Die Chip-Connection
ZEIT RedaktionTrumpf und Carl Zeiss sind zu Spitzenreitern in der Halbleiter-Branche aufgestiegen. Das liegt an ihrer Risikofreude – und an einer sehr speziellen Beziehung.
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 1/2023. Geschäftspartner des ZEIT-Verlages haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“
Pinguine springen von einem Gletscher ins eisige Meer: Dieses Bild ziert den aktuellen Geschäftsbericht von Trumpf aus Ditzingen. Das Cover ist symbolisch gemeint: Immer wieder springt das Familienunternehmen ins kalte Wasser. Der Mittelständler investiert in neue Technologien – mit teils unbekanntem Ausgang. „Vorn zu sein im technologischen wie unternehmerischen Sinne entspricht schon immer unserem Selbstverständnis“, sagt die Vorstandsvorsitzende und Miteigentümerin Nicola Leibinger-Kammüller, als sie im Herbst 2022 in der Firmenzentrale auf einem Podium die Bilanz von Trumpf vorstellt und auch die Pinguine anspricht.
Mehr als zehn Prozent des Umsatzes steckt Trumpf jedes Jahr in Forschung und Entwicklung – das sichert der Firma das Überleben in einer Welt, die sich schnell wandelt. Früher stellte die Gruppe vorrangig Werkzeugmaschinen her. Heute ist der Mittelständler mit seinen mehr als 16.500 Mitarbeitern auch zum Laserspezialisten und Spitzenreiter in der Chip-Branche aufgestiegen. Das wiederum liegt an einer sehr „speziellen Beziehung“ zu der niederländischen Firma ASML, wie es auf jener Pressekonferenz heißt.
Diese Beziehung ist besonders, weil sie der deutschen Wirtschaft hilft, in einem extrem wichtigen Geschäft mitzumischen: bei der Produktion von Mikrochips. Und sie ist ein Projekt, von dem andere Mittelständler lernen können, wie viel möglich ist, wenn man Partnerschaften eingeht.
Man muss dazu wissen: Trumpf ist nicht die einzige deutsche Firma, die bei der Chip-Technologie mitmischt. Auch das Elektronik- und Optikunternehmen Carl Zeiss nimmt eine führende Rolle ein: So werden nach Angaben der Firma 80 Prozent aller Mikrochips weltweit mit ihren Technologien hergestellt. Und wie Trumpf ist auch Carl Zeiss heute ein zentraler Lieferant von ASML. ASML wiederum ist der weltweit führende Hersteller von Maschinen zur Chip-Produktion.
Während die Chips selbst vor allem in Asien und den USA gefertigt werden, kommen die dafür nötigen Maschinen meistens von europäischen Firmen. Dafür habe man sich mit ASML quasi zu einem „virtuell integrierten Unternehmen“ zusammengetan, wie es Peter Leibinger formuliert, der stellvertretende Chef von Trumpf. 200 bis 300 Mitarbeiter von Trumpf arbeiteten ständig in Veldhoven bei ASML, sogar eigene Büros unterhalte man dort.
1. Lektion: Offen sein für riskante Projekte
Begonnen hat das Ganze für Trumpf 2005 mit einer ungewöhnlichen Anfrage. ASML wollte wissen, ob der schwäbische Maschinenbauer eine leistungsfähige Laserkanone entwickeln könne. Die Holländer brauchten so eine Anlage, um sie in ihre Maschinen für die Chips der nächsten und übernächsten Generation einzubauen. 100.000 Lichtpulse pro Sekunde sollte der Laser aussenden – extrem viel. Die Entwicklung würde lange dauern und beträchtliche Kosten verursachen, ihr Erfolg war ungewiss. Die Inhaber von Trumpf sagten dennoch sofort zu. „Die Familie Leibinger hat die Entwicklung von Anfang an mitgetragen“, sagt Volker Jacobsen, der bei Trumpf das Geschäft mit Lasertechnologie für die Halbleiterindustrie verantwortet.
Die Entscheidung war riskant – und vorausschauend gleichermaßen. Drei Jahre später, in der Finanzkrise 2008, sank die Nachfrage nach Werkzeugmaschinen deutlich, die Umsätze bei Trumpf brachen massiv ein. Jetzt zahlte sich aus, dass die Inhaberfamilie ins Risiko gegangen war und bereits in den 1970er-Jahren begonnen hatte, Lasersysteme zu entwickeln. So hat Trumpf das unternehmerische Risiko auf mehrere Standbeine verteilt. „Mit Lasersystemen für andere Kunden machen wir heute etwa genauso viel Umsatz wie mit Werkzeugmaschinen“, sagt Jacobsen.
