Ganz heiße Eisen
ZEIT RedaktionEine Mainzer Gießerei baut systematisch ein Start-up auf, um neue Märkte zu erschließen. Warum sich der Mittelstand an das „Company-Building“ wagt – und worauf es dabei ankommt.
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 1/2024“. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.
So ganz zufrieden ist Rudi Riedel noch nicht mit dem Platz in der Fabrikhalle, den sein Team für die Zukunft reserviert hat. Riedel ist Chef von Römheld & Moelle, einer fast 160 Jahre alten Eisengießerei in Mainz, man denkt da eher an Tradition als an Innovation. Doch nun eilt der 57-Jährige durch die Halle und zeigt auf zwei turmhohe Silos voller Sand und Schläuche, durch die Harz und Härtemittel laufen. Und zwar in zwei 3-D-Drucker, jeder so groß wie ein Kleinlaster. Manche Röhren liegen im Weg, manche Behälter müssen immer wieder hin- und hergeschoben werden. „Richtig optimal sind die Abläufe mit der aktuellen Aufstellung hier noch nicht“, sagt Riedel, „aber wir wollten schnell ins Machen kommen.“
Eigentlich gießen die rund 150 Mitarbeiter von Römheld & Moelle gigantische Maschinenteile oder die Pressformen, die dann in der Autoindustrie Karosserien formen. „Bisher fühlen wir uns wohl so ab einer Tonne bis 38 Tonnen“, sagt Riedel. Doch die Branche steht unter Druck, die Energiekosten sind hoch, die Aufträge aus der Autoindustrie stocken, einige deutsche Gießereien mussten schon aufgeben. Römheld & Moelle wurde 2014 von einem Private-Equity-Unternehmen übernommen, weil die Inhaberfamilien keine Nachfolge fanden. Seit 2020 führt Rudi Riedel mit einem Kollegen die Geschäfte und muss die Gießerei mehr oder minder neu erfinden.
Riedel zog erst mal das Standardprogramm durch: Abläufe effizienter machen, den Vertrieb intensivieren, Prozesse digitalisieren. Auf der Website der Gießerei können Kunden jetzt verfolgen, in welcher Phase sich ihr Auftrag befindet. Die Gießerei setzt nun auf Ökostrom und weist den ökologischen Fußabdruck ihrer Produkte aus, auch das soll im Wettbewerb helfen. Dazu kam ein Sparkurs: Von 2020 bis Ende 2022 gab es einen „Zukunftssicherungstarifvertrag“ zwischen Geschäftsführung und Belegschaft, der schmerzhafte Gehaltseinschnitte vorsah, dafür aber betriebsbedingte Kündigungen ausschloss. Zu Jahresbeginn 2023 verkündete Riedel: „Jetzt ist Schluss mit Krise“.
Und es ist Zeit für die Zukunft. Riedel schaffte vor zwei Jahren einen ersten 3-D-Drucker an, um mit der neuen Technologie zu experimentieren. Und er beschloss, ein Start-up zu gründen, um noch mehr aus dem 3-D-Drucker herauszuholen.
„Company-Building“ oder „Venture-Building“ nennt sich diese Methode, die langsam im Mittelstand ankommt. Dabei geht es darum, innovative Geschäftsmodelle zu erdenken und schnell zu erproben. Also nicht in langwierigen Prozessen eine neue Abteilung aufzubauen, sondern mit möglichst geringem Aufwand eine neue Firma hochzuziehen. „Company-Building kann Unternehmen helfen, Innovationen deutlich strukturierter voranzutreiben“, sagt Christoph Baier, Mitgründer der Beratung Ambivation, die Mittelständler, Konzerne und Start-ups zusammenbringt. Bosch baute mit der Beratung BCG einen Leihscooter-Dienst auf (und stampfte ihn später wieder ein), Blanc & Fischer gründete mithilfe eines Dienstleisters die Marke „Atoll“, die hochwertige Kücheneinrichtung an Endkunden vertreibt. Bei Römheld & Moelle waren die 3-D-Sanddrucker der Ausgangspunkt.
Dutzende neue Kunden? „Das ist völlig ungewöhnlich für eine altehrwürdige Eisengießerei wie uns!“
Rudi Riedel, Chef und Mitinhaber von Römheld & Moelle in Mainz
Mit ihnen kann die Gießerei nun Gussformen aus mit Harz verklebtem Sand herstellen, automatisiert und ohne Modell. Sonst läuft es so: Die Mitarbeiter schneiden Styropormodelle zu, die mit Sand umhüllt werden. Wenn sie dann das flüssige Eisen in die Form gießen, verdampft das Modell aus Kunststoff. Mit den 3-D-Druckern lassen sich die Sandformen schneller herstellen. Das lohnt sich vor allem, wenn man mit ihnen Einzelanfertigungen, Prototypen, Ersatzteile oder kleine Serien gießen will.
