flure, in der rechten Hand das Smartphone, in der linken Hand die Vape. Für alle hier ist er: Tom. „Ich musste erst mal lernen, dass ich nicht nur der Kumpel sein kann, sondern eine Vorbildrolle für die Studierenden habe“, sagt er. Die wollen und sollen erreichen, was Bachem schon geschafft hat: erfolgreich ein Unternehmen zu gründen.

Bachems eigener Weg ist ein bisschen klischeehaft. Als Zwölfjähriger bringt er sich auf seinem ersten Computer im Kinderzimmer das Programmieren bei. Als Jugendlicher baut er Webseiten für Unternehmen. Weil ihm das Informatikstudium an einer staatlichen Uni zu theorielastig ist, studiert er Betriebswirtschaft an der privaten Cologne Business School. Währenddessen gründet er ein Videoportal und entwickelt nach Abschluss des Studiums ein Onlinespiel. Den finanziellen Durchbruch bringt sein drittes Unternehmen: ein Online-Editor, mit dem Nutzer Lebensläufe gestalten können. Der Verkauf an das Online-Netzwerk Xing macht ihn mit Ende zwanzig zum Millionär. Er hätte vermutlich so weitermachen können. Aber er wollte etwas mit purpose machen, also Sinn stiften. Mit der Gründung der Hochschule startete er 2016 sein Lebensprojekt. Und das fordert ihn, immer wieder aufs Neue.

An diesem Februartag ist Bachem mit seiner Innenarchitektin auf der Baustelle für den neuen Campus der Code in Berlin-Neukölln verabredet. Er hat sich ein Uber bestellt, im Auto kann er besser arbeiten als in Bus oder Bahn. Auf der Baustelle angekommen soll er entscheiden, welche Farbe der neue Boden bekommt (Rosarot? Besser Beige!) und mit welcher Technik die Wände gestrichen werden. Nebenbei gibt er ein Zeitungsinterview und lässt sich von einer Fotografin ablichten. In schwarzen knöchelhohen Ugg-Boots, Jeans und Code-Hoodie posiert er in den Wasserlachen auf dem Dach des Baus im Berliner Winternebel.

An der Code sollen Bachems Studenten lernen, was staatliche Universitäten seiner Meinung nach nicht bieten: Coden, Projekte umsetzen, in interdisziplinären Teams zusammenarbeiten, Ideen pitchen – und bestenfalls ein eigenes Start-up gründen. Mehr als 60-mal hat das schon geklappt.

Um ihren staatlich anerkannten Bachelor in Software Engineering, Interaction Design oder Product Management abzuschließen, müssen die Studierenden zehn praktische Module bestehen. Im Gebäude gibt es keine Vorlesungssäle, dafür ein Bällebad. Die Professoren sind Lernbegleiter statt Frontalvorleser. Ein fester Lehrplan fehlt, stattdessen werden die Projekte der Studierenden individuell betreut und bewertet. Und die Hochschule ist international ausgerichtet, alles läuft auf Englisch.

Auf dem Weg zum nächsten Termin wird Bachem etwas nervös. Der Uber-Fahrer lässt auf sich warten. Eigentlich sollte Bachem schon vor einer halben Stunde zurück am alten Campus im Gebäude der Factory sein. Er klopft den Baustaub von den Jeans, kramt sein Handy aus der Tasche, verschiebt den nächsten Termin im Kalender nach hinten. „Nicht so schlimm“, sagt er und zieht an seiner E-Zigarette.

Nächster Termin: ein Treffen mit Justin Reichelt, sie betreut die Unternehmenspartnerschaften der Hochschule, außerdem ist sie mit Bachem verlobt. Die beiden diskutieren, wie man die Start-ups der Studierenden mit Venture-Capital-Firmen zusammenbringen könnte. Klar: Ohne Geld lassen sich digitale Geschäftsideen nur schwer skalieren. Die Hilfe der Code zahlt sich offenbar aus: Die Alumni haben schon mehr als 60 Millionen Euro an Kapital für ihre Start-ups eingeworben, über 250 Jobs geschaffen.

Dann auf der Agenda: Mittagessen mit einem Partner der Telekom, später ein Treffen mit Vertreterinnen der Deutschen Bahn, um über eine mögliche Kooperation zu sprechen. Solche Partnerschaften sind wichtig für die Code. Sie bekommt keine staatlichen Gelder, sondern finanziert sich nur über Studiengebühren und das Geld von Sponsoren und Förderern. Zu den Partnern zählen etwa Metro, Porsche und Meta.

Der Bachelor an der Code kostet 41.400 Euro. Die Studierenden können den Beitrag entweder in monatlichen Raten von 1.150 Euro über drei Jahre abstottern. Oder sie studieren umsonst, verpflichten sich aber, nach dem Berufseinstieg über acht Jahre 13,5 Prozent ihres Bruttoeinkommens zurückzuzahlen, sofern es 27.000 Euro pro Jahr übersteigt. „Ich will die besten Talente finden und nicht nur die mit reichen Eltern“, erklärt Bachem die Idee dahinter.

Aber es gibt ein Problem: Das zweite Modell muss jemand vorfinanzieren. In der Vergangenheit übernahm das eine Genossenschaft. Im vergangenen Sommer war damit Schluss, weil diese angesichts der finanziellen Lage der Code und der hohen Zinsen selbst keine Finanzierer fand. Derzeit kann also hier nur studieren, wer die Studiengebühren sofort zahlen kann. Das frustriert Bachem. Und es schränkt den Bewerberpool ein: Rund 40 Studierende seien aktuell für das kommende Wintersemester eingeschrieben, 150 müssen es sein, um die Kosten zu decken. „Das wird richtig tough“, sagt Bachem. Er will bis zum Semesterstart unbedingt eine neue Finanzierung für die Studiengebühren auftreiben.

