Lehren aus COP27 – Lust statt Frust
Der diesjährigen UN-Klimakonferenz sei nicht viel Positives abzugewinnen, finden viele. Gastautor Ulrich Eberl aber sagt: Ein Umbau der Weltwirtschaft bietet innovativen Unternehmen viele Chancen.
Das wichtigste Ergebnis der Klimakonferenz der Vereinten Nationen im ägyptischen Scharm el-Scheich steht nicht im Abschlussdokument. Es ist nicht der Fonds für Klimaschäden, so bedeutend er auch für die ärmsten Länder der Welt sein mag. Klimakonferenzen ähneln Therapiesitzungen für Umweltfrevler:innen. Es hat Jahrzehnte gedauert, um die Phase des Nicht-wahrhaben-Wollens zu überwinden, in der die Bedrohung durch den Klimawandel oft ignoriert wurde. Die Phase danach ist gerade zu beobachten: die Achterbahn der Gefühle. Wut, Frustration und Panik bei denen, die sich an Gemälde und Straßen kleben, und Resignation bei denen, die glauben, dass wir nichts mehr ändern können.
Das wichtigste Resultat der diesjährigen Konferenz ist etwas anderes: Selbst die größten Klimasünder:innen leugnen nicht mehr, dass gehandelt werden muss. Wir werden der Katastrophe nur entgehen, wenn fossile Ressourcen im Boden bleiben und die Rodung der Regenwälder gestoppt wird. Die Welt ist in der finalen Phase der Krisenbewältigung angekommen. Noch sind die Maßnahmen unzureichend und zu zögerlich. Noch versuchen manche, zu tricksen. Aber klar ist allen: Wir müssen weg vom fossilen „Energydrink“. Wir müssen Energie gewinnen ohne Kohle, mobil sein ohne Öl, heizen ohne Erdgas, bauen ohne Beton, wirtschaften ohne Müll, in Kreisläufen denken und uns nachhaltiger ernähren – kurz: leben mit der Natur, nicht gegen sie.
Ulrich Eberl ist Zukunftsforscher und Buchautor. In seinem aktuellen Buch „Unsere Überlebensformel“ bewertet er die global wirksamsten Lösungsstrategien für Umweltkrisen und schildert Projekte aus der Forschung, die hier Abhilfe schaffen könnten. Der promovierte Biophysiker arbeitete bei Daimler und leitete 20 Jahre lang bei Siemens die Kommunikation über Forschung und Innovationen.
Potenzial für Innovationen
Die Gewinner:innen dieses Paradigmenwechsels werden diejenigen sein, die jetzt vorangehen, die innovative Lösungen entwickeln und Geschäftsmodelle für die neue Zeit. Dies gilt für die produzierende Industrie ebenso wie für Energieunternehmen, Banken und ganze Volkswirtschaften. Die Schweizer Nachhaltigkeitsexpertin Katrin Muff hat es einmal so ausgedrückt: Firmen agieren wie im Sandkasten. Wenn Politik und Gesellschaft die Leitplanken verschieben – etwa durch Förderungen für erneuerbare Energien, Wärmepumpen und Elektroautos oder durch Abgaben für Treibhausgase und einen Wertewandel hin zu mehr Nachhaltigkeit –, dann stellen sich kreative Unternehmen darauf ein und versetzen ihr Spielzeug schnell in den neuen Sandkasten.
Genau das passiert zurzeit. Beispiel Energiesysteme: Weltweit ist Strom aus Wind- und Solaranlagen bereits kostengünstiger als der aus Kohle. Partnerschaften entstehen, in denen etwa die EU und die USA Ländern wie Südafrika helfen, die Ära der Kohle zu verlassen. Zugleich sollen in Chinas Wüsten bis 2030 Wind- und Solaranlagen mit 450 Gigawatt Leistung gebaut werden, 60 Prozent mehr, als die EU besitzt. In Deutschland gibt es allein auf Dächern noch Platz für rund 200 Gigawatt an Solarmodulen. Ähnlich viele könnten als Agri-Photovoltaik-Anlagen realisiert werden: Ackerflächen kombiniert mit darunter angebauten Kartoffeln, Gemüse oder Gras zur Viehhaltung – viel Potenzial also für innovative Firmen.