Die Drucker allein reichen Riedel aber nicht. Er hat in einer ehemaligen Mainzer Kaserne zwei Räume gemietet. Fünf Minuten dauert die Autofahrt von der Gießerei, dann begegnet man ein paar Mittzwanzigern, deren Schreibtische hier dicht an dicht stehen. Sie bauen die Castfast GmbH auf, die Schwesterfirma des Traditionsbetriebs. Im Hintergrund raunen sich Mitarbeiter auf Englisch Programmiertipps zu, als Bildschirmständer dienen Kopierpapierpakete.
Marcel Tschillaev soll hier mit seinem fünfköpfigen Team herausfinden, was die Kunden in der Gussindustrie nervt und wie sich Römheld & Moelle von Wettbewerbern abheben kann. Üblich sind in der Branche noch wochenlange Abstimmungen zwischen Kunde und Auftraggeber. Castfast analysiert die hochgeladenen Zeichnungsdaten der Kunden dagegen mit einem Algorithmus und meldet sofort eine Preisspanne, einen Liefertermin und den CO2-Fußabdruck. Dabei konzentrieren sich Tschillaev und sein Team erst mal auf Teile, für die man den 3-D-Drucker einsetzen kann.
Castfast agiert quasi als Plattform: Es nimmt die Aufträge an, kalkuliert sie und leitet sie an Römheld & Moelle weiter. Die Gießerei hat so schon Aufträge von Dutzenden neuen Kunden für ihre Drucker erhalten. „Das ist völlig ungewöhnlich für eine altehrwürdige Eisengießerei wie uns“, sagt Rudi Riedel. Castfast will außerdem weitere Gießereien als Lieferanten gewinnen und mehr Verfahren als Eisenguss anbieten – erste Aufträge für Aluguss kamen bereits über die Website herein, Stahlguss soll folgen.
Castfast gehört zu einhundert Prozent Römheld & Moelle. Entstanden ist das Start-up aber mithilfe der Münchner Agentur Eisbach Partners. Bridgemaker, Mantro, WattX oder Xpress Ventures heißen andere Dienstleister, die sich ihren Einsatz meist mit üppigen Pauschalen vergüten lassen. Die Berater empfehlen Unternehmern wie Riedel oft erst mal etwas, das die gar nicht gewohnt sind: Feedback einholen! Kunden, so Matthias Siedler von Eisbach Partners, „sind oft sehr froh, wenn sie ihre Wünsche und Probleme zurückspielen können“.
Dann geht es darum, schnell ein Geschäftsmodell zu entwickeln, ohne es zu zerdenken. So wie beim 3-D-Drucker der Eisengießerei. Über eine rasch gezimmerte Website kamen bei Castfast Anfragen herein, bevor ein klarer Fokus feststand.
Neben dieser Start-up-Methodik bringen Dienstleister mit, was Mittelständlern fehlt: Programmierer, Designer, Projektmanager. Und bei Castfast eine Software, die Preise und Lieferzeiten kalkuliert. Dafür haben die Agenturen keine Ahnung, wie Gießen funktioniert, worauf es im Maschinenbau ankommt, was die Pharmabranche bewegt – dieses Wissen bringt der Mittelständler ein.
Die Firmen müssen dann laufend Bestandsgeschäft und Start-up ausbalancieren. „Es kann sinnvoll sein, eine Idee außerhalb des eigenen Unternehmens zu verfolgen, weil Einkauf, Regulatorik, Entscheidungsprozesse dann viel schneller sind“, sagt Anne Decker von WattX, dem Company-Builder der Viessmann-Gruppe.
Oft bringt das Konflikte mit sich. Etwa wenn erfahrene Vertriebler aus der Traditionsfirma ihre Kontakte mit den neuen innovativen Kollegen teilen müssen. Wenn in der Ausgründung größere Freiheiten herrschen. Oder wenn ins Start-up investiert wird, während der Kernbetrieb spart. Bei Römheld & Moelle mussten etwa die Mitarbeiter, die seit Jahrzehnten die Styropormodelle erstellen, ihre Fläche neu organisieren – weil die 3-D-Druck-Neulinge mehr Platz benötigten. „Am Anfang gab es durchaus viel Skepsis“, sagt Rudi Riedel.
In einer Betriebsversammlung warb der Chef für das Konzept, eine Vertreterin der IG Metall unterstützte ihn. Als Castfast startete, hätten sich engagierte Mitarbeiter sogar aus dem Urlaub gemeldet, erzählt er. Um dabei zu sein, wenn in Mainz die Krise endet und die Zukunft beginnt.