ZEIT für X
Klima-Check mit Vilsa

Volle Pulle

30. Oktober 2023
ZEIT Redaktion

Im Klima-Check stellen wir Ihnen in jeder Ausgabe ein Unter­nehmen vor, das nach­hal­tiger wirt­schaften will. Den Auftakt macht ein Getränkehersteller

von Kristina Läsker

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 3/2023“. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.

Der Auslöser: Was hat Vilsa motiviert?

Was das Ozonloch ist, hat Henning Rodekohr schon als Teenager mitbekommen. In den Achtzigern sei der Treibhauseffekt ein „großes Thema“ am Früh­stücks­tisch der Familie gewesen, erzählt der Unternehmer. Der Schutz der Umwelt ist ihm seither persönlich wichtig. Der 51-Jährige ist an diesem Sommertag in die Firma geradelt, um über Klimaschutz – sein „Herzens­anliegen“ – zu sprechen. Seit dem Jahr 2007 führt der Jurist das Familien­unternehmen Vilsa-Brunnen in Bruchhausen-Vilsen, einem kleinen Ort südlich von Bremen. Nun sitzt Rodekohr im Besprechungsraum. Vor dem Fenster blüht eine Wild­blumen­wiese, hinten erstrecken sich mehrere Hallen, in denen auf sechs Linien Mineralwasser und Saftschorlen abgefüllt werden. Das Wasser stammt aus den firmeneigenen Brunnen.

Rodekohr leitet den Getränke­hersteller in vierter Generation, er hat zwei Kinder. Der 111 Jahre alte Betrieb gehört ihm zu 51 Prozent, 49 Prozent hält seine Schwester. Seit 2010 erfassen die Geschwister den internen Ausstoß von Kohlenstoff­dioxid und reduzieren ihn. Rodekohr hat damit losgelegt, sobald er als neuer Chef den Kopf frei hatte. Vilsa war mit dem ökologischen Umbau früher dran als andere und „lange bevor es en vogue war“, so Rodekohr. Seit 2019 ist die Marke als Bio-Mineralwasser zertifiziert. Dafür musste Vilsa eine Klimabilanz erstellen, die die Emissionen der gesamten Wertschöpfungs­kette über das eigene Unternehmen hinaus erfasst.

Das Unternehmen:
Vilsa-Brunnen Otto Rodekohr, Bruchhausen-Vilsen

Direkter Ausstoß von Klimagasen, gemessen in CO2-Äquivalenten, der „Scope 1“:
9966 Tonnen (12,1 Prozent)

Indirekter CO2-Ausstoß aus eingekaufter Energie, bezeichnet als „Scope 2“:
214 Tonnen (0,3 Prozent)

Indirekter CO2-Ausstoß von Zulieferern, Dienstleistern und Kunden, „Scope 3“:
72.478 Tonnen (87,7 Prozent)

CO2-Ausstoß insgesamt:
82.658 Tonnen

Quelle:
Klimabilanz 2021, Angaben in CO2-Äquivalenten

Klimaziel:
Vilsa-Brunnen will bis 2050 entlang der kompletten Wertschöpfungskette emissionsfrei sein – und maximal zehn Prozent des Ausstoßes kompensieren

Jahresumsatz 2022:
145 Millionen Euro

Mitarbeiter:
knapp 600

Wichtigstes Produkt:
Mineralwasser mit Kohlensäure

Abfüllungen pro Jahr:
etwa 600 Millionen Flaschen. Knapp die Hälfte sind Glasflaschen, der Rest Plastikflaschen (PET). 95 Prozent werden in Mehrwegflaschen abgefüllt

Die größten Klima-Sünden: Was schadet dem Klima am meisten?

Anfangs hätten sie eher „hemdsärmelig“ den CO2-Ausstoß aus dem Energie­verbrauch der Anlagen abgeleitet, erzählt der Firmenchef. Nach und nach montierte Vilsa Zähler, das brachte Aha-Momente: „Die Flaschen-Wasch­maschine verbrauchte damals am meisten Energie“, sagt er. Bis zu 50-mal befüllt Vilsa Glasflaschen neu und spült sie zuvor intensiv durch – das benötigt enorm große Mengen an Wasser.

Um die Klimabilanz seines Unternehmens zu verbessern, begann Rodekohr mit kleinen Maßnahmen. Er isolierte die Maschinen besser, das sparte Strom und Emissionen. Den Durchbruch brachte aber eine größere Investition: Seit 2018 werden Wärme und Strom in einem eigenen Block­heiz­kraft­werk erzeugt. Die indirekten Emissionen, die vorher beim Einkauf der Energie entstanden, fielen so nahezu vollständig weg (Scope 2).

Die selbst erzeugten Treib­haus­gase (Scope 1) machen heute zwölf Prozent der gesamten Emissionen des Unternehmens aus. Zwei Drittel der internen Emissionen stammen aus der Wärme­erzeugung. Im nächsten Jahr will Vilsa auf eine neue Biogas­anlage umsteigen, um diesen Ausstoß weiter zu senken.

Ein weiteres Drittel der direkten Emissionen stammt aus den Auspuffen der 17 Lkw und 80 Firmenwagen des Getränke­her­stellers. Vilsa betankt den Fuhrpark bereits heute mit einem synthetischen Diesel aus Rest- und Abfall­stoffen. Der Treibstoff ist teurer und umwelt­freundlicher als normaler Diesel. Aber das wird nicht ausreichen: Um das Klimaziel zu erreichen, darf Vilsa bis 2050 keine fossilen Brennstoffe mehr nutzen.