Auch die Elektromobilität steht vor dem Durchbruch, weil die Preise für Lithium-Ionen-Akkus seit 2010 um 90 Prozent gesunken sind. Die EU will wie Kalifornien ab 2035 keine Benzin- oder Dieselautos mehr neu zulassen, Großbritannien schon ab 2030. Fast alle Autohersteller und ihre Zulieferer stellen ihre Fabriken um: auf E-Mobilität und die stark zunehmende Digitalisierung. Allein in Deutschland sollen 2023 mehr als 150 verschiedene E-Modelle zu kaufen sein, auch von Herstellern aus China und sogar aus Vietnam.
Auch in der Gebäudetechnik kommt der Wandel in Gang. Ab 2024 könnten hierzulande eine halbe Million Wärmepumpen pro Jahr installiert werden – mehr als doppelt so viele wie 2022 –, hieß es von Firmen der Branche Mitte November bei einem Treffen mit Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck. Damit käme das für die Klimaneutralität nötige Ziel von sechs Millionen dieser Geräte bis 2030 und 14 Millionen bis 2045 in Reichweite. Das größte Hindernis ist hier wie bei Solaranlagen und Speichern der Fachkräftemangel. Es fehlen Zehntausende von Monteur:innen, Handwerker:innen und anderen Spezialist:innen. Neben dem Bürokratieabbau und der Neujustierung von Lieferketten müssen staatliche Stellen und Firmen daher einen Fokus auf die Aus- und Weiterbildung legen.
Krisen klug begegnen
Bei Gebäuden kommen weitere Hürden hinzu. Vermieter:innen, Mieter:innen und wenig begüterte Rentner:innen brauchen Anreize, ihre Wohnungen auf Vordermann zu bringen. So würde die Sanierung des ältesten Drittels der Gebäude in Deutschland deren Wärmebedarf um vier Fünftel verringern – ein Konjunkturprogramm und eine Win-win-Situation, weil Heizkosten und Emissionen erheblich sinken würden. Zugleich werden verstärkt Häuser mit Holz statt Beton gebaut, in Hamburg und Berlin entstehen sogar 70 bis 100 Meter hohe Holzhochhäuser.
Geradezu ein Eldorado für innovative Start-ups ist der Trend zu fleischloser Ernährung. Da wimmelt es nur so von kreativen Firmen: vom veganen Zero-Waste-Restaurant mit Biobauernhofanschluss über Novel Food mit Algen oder den Anbau von Salat und Kräutern in vollautomatisierten Glasschränken bis zu Fleischimitaten aus dem Bioreaktor. Da die Ernährungsindustrie weltweit mehr als ein Viertel aller Klimagase verursacht – und fast zwei Drittel davon auf die Fleischwirtschaft zurückgehen –, ist dies ein wichtiger Beitrag für mehr Nachhaltigkeit.
Innovative Firmen sind auf allen Feldern gefragt, die neu entstehen, vor allem rund um Wasserstoff als Speicher für Grünstrom, als Ersatz für Kohle in der Stahlindustrie und als Ausgangspunkt für synthetische, klimaneutrale Treibstoffe. Nicht zu vergessen die lernenden Maschinen für mehr Nachhaltigkeit. Künstliche Intelligenz kann den Ertrag von Windparks steigern, den Energieverbrauch von Rechenzentren, Häusern und ganzen Städten senken, Abfälle in der produzierenden Industrie verringern oder auf Äckern den Einsatz von Dünger und Pestiziden minimieren. Keine Frage: Wenn die Weltwirtschaft umgebaut werden muss, ist dies eine Krisensituation – doch zugleich eine Chance für alle kreativen Menschen, an einer lebenswerten Zukunft mitzuwirken.