Kündigung wg. Klima
ZEIT RedaktionViele Menschen würden ihren Job aufgeben, wenn sich ihr Betrieb zu wenig für den Umweltschutz einsetzt. Nicht nur das bringt Arbeitgeber in Zugzwang
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 1/2023.“ Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.
Eigentlich mochte Silvia Brecht ihren Job. Nach dem Biologiestudium hatte die heute 32-Jährige bei einem Pharmaunternehmen in Frankfurt im Außendienst begonnen, später führte sie dort klinische Studien durch. Dann kamen die ersten Zweifel: War das der richtige Arbeitgeber für sie? Verhielt er sich ökologisch nachhaltig genug? Brecht fuhr nur mit dem Fahrrad zur Arbeit, kaufte vorwiegend Biolebensmittel und wollte auch im Job mehr für das Klima tun. „Irgendwann war ich vollends davon überzeugt, dass es nichts Wichtigeres und Spannenderes als den Klimaschutz gibt“, sagt sie. Ihr Job passte nicht mehr zu ihr. Denn ihr Arbeitgeber bemühte sich zwar. Er schaffte Elektroautos an und spendierte Bahntickets. Aber das reichte ihr nicht. Brecht kündigte und zog nach Berlin. Inzwischen arbeitet sie beim Naturschutzbund Deutschland.
Was Brecht gemacht hat, nennt sich Climate-Quitting – also dem Arbeitgeber zu kündigen, um einen klimafreundlicheren Posten anzunehmen. Das kommt inzwischen häufiger vor, zeigt eine Umfrage von Lufthansa Industry Solutions aus dem Jahr 2022. Die Beratung hat dafür mehr als 1000 Arbeitnehmer in Deutschland befragt. Das Ergebnis: 71 Prozent würden sich kurz- bis mittelfristig einen neuen Job suchen, wenn ihr Unternehmen gegen Menschenrechte oder Umweltstandards verstößt. Für 61 Prozent ist ein ethisch agierender Arbeitgeber wichtiger als ein hohes Gehalt.
Für Firmen heißt das, dass sie sich mehr für das Klima engagieren müssen – auch um ihrer Belegschaft willen: „Es reicht eben nicht, alle Glühbirnen durch LEDs auszutauschen und ein paar Firmenfahrräder anzuschaffen“, sagt Ellen Enslin, Gründerin von Ecofair Consulting. „Wer heute den Fachkräftenachwuchs überzeugen will, der muss beim Nachhaltigkeitsengagement im Unternehmen etwas bieten.“
Enslin berät mittelständische Unternehmen. Vielen falle es zunehmend schwer, engagierte und ökologisch interessierte Mitarbeiter zu finden oder zu halten. Wer zu einem grünen Arbeitgeber wechseln oder direkt im Bereich Nachhaltigkeit arbeiten will, hat heute eine große Auswahl. Das zeigt der Blick in die Jobbörse Stepstone: Im Februar gab es zum Stichwort „CSR-Management“, das Kürzel steht für Corporate Social Responsibility, mehr als 62.000 Stellengesuche.
So können Unternehmen vorgehen, um Climate Quitting zu verhindern
Dass Mitarbeiter mehr Klimaschutz von den Arbeitgebern einfordern, merken auch die Firmen, die Ellen Enslin berät. Sie rät: „Unternehmen sollten zunächst eine zentrale Anlaufstelle zu den Themen Klima und Nachhaltigkeit aufbauen.“ Das könne ein einzelner Mitarbeiter sein oder ein Team mit Kollegen aus verschiedenen Abteilungen. Bei Mittelständlern liege die Verantwortung für das Thema oft noch bei der Geschäftsführung, sagt Enslin. Das könne anfangs der richtige Weg sein, später aber sollten die Beschäftigten intensiv beteiligt werden. Weil sie gute Ideen haben und oft näher am Geschehen sind und weil das für mehr Zufriedenheit sorgen kann. Im besten Fall helfen solche Initiativen dabei, Mitarbeiter wie Silvia Brecht zu halten.
Tina Betzold will sogar für Climate-Quitter aus anderen Firmen attraktiv sein. Betzold ist Geschäftsführerin bei der Arnulf Betzold GmbH in Ellwangen und dort zuständig für das Personal. Die familieneigene Firma mit den 400 Mitarbeitern produziert Einrichtungen für Schulen, Krippen und Kindergärten – sie ist also per se in einer eher sozial nachhaltigen Branche tätig. Tina Betzold sagt, ihre Familie setze sich außerdem regelmäßig zusammen und überlege, wie sie den Nachhaltigkeitszielen der Vereinten Nationen näher kommen könnten. Zusätzlich gibt es ein 15-köpfiges Nachhaltigkeitsteam mit Mitarbeitern aus allen Abteilungen, Führungskräfte seien bewusst nicht vertreten. „Wir wollten den Weg zu mehr Nachhaltigkeit nicht allein vorgeben und unseren Mitarbeitern eine Möglichkeit bieten, sich aktiv einzubringen“, sagt Betzold.
