ZEIT für X
Mischwald

Wo die wilden Wälder wachsen

30. Mai 2023
ZEIT Redaktion

Lucas von Fürstenberg hat viel Forst und noch mehr Ideen. Die tägliche Heraus­forderung für den Multi-Unternehmer: Er muss die richtige Mischung der Baumarten finden, damit der Wald überleben kann

von Manuel Heckel

Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 1/2023. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“

Es schüttet im Sauerland, aber Otto ist bereit. Als sich die Koffer­raum­klappe des SUVs öffnet, wetzt der schwarze Labrador durch den Regen aus dem Haus und springt ins Auto. „Der will bloß nichts verpassen“, sagt Lucas von Fürstenberg. Der 39-Jährige ist Ottos Herrchen – und Waldbauer, Start-up-Investor, Betriebswirt, Vermieter. Er ist ein Multi-Unternehmer, der schon mal mit einer Gründung gescheitert ist und beinahe als Marketing-Spezialist beim Online-Modehändler About You gelandet wäre. Und der nun zeigen will, dass man auch da viel Neues erschaffen kann, wo Wachstum lange dauert – im Wald.

Genauer: in und rund um Brabecke, einen Ortsteil von Schmallenberg, knapp eineinhalb Stunden südöstlich von Dortmund. Keine 200 Einwohner hat das Dorf, die Häuser sind nach ihrem Baujahr durch­nummeriert. Hier lebt Lucas von Fürstenberg mit seiner Frau und den drei Kindern und bewirtschaftet rund 1700 Hektar Wald. Seine Fläche ist fast so groß wie der Berliner Bezirk Friedrichshain-Kreuzberg. Er bewirtschaftet sie auf besondere Weise: nicht mit radikalem Kahl­schlag und sorgfältiger Pflanzung in Reih und Glied, auch wenn das die Pflege und den Einschlag erleichtert. Er durchmischt lieber verschiedene Baumarten, weil sie das besser vor Krankheiten bewahrt und nachhaltiger ist. Außerdem lässt er unter dem Schutz der alten Stämme neue heran­wachsen.

Knapp die Hälfte des deutschen Waldes ist in Privat­besitz, verteilt auf etwa zwei Millionen Eigentümer. Es gibt etwa 29.000 Forst­betriebe, nur knapp 1000 bewirtschaften mehr als 1000 Hektar. Aber von Forst­unternehmern hört man selten, auch wenn sie besonders wichtig sind. 2021 hat die Bundes­regierung eine Wald­strategie beschlossen, um die Schäden von Dürre, Stürmen und durch Käfer wieder aufzuforsten – es soll das „größte ökologische Waldum­bau­programm“ in der Geschichte des Landes sein. Auf Menschen wie Lucas von Fürstenberg kommt es also an.

Nun also rein in den Wald, Otto wird ungeduldig. Ab ins Auto, auf die Landstraße. Dann eine gute Drei­viertel­stunde durch den Regen des Sauerlandes fahren. Kurven hoch, Kurven runter, eine Currywurst zum Mittag irgendwo auf halber Strecke.

Unterwegs erzählt Fürstenberg seine Geschichte: ein Austausch­jahr in den USA, Internat, BWL-Studium. Dann zum Start-up-Gründen nach Berlin: „Da habe ich mich richtig ins Leben geworfen.“ Seine Gründung, eine Online-Vermittlung für nach­haltige Reisen, schlägt fehl. Dann geht er ins Online-Marketing, entscheidet sich aber gegen die Schreib­tisch­karriere. Er zieht sich aus der Großstadt zurück in den immer wilderen Wald und übernimmt den Betrieb vom Vater. „Da hatten wir schon Respekt vor“, erinnert er sich an die gemeinsame Entscheidung mit seiner Frau.

