ZEIT für X
Kaffeebauer

Wer erntet, der röstet!

04. April 2024
ZEIT Redaktion

Unternehmertum statt Entwicklungshilfe: Wie der Frosta-Chef Felix Ahlers dem äthiopischen Kaffee-Start-up Solino den Weg in den deutschen Markt geebnet hat.

von Marcus Rohwetter

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 1/2024. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“.

Per WhatsApp-Videochat meldet sich Blen Hailu aus Addis Abeba. In der äthiopischen Hauptstadt arbeitet die Marketingmanagerin für die Kaffeemarke Solino, die man in Deutschland kaufen kann. Das Produkt ist nicht außergewöhnlich. Das Konzept dahinter ist es schon. „Der Export von geröstetem Kaffee ist eine sehr gute Möglichkeit, hier im Land qualifizierte Arbeit zu schaffen“, sagt Hailu. Den Satz muss man erklären. Denn obwohl Äthiopien als Heimatland des Kaffees gilt, ist der Handel mit braunen, also gerösteten Kaffeebohnen hier sehr ungewöhnlich. Viel Geld geht dem ostafrikanischen Land deswegen verloren.

Felix Ahlers findet das ungerecht. Dabei ist er weder Aktivist noch Entwicklungshelfer, er ist ein mittelständischer Unternehmer. Ahlers, 57, ist der Chef der deutschen Tiefkühlfirma Frosta mit Sitz in Bremerhaven. Vor einigen Jahren brachte er Solino in Deutschland auf den Markt und bewies damit: Wer die Wertschöpfungskette verändert, braucht keine Entwicklungshilfe und keine Fairtrade-Almosen. Das ist die Idee. Die 150 Menschen, die heute bei Solino arbeiten, verdienen nach Unternehmensabgaben umgerechnet bis zu 300 Euro im Monat – fast zehnmal mehr als typische Kaffeebäuerinnen und -bauern. Es sind andere Jobs als früher. Bessere Jobs.

Äthiopien und Kaffee verbindet eine lange Geschichte. Der Ursprung der bekannten Arabica-Bohnen liegt im ostafrikanischen Hochland. Der Legende nach soll ein Ziegenhirte einst bemerkt haben, dass seine Tiere die Bohnen des Kaffeestrauchs gefressen und sich danach seltsam benommen haben. Ob sich der Name Kaffee von der historischen äthiopischen Provinz Kaffa ableitet oder doch von einem arabischen Wort für Lebenskraft, ist umstritten.

Heute zählt Kaffee zu den wichtigsten Wirtschaftsgütern Äthiopiens. Etwa 15 Millionen der 120 Millionen Einwohner arbeiten in der Branche. Die meist einfachen Bäuerinnen und Bauern ernten und trocknen die Bohnen. Danach verlässt der Rohkaffee das Land – meist ungeröstet, als grünlich graue Bohne. 2022 exportierte Äthiopien nach Angaben der Weltbank etwa 273.000 Tonnen Rohkaffee im Wert von 1,5 Milliarden US-Dollar. Größter Abnehmer: Deutschland. Hier wird er geröstet, verpackt und weiterverkauft. Hier wird das Geld verdient.

Kaffee gehört zu den wichtigsten Wirtschaftsgütern Äthiopiens
© Solino Kaffee gehört zu den wichtigsten Wirtschaftsgütern Äthiopiens

Bei Solino erledigen sie vieles schon vor Ort. Jeder Schritt macht das Produkt Kaffee etwas wertvoller. 30 Prozent zusätzliche Wertschöpfung bringt allein das Rösten. Zählt man noch das Portionieren, die Codierung für die Scannerkassen der Supermärkte sowie die Transportverpackung dazu, sind es 60 Prozent. Pro Kilogramm bleiben damit umgerechnet acht statt wie sonst nur fünf Euro im Land.

Das erlaubt es Solino, höhere Löhne zu zahlen. Die Attraktivität für qualifizierte Angestellte steigt, ein sich selbst erhaltender Aufschwung kommt in Gang. „Wir suchen immer nach neuen Mitarbeitern“, sagt die Managerin Hailu. „Wir könnten noch mehr produzieren und dann auch mehr Jobs schaffen.“

Bis vor 15 Jahren wurde die europäische Röstkaffee-Industrie radikal geschützt: Rohkaffee durfte man ungehindert einführen, für Röstkaffee galten Importzölle von 30 Prozent. So wurde Deutschland zu einer globalen Röstkaffeemacht. Die Anbauländer im Süden hingegen blieben in ihrer Rolle als schlecht bezahlter Rohstofflieferant gefangen. 2008 wurden die Zölle verringert. Äthiopien und anderen armen Ländern wurden sie später ganz erlassen.

