„Druck kann Innovationstreiber sein“
Wenn die Arbeitsbelastung der Mitarbeitenden zu hoch wird, haben Unternehmen ein Problem. Aber Druck kann durchaus motivieren. Der Arbeitspsychologe Sebastian Jakobi erklärt, wie.
Studio ZX: Herr Jakobi, was verstehen Sie als Arbeitspsychologe unter „Druck“?
Sebastian Jakobi: Als Arbeitspsychologe beschäftige ich mich mit psychischem Druck in Arbeitsverhältnissen, ich spreche in diesem Fall von Belastung. Damit sind alle Faktoren gemeint, die auf ein Individuum psychisch einwirken. Was diese Belastung mit ihm macht, hängt davon ab, welche Bewältigungsstrategien oder Ressourcen es hat, zum Beispiel wie ausgeruht die Person ist.
Es gibt Menschen, die können mit einer solchen Belastung oder Beanspruchung besser umgehen als andere. Sie arbeiten hauptsächlich mit denjenigen, die Hilfe brauchen?
Ich arbeite mit Einzelpersonen, zum Beispiel in Coachings, aber auch mit Arbeitgebern im Bereich des Arbeitsschutzes unter dem Stichwort „Gefährdungsbeurteilung psychischer Belastung“. Es gibt seit 2014 ein Gesetz, das vorschreibt, dass überall da, wo Menschen arbeiten, psychische Belastungen ermittelt und beurteilt werden müssen: Ist die Belastung zu hoch? Das heißt, ich spreche sehr viel mit Menschen darüber, welchen Druck sie erleben und was sich an ihren Arbeitsverhältnissen oder auf der persönlichen Ebene vielleicht verbessern lässt.
Der Arbeitspsychologe Sebastian Jakobi betreut Unternehmen, öffentliche Verwaltungen und andere Organisationen und führt Coachings und Beratungen zum Thema „Führen von Mitarbeitenden sowie virtueller und interkultureller Teams“ durch.
Lässt sich aus Ihrer Einschätzung sagen, welche Faktoren dabei hauptsächlich eine Rolle spielen? Sind es eher die Organisationsstrukturen in Unternehmen oder vornehmlich das Agieren der Führungskräfte?
Ich unterscheide bei der Arbeitsbelastung vier Kategorien. Arbeitsinhalte sind die erste Kategorie. Hier geht es beispielsweise darum, herauszufinden, wie gut qualifiziert die Menschen sind. Werden sie schlecht angeleitet oder überfordert, werden sie nicht weitergebildet, zum Beispiel im Bereich Digitalisierung? Zu den Arbeitsinhalten kommt als zweite Kategorie die Arbeitsorganisation: Gibt es regelmäßig Pausen, können Urlaube zuverlässig geplant werden? Bei der dritten Kategorie geht es um soziale Beziehungen: Wie laufen diese über die verschiedenen Hierarchieebenen, wie gehen Führungskräfte mit den Mitarbeitenden um? Der konkrete Arbeitsplatz ist die vierte Kategorie: Wie fühlen sich Menschen an ihrem Arbeitsplatz wohl?
Wie ist es denn bei den Führungskräften? Rein objektiv betrachtet stehen sie ja oft unter größerem Druck. Können sie besonders gut mit Druck umgehen?
Grundsätzlich kann ich das schon so beobachten, aber es geht um mehr als einfach nur eine höhere Erfolgsmotivation. Denn Führungskräfte haben auch ganz andere Freiheitsgrade. Nach arbeitspsychologischen Erkenntnissen fällt es immer leichter, mit Druck umzugehen, wenn man die eigene Arbeit und damit auch den Einfluss von Druckfaktoren steuern kann. Führungskräfte haben einen anderen Handlungsspielraum: Sie können oft selbst beurteilen, wann ein Ergebnis als gut und erfolgreich bewertet wird. Das ist ein Faktor. Außerdem kann Framing eine Rolle spielen, also wenn Führungskräfte aufgrund ihrer Rolle über Druck sprechen. Sie sollen Mitarbeitende anleiten und zu guter Arbeit motivieren. Dabei transportieren sie in ihrer Kommunikation vielleicht auch ein positiveres Bild der Arbeitsbelastung. Und letztlich sind Führungskräfte in der Regel auch Personen, die im Lebenslauf schon mehr belastende Arbeitssituationen angesammelt haben, an denen sie sich bewiesen haben und sich selbst für die Verantwortungsübernahme empfohlen haben.
Es gibt bekannte Beispiele von Unternehmer:innen, die unter Druck richtig aufzublühen scheinen – unter welchen Umständen kann Druck helfen?
Druck kann Innovationstreiber sein. Das hat sich schon während der Pandemie gezeigt, wo Unternehmer:innen unter Druck standen, sich ständig neu anpassen mussten. Damit der Druck allerdings auch positiv erlebt wird, ist es wichtig, dass am Ende ein Ergebnis steht, das als Erfolgserlebnis betrachtet werden kann.
Wichtig ist, dass wir so mit Druck umgehen, dass er unsere Weiterentwicklung fördert und wir dabei gesund bleiben.
Sebastian Jakobi
Druck kann also durchaus beflügeln. Aber sollte man Druck dosieren, damit er hilfreich ist?
Genau, es kommt auf die Dosis an. Grundsätzlich denke ich, dass Druck nicht immer schlecht sein muss. Ein bisschen Druck – ich nenne es lieber Arbeitsbelastung – kann förderlich sein, um sich zum Beispiel in Arbeitsweisen weiterzuentwickeln. Wichtig ist aber, dass man die entsprechenden Ressourcen hat, um mit dem Arbeitsdruck gut umzugehen: etwa Erholungsphasen vom Druck, ein gutes soziales Klima im Unternehmen, sinnvoll formulierte Arbeitsaufträge. Auch ein Spruch wie „No pressure, no diamonds“ kann nützlich sein, um sich selbst zu motivieren. Wenn man aber eine andere Person, die unter Druck steht, damit motivieren will, kann es leicht so wirken, als würde man die Drucksituation des Gegenübers nicht wahrnehmen. Dann wirkt der Spruch unterkomplex und flapsig oder kommt rüber als „Stell dich nicht so an!“. Man darf nicht einfach das eigene Mindset anderen überstülpen. Aber wir können und wollen psychische Belastungen nicht gänzlich vermeiden. Etwas Druck gehört zum Leben dazu. Wichtig ist, dass wir so mit Druck umgehen, dass er unsere Weiterentwicklung fördert und wir dabei gesund bleiben.