Bachem lässt keine Gelegenheit aus, um zu netzwerken. Seine Tage drehen sich fast ausschließlich um Geld. Wenn er nicht genug ranschafft, geht die Uni bankrott. Und daran hängen nicht nur die Jobs der Mitarbeiter, das Geld der Investoren und sein eigener Erfolg – sondern auch das Leben von 600 Studierenden. Wird die Uni geschlossen, haben sie nicht nur keinen Abschluss, sondern unter Umständen auch kein Visum mehr. Knapp 40 Prozent der Studierenden kommen aus dem Ausland, und ihre Aufenthaltsgenehmigung ist häufig an den Studienplatz geknüpft. „Das ist ein unglaublicher Druck, der da auf einem lastet“, sagt Bachem.

Gleichzeitig muss das Alltagsgeschäft laufen. Nach dem Lunch nippt Bachem an einer Dose Red Bull und diskutiert mit dem Sprecher der Studierenden über die Satzung eines neuen Fördervereins. „Ich höre mich mal in meinem Netzwerk um, ob jemand einen Juristen kennt, der da pro bono draufschaut“, sagt Bachem. Kurzer Vermerk im Kalender. Jetzt noch schnell eine Einladung an den Berliner Bürgermeister für die Eröffnung des Campus im Herbst ausdrucken.

Die Studierenden an der Code sollen ihr Ding machen. Frontalvorlesungen und einen festen Lehrplan gibt es hier nicht
© Code University Die Studierenden an der Code sollen ihr Ding machen. Frontalvorlesungen und einen festen Lehrplan gibt es hier nicht.

Dann: virtuelle Schalte mit dem Hochschulpräsidenten Peter Ruppel. Er kümmert sich um die Lehre und den akademischen Betrieb an der Code. Themen: ein Problem mit einem Paragrafen in der Prüfungsordnung, neue Vereinbarungen zu Nebenjobs von Studierenden und ein Zero-Waste-Konzept für den neuen Campus. Zwischendurch öffnet Bachem immer wieder seinen Kalender und passt den Zeitplan an. Ein Termin mit einer privaten Wirtschaftshochschule ist ausgefallen, er hat etwas mehr Luft.

Jetzt schnell die Campusführung mit der Delegation der Deutschen Bahn. Dann wieder ein Termin im Konferenzraum, auf dem Bildschirm ploppt das Gesicht von Rolf Schrömgens auf. Der 47-Jährige hat das Hotelportal Trivago gegründet, er ist vielfacher Millionär. Bachem hat sich oft bei ihm Rat geholt – und Geld für die Hochschule. Schrömgens und anderen namhaften Internetgründern wie Stephan Schambach und Florian Heinemann ist es zu verdanken, dass es die Code weiterhin gibt.

Zeit für eine kurze Rückblende. Eigentlich sollte sich die Code nach einer Grundfinanzierung von fünf Millionen Euro nach sieben Jahren finanziell selbst tragen. Doch 2023 stand die Hochschule kurz vor der Zahlungsunfähigkeit. Über Monate versuchte Bachem Menschen aus seinem Netzwerk dazu zu bringen, die Hochschule finanziell zu stützen. „Ich musste feststellen, dass es in Deutschland nahezu unmöglich ist, eine Bildungseinrichtung ohne private Unterstützung zu finanzieren“, erzählt er.

Bachem telefonierte all seine Kontakte durch, schrieb Nachrichten, bat um Hilfe. Sein Netzwerk ist ja groß, 2012 hat er den Bundesverband Deutsche Start-ups mit gegründet, als Business-Angel hat er in zehn Jungunternehmen investiert. Allerdings geht es dabei oft um Geschäftsmodelle, die Geld vermehren. Eine Hochschule dagegen ist nicht auf Profit ausgelegt, es geht darum, den Alltagsbetrieb zu finanzieren.

Mitte 2023 schafft er es: 50 Unternehmerinnen und Unternehmer unterstützen die Code mit kleineren Summen. Dazu kommen fünf Unternehmer, die sich an einem neu gegründeten Trust beteiligen. „Das war eine riesige Last, die da von mir abfiel“, erzählt Bachem. Einen Tag später wird er ins Krankenhaus eingeliefert. Diagnose: eine Entzündung im Bauchraum. Potenzieller Auslöser: Stress.

Bachem teilt sich seitdem die finanzielle Verantwortung, aber auch das Mitspracherecht. Er ist jetzt Geschäftsführer, den Posten des Kanzlers hat Reimar Müller-Thum von ihm übernommen. Der erfahrene Hochschulmanager kümmert sich darum, dass die Code wirtschaftlich arbeitet und intern alles läuft. Bachem repräsentiert sie nach außen und pflegt das Netzwerk. Noch findet er sich in seine neue Rolle an der Hochschule ein. Ein Termin in seinem Kalender an diesem Tag lautet: Jobprofil verfassen, für die Homepage. Aber er weiß nicht so recht, was er da reinschreiben soll. „Ich mache gerade 100 Sachen am Tag, und alles ist immer wichtig“, sagt er. „Ich muss dringend priorisieren.“

Dann könnte er vielleicht auch wieder häufiger machen, was zurzeit etwas zu kurz kommt: Mentor sein, Ideen fördern. Kurz vor Feierabend trifft er noch zwei Studenten, die gerade ihr erstes Start-up gegründet haben. „Ich habe da den idealen Business-Angel für euch“, sagt er. Er verspricht ein Intro via WhatsApp und trägt es sich ein. Für die Zeit während der Heimfahrt. Da ist doch tatsächlich noch eine Lücke im Kalender.