ZEIT für X
Ziffer 5

„Was für ein Drama“

09. April 2024
ZEIT Redaktion

ZEIT für Unternehmer wird fünf Jahre alt. Anlass für einen Rückblick, der auch in die Zukunft weist

von Jens Tönnesmann

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 1/2024. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“.

Erst die Pandemie, dann der russische Angriff auf die Ukraine: Als im März 2019 die erste Ausgabe von ZEIT für Unternehmer erschienen ist, hätte niemand von uns für möglich gehalten, welche Krisen in kurzer Zeit aufeinander folgen würden. In diesem Magazin haben wir von Anfang an zum Thema gemacht, wie Unternehmerinnen und Unternehmer mit den Herausforderungen umgehen – und nebenbei auch noch die grüne Transformation meistern und ihre Betriebe digitalisieren.

Jetzt wird ZEIT für Unternehmer fünf Jahre alt. Das haben wir zum Anlass genommen, die Optik des Magazins zu modernisieren. Und wir haben bei jenen Unternehmerinnen und Unternehmern nachgefragt, die wir in unseren ersten Ausgaben begleitet haben: Was haben Sie in den vergangenen fünf Jahren Neues über Unternehmertum gelernt? Und welchen unternehmerischen Glaubenssatz haben Sie über den Haufen geworfen?

Verena Bahlsen, 31: Aus eigener Kraft wachsen

2019 gab uns Verena Bahlsen mit ihrem Vater Werner M. Bahlsen eines jener Doppelinterviews, die danach zu einem Markenzeichen von ZEIT für Unternehmer wurden. Darin sprach sie über ihre Rolle bei Bahlsen und die große Angst, ihren Vater zu enttäuschen. Im Jahr 2022 verkündete sie ihren Abschied von dem Süßwarenhersteller aus Hannover. Heute sagt Bahlsen, es sei für sie lange ein „Ober-Tabu“ gewesen, dass Dinge kaputtgehen. „Aber dann sind Dinge kaputtgegangen, ich habe Bahlsen verlassen und mich von meinem Vater freigeschwommen. Und ich habe gemerkt: Ich bin immer noch da! Ich beschäftige mich jetzt mit Markenentwicklung und habe ein anderes, gesünderes Verhältnis zu meinem Vater.“ Sie schließt daraus: „Es ist also manchmal sogar das Beste, wenn Dinge wie eine Arbeitssituation oder eine Beziehung kaputtgehen, damit etwas Neues entstehen kann.“

Gelernt hat Bahlsen, dass nachhaltige Entwicklung Zeit braucht. „Ich wollte viel, und das unglaublich schnell, das hat nicht funktioniert.“ Sie hat sich mit drei Partnern zusammengetan und entwickelt nun Markenstrategien für kleine Firmen. „Uns geht es nicht darum, das nächste große Rad zu drehen, viel Geld einzusammeln, zu ballern und zu skalieren“, sagt die 31-Jährige. „Wir wollen etwas über mehrere Jahre aufbauen, das aus eigener Kraft wächst.“ Und das fühle sich „richtig großartig“ an.

Susanne Berner, 48: Die Produktionsfirmen fliehen

Die Insolvenzverwalterin und Anwältin warnte schon 2019 vor einer Rezession. Heute blickt sie ernüchtert auf das Land: „Die Wirtschaft in Deutschland sei die Lokomotive in Europa, hat es lange geheißen. Ich habe inzwischen den Glauben daran verloren, dass die deutsche Wirtschaft gut genug aufgestellt ist, damit sie nicht flächendeckend getroffen werden könnte“, sagt sie. Aufgrund der gestiegenen Energiekosten, Löhne und Rohstoffpreise könnten viele Firmen nicht mehr kostendeckend produzieren: „Die Gefahr einer Deindustrialisierung ist real.“

Andreas von Bechtolsheim, 68: Deutschland, ein Rundungsfehler

Der gebürtige Bayer lebt seit den Siebzigerjahren im Silicon Valley. Er forderte vor fünf Jahren Mittelständler auf, in Software zu investieren und Ingenieure einzustellen, um nicht die Zukunft zu verpassen. Heute sagt von Bechtolsheim: „Die Entwicklungen auf dem Gebiet der künstlichen Intelligenz gingen noch schneller vonstatten, als ich 2019 erwartet hatte.“ Er warnte auch davor, dass Deutschland seine wirtschaftliche Führungsrolle einbüßen könnte, wenn es nicht auf KI setze. „Bei KI-Start-ups sind die USA bei Weitem vorne“, sagt der Unternehmer heute, Deutschland sei da nur „ein Rundungsfehler“. Zwar dürften die US-Produkte auch die Produktivität europäischer Firmen „enorm steigern“, so der 68-Jährige. „Allerdings bleibt die Wertschöpfung in der Technologie in den USA.“

Sarna Röser, 36: Geheimhaltung, nein danke

Die Familienunternehmerin aus Mundelsheim war sechs Jahre lang Bundesvorsitzende des Vereins „Die Jungen Unternehmer“. Röser sagt heute, sie habe gelernt, „wie durch ein starkes gemeinsames Netzwerk, Zusammenarbeit und den Austausch von Informationen neue Ideen geschaffen werden und Wachstum ermöglicht wird“. Sie folgert: „Der oft empfohlene Tipp ›Geheimhaltung als Schlüssel zum Erfolg‹ hat sich für mich in vielerlei Hinsicht nicht bewahrheitet.“

Harald Christ, 52: Werte verteidigen!