Vilsas größte Klimasünden erzeugen die Zulieferer und Transporteure, die für das Geschäftsmodell zentral sind (Scope 3): Bis zu 87 Prozent der Emissionen verursachen die Hersteller der Glas- und Plastik­flaschen und die Transporteure, die die Getränke an Supermärkte liefern. Dort CO2 einzusparen sei schwierig, sagt Rodekohr. „Das geht nur in enger Zusammen­arbeit mit den Lieferanten.“

Reduzieren oder kompensieren?

Im Mai 2021 überraschte Vilsa mit einem TV-Spot, in dem es vollmundig behauptete, jetzt „klimapositiv“ zu sein. Man gebe der Natur mehr zurück, als man von ihr geschenkt bekomme, hieß es. Rein rechnerisch stimmte das sogar: Der Mittelständler stieß Kohlenstoffdioxid aus, aber finanzierte zeitgleich das Anpflanzen von Kiefern und Eukalyptusbäumen in Uruguay. Der CO2-Wert der Wald-Zertifikate überstieg die internen Klimasünden.

Doch der Werbespot sorgte für Ärger: Die Initiative Foodwatch zweifelte öffentlich an, dass die Kompensation wirkungsvoll sei. Er habe das ernst genommen und die Verbraucherschützer nach Bruchhausen-Vilsen eingeladen, erzählt Rodekohr. Die Vorwürfe liefen ins Leere: „Das hat sich nicht bewahrheitet.“ Bei ihm und seiner Schwester führte der Vorfall aber zu einem Umdenken in Bezug auf Zertifikate und den damit möglichen Ausgleich in der Bilanz: „Wir verzichten auf die Bezeichnung klimapositiv.“

Künftig will Rodekohr solche Zertifikate nur noch kaufen, wenn er „einen unmittelbaren Zugriff darauf° habe. Kurz: wenn er kontrollieren kann, ob es korrekt läuft. Seit 2022 fließt das Geld aber statt in Wälder in Uruguay nun in Windparks in Indien. Langfristig will Vilsa so wenig wie nötig kompensieren und lieber lokale Klimaprojekte fördern. Zweimal hat Rodekohr in den letzten Jahren einen kleinen Wald in der Region pflanzen lassen. „Wer Fortschritt beim Klimaschutz erreichen will, sollte sich besser vor Ort engagieren.“ Was ihn ärgert: Die Aufforstungen tauchen nicht in Vilsas Klimabilanz auf, weil sie nicht zertifiziert sind.

So wird gemessen

Die Beratung Climate Partner aus München unterstützt Vilsa beim Erstellen der Treibhausgas-Bilanz und vermittelt die Zertifikate. Außerdem hat Vilsa einen eigenen Nachhaltigkeitsmanager, der direkt an Rodekohr berichtet. „Es reicht nicht aus, das Thema an externe Berater zu geben“, sagt der Firmenchef.

Inzwischen erfasst Vilsa die Emissionen mit dem Greenhouse Gas Protocol, einem oft verwendeten Standard für Klimabilanzen. Im Juli ist das Unternehmen der sehr strengen „Science Based Targets°-Initiative beigetreten und hat sich dem Netto-Null-Ziel verpflichtet. Bis 2050 will Vilsa entlang der kompletten Wertschöpfungskette emissionsfrei sein – und dafür maximal zehn Prozent Ausgleiche zulassen.

Vilsa ist anderen Getränkeherstellern damit voraus. Das zeigt der Vergleich mit dem Verband Deutscher Mineralbrunnen. Dieser will mit der Initiative „Klimaneutralität 2030“ erreichen, dass die Branche bis zum Ende des Jahrzehnts ihre gesamte Prozess- und Lieferkette klimaneutral stellt. Was ehrgeiziger klingt als bei Vilsa, ist in der Praxis aber weit weniger strikt: Denn die Hersteller dürfen demnach durch den Kauf von Zertifikaten weiterhin so viele Emissionen kompensieren, wie sie wollen. Für diese Art Ablasshandel gibt es keine Obergrenze.

Was kostet es?

Zeit: Henning Rodekohr widmet bis zu 20 Prozent seiner Arbeitszeit dem Klimaschutz.

Mühe: Teile der Belegschaft hätten für Klimaschutz sensibilisiert werden müssen, sagt Rodekohr: Vielen Mitarbeitern sei das Gewohnte „das Liebste“ gewesen.

Geld: Vilsa hat in den letzten Jahren einen „zweistelligen Millionenbetrag“ investiert, um den Energieverbrauch und die CO2-Emissionen zu reduzieren. Das wurde laut Rodekohr aus den Gewinnen bezahlt und nicht durch eine Erhöhung der Preise.

Was bringt es?

Gute Noten: Die Qualität des Wassers und der Verpackung werden von Testern gelobt. Im Juli bewertete die Stiftung Warentest die Qualität von „Vilsa Naturfrisch Medium“ mit einer 1,7. Die Umweltaspekte der Verpackung bekamen eine 1,6 – besser schnitt keine andere der geprüften Wassermarken ab.

Attraktive Arbeitsplätze: Immer mehr Bewerber legten Wert darauf, dass sich Vilsa für Klimaschutz einsetzt, so der Firmenchef. Das hilft gegen den Fachkräftemangel.

Treue Mitarbeiter: Das Engagement für mehr Nachhaltigkeit bindet Mitarbeiter. Je jünger diese seien, desto wichtiger sei der Klimaschutz für sie, so Rodekohr.