Aus Sicht der Beraterin Enslin ist eine solche Initiative für viele kleine und mittelständische Firmen ein guter erster Schritt. „In Nachhaltigkeitsteams sollten die Abteilungen vertreten sein, die für das Thema besonders wichtig sind“, sagt Enslin. Die Arbeitsgruppen müssten sich regelmäßig treffen, Ziele setzen und diese auch erfüllen. Sonst könne es schnell passieren, dass sich wenig im Unternehmen ändert.
Wenn Unternehmen erst einmal ausloten wollten, wie groß das Interesse an und das Engagement für Nachhaltigkeit in ihren Reihen sind, könnten sie auch mit kleinen Initiativen starten, rät Enslin. Wie einem Ideenwettbewerb oder einem Anreizsystem. Auf jeden Fall aber sollten Mittelständler ein betriebliches Vorschlagswesen für Klimaschutz-Ideen etablieren. Weil Mitarbeiter wissen müssten, dass ihre Ideen gern gehört und auch ernsthaft geprüft werden.
Dazu kommt die Pflicht. Von 2024 an müssen Unternehmen mit 1000 Mitarbeitern und mehr das sogenannte deutsche Lieferkettengesetz befolgen, für Firmen mit mehr als 3000 Mitarbeitern gilt es bereits seit Beginn dieses Jahres. Das Gesetz weist Unternehmen eindeutig die Sorgfaltspflicht für den gesamten Wertschöpfungsprozess zu, vom Rohstoff bis zum fertigen Verkaufsprodukt. Firmen haften damit für Menschen- und Klimarechtsverstöße entlang ihrer Lieferkette. Mittelständler müssen stärker als bisher ihre Zulieferer kontrollieren und damit Mitarbeiter betrauen.
Bei einem Jahresumsatz von 150 Millionen Euro und mehr als 500 Mitarbeitern greift zudem das Lieferkettengesetz der Europäischen Union. Für Unternehmer heißt das wiederum: Sie müssen ihre Zulieferer und Partner noch strenger überwachen und ihre Mitarbeiter darin schulen, wie sie die Lieferketten und die Einhaltung des Gesetzes kontrollieren.
Nachhaltigkeitsmanager können helfen
Von 2025 an müssen viele Firmen auch die neue EU-Richtlinie zur Nachhaltigkeitsberichterstattung befolgen. Sie gilt für Betriebe, die mindestens zwei der drei Kriterien erfüllen: mehr als 250 Beschäftigte, eine Bilanzsumme von mehr als 20 Millionen Euro, Umsätze von mehr als 40 Millionen Euro. Auch Mittelständler wie Betzold fallen darunter – und sie müssen sich bereits heute darum kümmern, Daten für den Bericht zu erheben. So müssen Firmen künftig etwa Angaben zu ihren Nachhaltigkeitszielen, den wichtigsten nachteiligen Wirkungen des Unternehmens und zu noch nicht bilanzierten immateriellen Ressourcen machen.
Wer als Chef nicht weiß, was all das in der Praxis genau bedeutet, braucht Hilfe. Die Beraterin Enslin rät, für solche regulatorischen Anforderungen im Zweifel neue Mitarbeiter mit mehr Expertise einzustellen.
Die Unternehmerin Betzold sucht deswegen gerade nach einem Nachhaltigkeitsmanager: „Wir haben schon einige gute Gespräche geführt.“ Aber: Wer als kleines oder mittelgroßes Unternehmen auf Jobportalen ein Gesuch schaltet, konkurriert oft mit Konzernen und hat es schwer herauszustechen. Sie verlasse sich auf das „gute Standing am Standort Ellwangen“, sagt Betzold.
Zusätzlich will die Gesellschaft mit Extraleistungen punkten: Mittlerweile gibt es eine betriebseigene Kita, ein Fitnessstudio und ein Bistro, das mit regionalen Lebensmitteln kocht. Das Unternehmen heizt mit einem Blockheizkraftwerk und hat Solarpanels auf dem Dach. Die Firma ist damit unabhängig von Strom- und Wärmeerzeugern. „Wir hoffen, dass unsere Bemühungen auch extern gesehen werden“, sagt Betzold.
Wenn Unternehmen mit ihren Klimaschutzbemühungen werben, rät Ellen Enslin übrigens zu Vorsicht. Sie müssten darauf achten, nicht zu oberflächlich zu wirken. Wer ernst genommen werden will, sollte erst Ergebnisse produzieren und dann Erfolge vermelden. Nicht umgekehrt. Die Climate-Quitter schauen nämlich ganz genau hin.