„Menschen mit Behinderung werden bei dieser Diskussion oft vergessen“
Diversity Recruiting ist wichtig. Doch gerade in Sachen Inklusion ist noch viel Aufklärungsarbeit zu tun. Das Projekt „Inklupreneur“ hilft Start-ups bei einer inklusiven Arbeitskultur.
Diversity ist zu einem der wichtigsten Themen im Recruiting geworden. Es geht nicht nur darum, den Auswahlprozess von Mitarbeitenden gerechter für alle zu gestalten. Diversity Recruiting hat auch handfeste Vorteile für Unternehmen. Denn zahlreiche Studien zeigen, dass ein hoher Grad an Diversity zu mehr Profit, Innovation und einem positiven Employer Branding beiträgt.
Unternehmen haben also gute Gründe, sich um Diversity Recruiting zu bemühen – zumal der Staat dies fordert. Denn Unternehmen mit mehr als 20 Arbeitsplätzen, die nicht fünf Prozent der Stellen mit Menschen mit einer Behinderung besetzen, müssen pro Arbeitsplatz und je nach Größe des Unternehmens zwischen 100 bis 300 Euro monatlich zahlen. Im Jahr 2020 kamen so 670 Millionen Euro an Ausgleichsabgaben zusammen – Gelder, die den Integrations- und Inklusionsämtern zugutekommen.
Doch wirkt dieser Druck überhaupt? Die Erwerbsquote nichtbehinderter Menschen liegt bei knapp 82 Prozent, bei Menschen mit Behinderung hingegen bei nur gut 44 Prozent. Nach einer Umfrage der Job-Plattform Monster hat rund die Hälfte der Deutschen noch nie mit einem Menschen mit Behinderung zusammengearbeitet. Die Zahlen lassen also zu wünschen übrig.
Inklusion: ein blinder Fleck?
Nils Dreyer möchte an dieser Situation etwas ändern. Er hat das Projekt Inklupreneur ins Leben gerufen, mit dem sein Team Menschen mit Behinderung in Start-ups bringen will. Denn das Problem lässt sich eben nicht einfach nur durch Sanktionen lösen. „Gerade innerhalb der Start-up-Szene ist das Thema Inklusion behinderter Menschen ein blinder Fleck. Diversity ist zwar cool und ein Kernwert in der Kulturentwicklung. Aber Menschen mit Behinderung werden bei dieser Diskussion oft vergessen“, erklärt Dreyer. Auch von staatlicher Seite aus gebe es einen blinden Fleck: Die Bundesagentur für Arbeit oder Integrations- und Inklusionsämter hätten Start-ups noch nicht als Zielgruppe identifiziert: „Kein Start-up würde sich bei der IHK für eine Inklusionsberatung melden. Sie sprechen nicht die gleiche Sprache“, meint Dreyer.
Gerade innerhalb der Start-up-Szene ist das Thema Inklusion ein blinder Fleck. Diversity ist zwar cool und ein Kernwert in der Kulturentwicklung. Aber Menschen mit Behinderung werden bei dieser Diskussion oft vergessen.
Nils Dreyer, Projektleiter Inklupreneur
An dieser Stelle kommt Inklupreneur ins Spiel. Dort verpflichten sich teilnehmende Start-ups dazu, Menschen mit Behinderung einzustellen, und bekommen dabei Unterstützung. Inklupreneur hilft ihnen, eine Inklusionsstrategie auszuarbeiten, gibt Trainings für Bewerbungsgespräche und stellt den Unternehmen Mentor:innen zur Seite.
Das Ganze ist für Unternehmen kostenlos, denn das Projekt wird seit seinem Start im April 2021 mit staatlichen Mitteln gefördert und läuft in Berlin und Bremen. Derzeit machen knapp 50 Start-ups mit, unter anderem der Kondomhersteller einhorn, die Lebensmittelorganisation ProVeg und das Digitalunternehmen für Kfz-Zubehör kfzteile24. „Wir haben Unternehmen im Programm, die im sechsstelligen Eurobereich Ausgleichszahlungen leisten. Das Problem wurde bisher ignoriert“, bedauert Dreyer.
Aufklärungsarbeit ist zentral
Es ist wichtig, Menschen mit Behinderung endlich als Kompetenzträger:innen wahrzunehmen. Zu den Aufgaben von Inklupreneur gehört also die Aufklärungsarbeit. Doch Nils Dreyer ist zuversichtlich, dass die Erfolgsgeschichten, die Inklupreneur gemeinsam mit Start-ups schreibt, nachhaltig wirken: „Es ist schön zu sehen, wie die Unternehmen nicht nur neue Mitarbeiter:innen mit Behinderung einstellen, sondern ihr neues Inklusionswissen auch mit in ihre Produkte einbauen.“ Dabei soll auch der Talentpool helfen: Hier können sich Menschen mit Behinderung als potenzielle Arbeitnehmer:innen registrieren, Inklupreneur vermittelt sie dann an interessierte Unternehmen.
Neben Berlin und Bremen sind Kooperationen in weiteren Bundesländern geplant. Grundsätzlich gilt die Regel: Bei mehr als zehn Selbstverpflichtungen („Pledges“) aus einem „neuen“ Bundesland bemüht sich das Team von Nils Dreyer aktiv um eine lokale Finanzierung und Umsetzung.