ZEIT für X
Drahtseil

Generationswechsel sind immer ein Draht­seil­akt

11. Januar 2023
ZEIT Redaktion

Sabrina Binz führt den Gerüstbauer Paul Becker aus Denzlingen mit ihrem Vater und ihrer Schwester. Hier erklärt sie, wie Familien­unternehmer die Nachfolge regeln können

Welche Netzwerke bilden Unternehmerinnen und Unternehmer? Jeden Monat stellen wir Ihnen hier eine Persönlichkeit vor, die Fragen eines anderen Unternehmers beantwortet – und dann einer anderen Unternehmerin selbst welche stellt.

In dieser Folge beantwortet Sabrina Binz die Fragen von Fritz Keller, einem der bekanntesten Winzer, Weinhändler und Gastronomen der Republik.

Fritz Keller: Die ganze Welt redet von Nachhaltigkeit. Wenn man die Lupe auf die Familien­unternehmen legt, die in Generationen denken und handeln, sieht man aber, dass die politischen Rahmen­bedingungen für nach­haltiges Wirtschaften immer schwieriger werden. Die neue junge Generation ist meist nicht bereit, diese Risiken und die Arbeit auf sich zu nehmen. Was muss man deines Erachtens tun und ändern?

Sabrina Binz: Zunächst mal sind Generations­wechsel immer ein Draht­seil­akt, der Respekt von allen Beteiligten erfordert. Die nach­rückende Generation muss der abtretenden Respekt entgegen­bringen – und die abtretende Generation der nach­rückenden Freiheiten lassen. Solche Freiheiten sind auch deswegen wichtig, weil die Regulierung in Deutschland unternehmerisches Denken und Handeln oft erschwert und gute Ideen oft von Vorschriften ausgebremst werden, was sehr demotivierend sein kann. Zugleich wird es gesellschaftlich nicht gewürdigt, wenn man die Dinge als Unternehmer in die Hand nimmt und dafür Risiken eingeht – noch dazu im Handwerk. Junge Menschen kriegen immer wieder zu hören, sie sollten studieren. Viele fragen sich aus diesen Gründen: Warum soll ich mir Unternehmertum antun?

Ich habe mich trotzdem dafür entschieden. Obwohl die Regulierung gerade in der Abfall­wirtschaft viel Zeit und Nerven kostet und zum Beispiel dafür sorgt, dass neue Recycling­anlagen nur mit sehr viel Büro­kratie genehmigt werden. Und damit bin ich bei dem Punkt, den du ansprichst: Spiel­regeln sind wichtig, aber sie dürfen mehr Nach­haltig­keit nicht erschweren, sondern müssen ihn erleichtern. Und wir brauchen die Politik wieder als Unterstützer des Unternehmertums und nicht als Unternehmens-Verhinderer mit einer ausartenden Bürokratie.

Sabrina Binz
© Paul Becker GmbH

Sabrina Binz, 36, leitet zusammen mit ihrem Vater Harald Becker und ihrer Schwester Vanessa Binz das Unternehmen Paul Becker aus Denzlingen. Das Familien­unternehmen hat mehrere Stand­beine und ist unter anderem in der Abfall­wirtschaft tätig, vermietet aber auch Arbeits­bühnen. Sabrina Binz verantwortet den Container­dienst und den Gerüstbau.

Du bist diesen unbequemen und zeitraubenden Weg gegangen. Weshalb? Und was schlägst du Familienbetrieben und Jung­unternehmen vor, um den Start zu erleichtern?

Ich wollte schon immer Unternehmerin sein, für mich kommt Unternehmer vom Verb unternehmen. Mein Vater Harald, der unser Unternehmen mit meiner Schwester Vanessa und mir leitet, hat uns bei diesem Wunsch immer gefördert, aber auch gefordert. Als ich mir mit 16 einen Motorroller gewünscht habe, hat er gesagt: Den Wunsch kannst du dir am besten selbst erfüllen, indem du bei uns arbeitest. So habe ich das Unternehmen früh von innen kennen­gelernt. Als ich dann nach dem Studium in die Firma eingestiegen bin, bin ich nicht als Chefin gekommen, sondern habe erst mal so gut wie jeden Job gemacht, den man bei uns machen kann. Ich saß an der Waage, bei der unsere Fahrzeuge die Abfälle anliefern, ich saß im Vertrieb und in der Disposition. Das hat mir geholfen zu verstehen, welche Verantwortung ich als Unternehmerin trage. Mein Rat an andere Unternehmerinnen und Unternehmer lautet daher: Zeigen Sie Ihren Kindern früh, was Sie tun, und machen Sie ihnen Lust darauf, mit ihren Mitarbeitern etwas zu erschaffen.

Wie bist du deinen Weg gegangen als Frau in einer doch sehr männer­dominierten Branche?

Mir war und ist es wichtig, alles selbst beurteilen zu können. Deswegen bin ich beispiels­weise mit Anfang 20 zum ersten Mal Bagger gefahren. Und ich fahre auch heute auf jedem neuen Bagger, den wir anschaffen. Und ich steige auf jedes größere Gerüst. Das hat mir viel Respekt eingebracht. Und wenn ich heute Männer aus der Abfall­wirtschaft und dem Gerüstbau treffe, dann sprechen wir dieselbe Sprache – und darauf kommt es an. Diskriminierung habe ich dagegen nie erlebt.

Was kann die Abfallwirtschaft zur Verbesserung der Umwelt­belastungen beitragen?

Abfallwirtschaft verstehe ich als Kreis­lauf­wirtschaft, die dazu einen großen Beitrag leisten kann. Vor allem, indem wir bereits beim Primär­kunden die Abfälle so sortenrein wie möglich sortieren. Da kann jeder seinen persönlichen Beitrag leisten, indem er wirklich schon bei der Entstehung trennt, so gut es geht. Denn je sorten­reiner Abfälle sind, umso besser lassen sie sich recyceln – und umso weniger davon muss verbrannt werden. Deswegen investieren wir laufend in bessere Auf­bereitungs­techniken. Und wir informieren unsere Kundinnen und Kunden im Detail darüber, welche Wertstoffe zusammen entsorgt werden dürfen und welche nicht.

Wie verändert sich die Abfall­wirtschaft in der aktuellen Energie­krise und sind wir darauf vorbereitet?

Wir spüren die Krise auf mehrfache Weise. Unsere Lastwagen und Bagger und Aufbereitungs­maschinen sind diesel­betrieben, und das ist inzwischen deutlich teurer als noch vor einem Jahr; diesen Preis­anstieg können wir nur begrenzt weitergeben. Außerdem haben viele Stahlwerke ihre Produktions­kapazitäten verringert, deswegen nehmen sie uns weniger gebrauchten Stahl ab. Das gleiche gilt für viele Papier­fabriken. Zugleich nehmen aber auch die Anreize zu, aus Abfällen Energie zu gewinnen; dafür bräuchten wir dringend mehr Anlagen. Und es wird attraktiver, elektro­betriebene Bagger einzusetzen. Noch haben wir uns zwar keinen zugelegt. Aber ich bin schon einen Probe gefahren – und bin sicher, dass es in absehbarer Zeit so weit sein wird. Die nötigen Ladesäulen haben wir jeden­falls schon.