Der Anfang ist hart. „Gleich im ersten Jahr schlug die Borken­käfer­katastrophe voll durch“, sagt er. Ein sechs­stelliger Verlust. Krisen­stimmung. Noch vor Sonnen­auf­gang marschierte er damals durch die Wälder und markierte kranke Bäume, danach folgte eine schwere Forstmaschine und fällte die Stämme. Doch Fürstenberg kam mit dem Verlust klar: In den besseren Zeiten hatte die Familie in der Region viele Immobilien gekauft. „Das macht uns unabhängig vom zyklischen Holzmarkt.“

Ankunft in Rüspe, das Dorf hat noch weniger Einwohner als Brabecke. Hier lebt der Förster, der einen Teil von Fürstenbergs Wald eigen­ständig betreut – wenn nicht gerade eine Käferplage die geballte Aufmerksamkeit erfordert. Der Kampf gegen die Schäd­linge prägt die Arbeit. Vorne rumpelt der Pick-up des Försters, dann folgt Fürstenbergs gelände­gängiges SUV. Irgendwann endet der matschige Feldweg, es geht auf 650 Meter Höhe. Früher standen hier Bäume dicht an dicht, dann kamen die Käfer. Jetzt läuft die Gruppe über eine zugige Freifläche.

Auch Ole Seidenberg und Dominik Wind stapfen mit über den Acker. Sie sind Gründer aus Berlin, mit Gummi­stiefeln im Kofferraum. Mit ihrem Start-up Skyseed wollen sie Drohnen künftig pelletiertes Saatgut ausbringen lassen. So lässt sich im bergigen Gelände schneller säen und aufforsten. Und es vereinfacht die Arbeit auf den kahlen Landstrichen, die sich die Käfer geholt haben. Auf etwa 115.000 Hektar, auf denen mal Wald wuchs, stehen in Nordrhein-Westfalen keine Bäume mehr, meldete das Land­wirtschafts­ministerium 2022, es ist eine schleichende Entwaldung. „Wenn das alles durch einen einzigen Sturm passieren würde, würde man von einer Katastrophe sprechen“, sagt Dominik Wind.

Was schlecht ist für den Wald und gut für das Start-up. Es bekommt von Waldbesitzern – durchaus eine konservative Klientel – immer mehr Aufmerksamkeit. Auch Fürstenberg hat sich an den Berlinern finanziell beteiligt. Und überlegt jetzt, die Drohnen testweise über seinen Freiflächen aufsteigen zu lassen. Die Idee: Sie könnten eine Mischung aus Spitz­wegerich, Weiden­röschen und anderen Bodendeckern abwerfen. Daraus entsteht eine krautige Schutz­schicht, in deren Schatten junge Bäume Kraft für den ersten Meter sammeln können. Das ist aber ein Balanceakt, nicht nur auf dem sumpfigen Boden der Sauerländer Höhenzüge.

Neue Technologien und sogar neue Bäume: Ein paar Hundert Meter entfernt hat Fürstenbergs Praktikant Tristan überwacht, wie die Amerikanische Roteiche gesetzt wurde. Heimisch ist der Laubbaum hier nicht. Noch nicht. „Das Klima wandelt sich rasch, die Natur kann ja nicht voraus­schauen“, sagt Fürstenberg. Die Exoten sind Teil seines Konzepts, die Natur zu verjüngen. Dazu gehört auch, dass Bäume behutsam gefällt werden: Eine schwere Maschine hebt die abgeholzten Stämme vorsichtig aus dem Wald. Drum herum, daneben, darunter wächst bereits die nächste Generation heran.