Nach der Anfrage von ASML brauchten die Ingenieure von Trumpf dennoch mehr als ein Jahrzehnt, bis sie die gewünschten Laser entwickelt hatten. Aber dann waren sie tatsächlich einsetzbar, um Hochleistungschips herzustellen. Mit den Lasern werden Zinntropfen beschossen, die sich so in ultraheißes Plasma verwandeln. Dieses Plasma sendet extrem ultraviolettes Licht (EUV) aus, dass man braucht, um irrwitzig feine Strukturen in die Chips zu ätzen. Diese Halbleiter kommen dann etwa in Smartphones, wo auf kleinstem Raum höchste Leistung gefragt ist.
Um die Chips herzustellen, braucht es neben der Lichtquelle noch etwas: ein optisches System, das das Licht lenkt – bestehend aus Spiegeln, die winzig und präzise sind. Damit landet man bei Carl Zeiss. Der Optikspezialist, der 1846 in Jena gegründet wurde und seinen Hauptsitz heute in Oberkochen im Ostalbkreis hat, besaß bereits Erfahrung im Umgang mit ultraviolettem Licht. Dennoch sei der Übergang zu EUV „ein großer Sprung“ gewesen, sagt Peter Kürz. Der Manager verantwortet bei Carl Zeiss die Entwicklung von Komponenten für die Chip-Industrie. Auch seine Leute mussten äußerst viel forschen und entwickeln.
2. Lektion: Innovationen wagen, die lange brauchen
Was besonders ist: Die schwäbischen Firmen arbeiteten an den Technologien mit einem klaren Ziel – und Durchhaltevermögen. Das war in den USA oder auch in Japan anders. Denn erste Forschungsarbeiten mit extrem ultraviolettem Licht hatten in den USA bereits in den 1980er-Jahren begonnen. Aber die Projekte blieben auf Grundlagenforschung beschränkt; zur Entwicklung von industriellen Anwendungen kam es nicht.
In Japan wiederum hatte ein Konsortium in den 1990er-Jahren die Entwicklung von EUV-Verfahren für die Chip-Herstellung gestartet. Damals war schon klar, dass mit der zunehmenden Miniaturisierung der Halbleiter irgendwann eine neue Technologie nötig werden würde. Doch es tauchten technische Schwierigkeiten auf. Canon und Nikon stellten die Entwicklung wieder ein.
Im Unterschied dazu hielt Carl Zeiss unbeirrt an dem kühnen Projekt fest. Obwohl die Bemühungen erst zwei Jahrzehnte später erfolgreich waren. Ende 2018 startete die Serienfertigung. „2019 kamen erste Smartphones, deren Prozessor mit EUV-Technologie hergestellt wurde, auf den Markt“, berichtet Kürz. Wie hoch die Kosten für Forschung und Entwicklung waren, verrät das Unternehmen nicht. Aber eine Zahl spiegelt den Aufwand gut wider: Zeiss hält in der EUV-Technologie mehr als 2000 Patente.
3. Lektion: Partnerschaften zwischen Firmen aufbauen
Wie konnte den Europäern gelingen, was weder die Amerikaner noch die Japaner schafften? Nun: In den USA und in Asien dominieren in den Hochtechnologien vielfach Großunternehmen. Sie vereinen Forschung und Entwicklung oft unter einem Dach und wollen die Dinge größtenteils autark managen. Typisch für Europa sind hingegen Netzwerke – wie die Kooperation zwischen ASML und den Lieferanten Trumpf und Zeiss. „Solche Ökosysteme sind oft erfolgreicher als hoch integrierte Konzerne“, sagt der Trumpf-Manager Volker Jacobsen.
Ein Grund: In einem Netzwerk können jederzeit neue Partner einbezogen werden, die je nach Bedarf ihr spezielles Wissen einbringen. Das EUV-Konsortium etwa arbeitet mit gut 1200 Partnern aus Industrie und Wissenschaft zusammen, darunter die Fraunhofer-Gesellschaft, Europas größter Forschungsverbund. Und die Kooperation zwischen den Kernunternehmen des Netzwerks ist sehr eng. Trumpf etwa hat dauerhaft ein Team von Entwicklern in die Niederlande zu ASML geschickt, während umgekehrt holländische Experten bei Trumpf in Schwaben aktiv sind. Ähnlich hält es Zeiss.
Dank dieser Kooperation haben ASML, Trumpf und Zeiss bei Anwendungen mit extrem ultraviolettem Licht weltweit eine Alleinstellung erreicht, die sich auszahlt: Trumpf zum Beispiel erzielte mit seinem EUV-Geschäft im letzten Geschäftsjahr einen Jahresumsatz von 795 Millionen Euro – fast doppelt so viel wie noch im Jahr zuvor. Und die drei Firmen wollen dieses Monopol auf absehbare Zeit behaupten. „Der Vorsprung, den wir uns in mehr als zwei Jahrzehnten erarbeitet haben, ist schwer einzuholen“, sagt der Carl-Zeiss-Manager Kürz. Wenn der kalifornische Halbleiter-Konzern Intel eine neue Chip-Fabrik baut, dann gilt: Ganz gleich, für welchen Standort man sich entscheidet – die mutigen pinguingleichen Mittelständler aus Deutschland dürften in jedem Fall profitieren.