Kurz zuvor war Felix Ahlers in Äthiopien, es war das Jahr 2006. Weil er eine Weile im Land festsaß, habe er bei der Deutschen Gesellschaft für Internationale Zusammenarbeit nachgefragt, „was ich denn hier tun könne“, erzählt der Frosta-Chef. „Dort erfuhr ich, dass der Zoll auf Röstkaffee bald fallen könnte – und man half mir mit ein paar Kontakten in die Kaffeebranche.“
Kurz darauf war es so weit. Die Zölle fielen. Und Ahlers kannte ein paar Leute, die Lust hatten, Kaffee zu rösten.

Ein paar Fehlschläge gab es schon, nicht alle Partner erwiesen sich anfangs als zuverlässig. 2008 aber begann die Sache zu laufen – in Eigenregie der Äthiopier. „Die Firma hat mir nie gehört. Ich wollte das auch nicht, denn dazu hätte ich dauerhaft vor Ort sein müssen“, sagt Ahlers. Er habe seine Expertise beigesteuert, Kontakte vermittelt, sogar mal einen Röster aus Hamburg runtergeschickt und Verpackungsmaschinen besorgt. „Vor allem aber spreche ich mit Edeka und Rewe, damit sie Solino mehr und mehr in ihr Sortiment aufnehmen“, sagt Ahlers. Die Handelsgesellschaft seines Vaters Dirk Ahlers vertreibt den Kaffee in Deutschland.

Felix Ahlers hat schon früher unkonventionelle Entscheidungen getroffen. So führte er 2003 bei Frosta das „Reinheitsgebot“ ein. Durch den Verzicht auf Farb- und Zusatzstoffe stiegen zwar die Kosten. Doch die Idee überzeugte die Kunden schließlich.

Sein Engagement bei Solino darf man daher auch in einem größeren Kontext sehen. Unternehmerisches Denken zu fördern, sei der „bessere Weg“, sagt Ahlers – verglichen mit den vielen Förderprogrammen, die der Norden jahrzehntelang für den Süden übrighatte. „Klassische Entwicklungshilfe verlängert nur die bestehenden Abhängigkeiten“, sagt er. „Aber wenn Menschen von ihrem wirtschaftlichen Erfolg profitieren können, dann übernehmen sie auch Verantwortung und werden kreativer.“

Wer bei Solino den Kaffee röstet und verpackt, unterschreibt hinterher auf der Packung
© Solino Wer bei Solino den Kaffee röstet und verpackt, unterschreibt hinterher auf der Packung

Ähnlich argumentiert die in Sambia geborene US-Ökonomin Dambisa Moyo. Ihr Buch Dead Aid, das etwa zur gleichen Zeit entstand wie die Idee zu Solino, analysiert die Konstruktionsfehler klassischer Entwicklungshilfe. Es liefert so zugleich das theoretische Fundament zur Kaffee-Story.

Politische Anerkennung erfährt Solino bereits. Im Januar 2023 schaute Außenministerin Annalena Baerbock (Grüne) in der Rösterei in Addis Abeba vorbei. Auf ihrem Instagram-Account postete sie anschließend Fotos – mit ihr im weißen Kittel und mit Kopfhaube. Am Beispiel des Kaffees könne man viel lernen, schrieb die Ministerin, denn derzeit bemühe sich wieder einmal alle Welt um Rohstoffe vom afrikanischen Kontinent, etwa für die grüne industrielle Revolution. Das sei „eine Riesenchance“, schrieb Baerbock, wenn wir „die Gewinne und Arbeitsplätze nicht ausschließlich in Europa, Amerika und Asien belassen“.

Wenn Menschen von ihrem wirtschaftlichen Erfolg profitieren können, dann übernehmen sie auch Verantwortung und werden kreativer.

Felix Ahlers, Frosta

Auch in Äthiopien ist der Weg von der guten Idee bis zur erfolgreichen Umsetzung mitunter weit. „Die Regierung will ja mehr Wertschöpfung im Land aufbauen“, sagt Ahlers, nur sei die riesige Bürokratie auf den Export gerösteten Kaffees nicht eingestellt: „Blen Hailu und andere hängen sich wirklich rein, um all die Stempel und Unterschriften zu bekommen, ohne die sie den Kaffee nicht ins Ausland bringen könnten.“ Mehr als 150 Tonnen waren es 2023.

In etlichen Filialen von Edeka und Rewe steht der Kaffee schon in den Regalen. Kürzlich wurde die transparente Lieferkette der Rösterei nach dem Standard ISO 22000 zertifiziert, für Solino „ein wichtiger Meilenstein“, um das Lieferkettensorgfaltsgesetz zu erfüllen. Das Kilogramm kostet im Laden dann 23 Euro. Kein Schnäppchen, aber auch nicht mehr als bei einigen klassischen Marken. Nur dass ein größerer Teil des Geldes in der Heimat des Kaffees verbleibt.