Zurück über die Feldwege, hinab ins Tal. Otto spurtet vor dem Gelände­wagen her. Nur an Gabelungen bleibt er kurz stehen, um sicher­zu­gehen, dass er in die richtige Richtung läuft. Fürstenberg kennt das Problem. Er trifft heute Entscheidungen und weiß, dass sich manche seiner Ideen erst auf den Alltag der über­nächsten Generation auswirken werden. Er sagt: „Durch die langen Zeiträume kann man nicht mal eben schnell etwas testen.“

Aber Fürstenberg ist ein Macher. Das alte, baufällige Haus, das zum Gelände gehört? Wird vielleicht bald aufgemöbelt und als Ferien­wohnung bei Airbnb gelistet. Im Online-Shop gibt es Apfelsaft, Rehrücken, sogar Baum­paten­schaften. Außerdem interessiert er sich für Windkraft. Fürstenbergs bergige Flächen sind schwierig zu bewirtschaften, doch sie sind attraktiv für Wind­park­betreiber. Denn in Höhen­lagen ist der Ertrag am besten.

Nur: Der Widerstand aus der Bevölkerung ist groß, selbst gute Bekannte wollen keine Anlagen im Blickfeld haben. „Beim Schützen­fest sparen wir das Thema aus“, sagt Fürstenberg. Doch für ihn sind die Projekte alternativlos: Einige wenige Windräder brächten so viel Ertrag pro Jahr wie der gesamte Holzverkauf. Die Energie­wende macht seine Pläne nun wahrscheinlicher. Noch sei keine konkrete Anlage spruchreif, aber der Unternehmer sagt: „Ich kann es mir einfach nicht leisten, das nicht zu machen.“

An diesem Nachmittag trifft er sich noch mit zwei weiteren Unternehmern, die im Pick-up aus dem Kölner Raum gekommen sind. Sie versprechen ihm geschulte Arbeitskräfte, die wissen, welchen Ast sie zurück­schneiden dürfen. Eigentlich übernehmen das Saison­arbeiter aus Ost­europa, doch die kommen nicht mehr hinterher.

Braucht es diese Waldpflege überhaupt? Auf Podien streitet Fürstenberg darüber gern mit dem Star-Förster Peter Wohl­leben. Der will Wälder sich selbst überlassen – Fürstenberg fährt lieber mit schwerem Gerät rein. „Es gibt den Clash zwischen dem Wald als Wirtschafts­ort und dem Wald als Sehnsuchts­ort“, sagt er. Er glaubt vor allem an Ersteres. Aber er engagiert sich auch in der „Arbeits­gemeinschaft Natur­gemäße Waldwirtschaft“ und wirbt für das Prinzip der Ökosystem­leistungen. Denn wenn ein Wald naturnah bewirtschaftet wird, bindet er Kohlen­stoff­dioxid, das sorgt für Sauerstoff und Kühlung und schafft Lebens­raum für Insekten und bedrohte Tiere.

17.000 Tonnen CO2 seien in seinem Holz gespeichert, rechnet Fürstenberg vor, 80.000 Tonnen Ruß und Staub würden jährlich durch den Wald gefiltert. Doch eine faire Vergütung erhalte er dafür nicht. Eine neu aufgelegte „Nach­haltig­keits­prämie“ des Bundes sieht er kritisch. Die verspricht Geld für Flächen, die wenig angetastet werden. Forst­verbände begrüßen den Schritt, Fürstenberg findet ihn nicht geeignet: „Ein System, bei dem man für Zielerreichungen belohnt wird und nicht fürs Nichtstun, wäre sinnvoller.“

Eine erstes Projekt findet sich auf seinen Flächen. Entlang eines Bachs wachsen statt Fichten nun Erlen. Diese Verbesserung belohnen Behörden mit „Ökopunkten“. Und die können Bauherren erwerben, wenn sie anderswo Flächen versiegeln und Ausgleich brauchen. Das Problem laut Fürstenberg: Jeder Kreis, jede Kommune regelt anders, wie viele Punkte es für welche Fläche braucht. Das macht den Naturschutz nicht leichter.

Am Forsthaus klopfen die Männer ihre Gummistiefel ab. Otto springt in den Kofferraum, Fürstenberg setzt sich ans Steuer. Es geht zurück nach Brabecke, raus aus dem Wald und rein in den Feierabend.