Der Unternehmer warnte 2019 davor, dass sich die Grenze zwischen Politik und Wirtschaft schließe. Damals engagierte er sich noch in der SPD, wechselte aber kurz darauf in die FDP. Christ hat beobachtet, dass Firmen heute häufiger im Ausland investieren, und für Arbeitskräfte sei Deutschland schon lange nicht mehr die erste Wahl, der Standort werde „immer kritischer“ gesehen. Ein Grund: „Der zunehmende Rechtsruck schreckt viele ab, das höre ich immer wieder.“

Der 52-Jährige appelliert deswegen an die Unternehmer, nicht nur für demokratische Werte, Toleranz, Vielfalt und Mitmenschlichkeit einzustehen: „Wir müssen diese Werte auch verteidigen, dafür kämpfen.“ Und zwar: „Jeden Tag – laut und deutlich.“ Nur mit stabilen gesellschaftlichen Verhältnissen könne der Wirtschaftsstandort Deutschland erfolgreich sein – und damit seine Unternehmer.

Judith Borowski, 55: Der Demokratie Schützenhilfe geben

Die Chefin des Uhrenhersteller Nomos Glashütte aus Sachsen forderte schon 2019, dass sich „Unternehmer raustrauen“, wenn es darum gehe, „Demokratie zu verteidigen und Rechtsradikalismus die Stirn zu bieten“.

Heute hat sie dafür noch ein Argument mehr: „Da Kirchen, Gewerkschaften, Vereine an Relevanz verlieren, sind unsere Unternehmen letzte Orte, wo Menschen unterschiedlichster Bildungshintergründe, jeden Alters, verschiedener Herkunft aufeinandertreffen und sich austauschen. Was für eine Chance! Und auch: Verantwortung!“
Sie habe in der Pandemie gelernt, dass es zwar die erste Aufgabe von Unternehmen bleibe, Geld zu verdienen. Das allein reiche aber nicht. „Wir müssen der Demokratie Schützenhilfe geben, wenn diese uns braucht“, findet Borowski, „wir brauchen sie ja schließlich auch.“

Miriam Wohlfarth, 54: Raus aus der Angst!

Die Seriengründerin kritisierte 2019, dass nur jede sechste mittelständische Firma von einer Frau geführt wurde. Heute ist es etwa jede fünfte. „In den Führungsstrukturen des Mittelstands sind nur geringfügige Veränderungen erkennbar“, findet sie.

Wohlfarth sagt, sie habe sich von dem Glaubenssatz verabschiedet, „dass ich mich als Unternehmerin nicht politisch äußern sollte“. Und sie habe gelernt, „dass ein gutes Team alles schaffen kann“. Es gelte, „mit Unvorhergesehenem umzugehen und dabei optimistisch zu bleiben, da sich die Dinge ständig verändern und weiterentwickeln“. Sie wünscht sich: „Wir müssen raus aus der Angst und Dinge auch einfach mal tun.“

Roland Mack, 74, und Michael Mack, 45: Optimismus gelernt

Den Macks gehört der Europapark in Rust. 2019 waren sie dabei, immer mehr digitale Inhalte wie Filme oder virtuelle Achterbahnfahrten zu entwickeln. Und sie erzählten von ihrer riesigen neuen Wasserwelt. Kaum eröffnet, musste die in der Pandemie monatelang schließen. „Was für ein Drama“, sagt Roland Mack heute. Sohn Michael findet: „Solch eine Krise möchte ich nie mehr erleben. Aber sie war und ist eine Schule mit Erfahrungen und Erkenntnissen, wie ich sie an keiner Universität hätte lernen können.“

Aus Sicht des Juniors hat die Pandemie gezeigt, „wie existenziell wichtig es war und ist, dass wir schon lange in der jungen Generation auf die Digitalisierung und Innovationen setzen“. Roland Mack betont, er habe „sehr viel über den Zusammenhalt im Unternehmen gelernt, über das Zusammenstehen und das gemeinsame Bewältigen einer existenziellen Krise“. Man sei zusammengerückt. „Die schwierigste und emotionalste Entscheidung für mich war es, mehrere Tausend Mitarbeiter in Kurzarbeit zu schicken, ohne jede Klarheit, wie es weitergeht.“

Die Staatshilfe sei dann zu zäh geflossen. Er habe begriffen, „dass man sich in der Not leider selbst helfen muss“. Nur so habe der Park überlebt. Seit 2023 investiere man wieder Millionen in die Anlage, schaffe neue Arbeitsplätze und habe 2023 rund 6,5 Millionen Besucher angelockt. Die Menschen sehnten sich nach Freizeit und Unterhaltung, „in Krisenzeiten mehr denn je“.