Achtung, manipuliert!
Wissenschaft kann Desinformationen entdecken und ihre Verbreitung verhindern. Ein Interview mit den Cybersicherheitsexperten Martin Steinebach und Michael Kreutzer.
Studio ZX: Herr Steinebach, das Thema Falschinformationen ist aktuell in aller Munde. Was hat die massive Zunahme von Desinformationen derart befeuert?
Martin Steinebach: Ich bin mir nicht sicher, ob es tatsächlich eine Zunahme der Desinformation oder vielmehr eine Beschleunigung der Verbreitung ist. Nehmen wir das Thema Krieg: Auch früher, zu Zeiten anderer Kriege, gab es Desinformationen, aber noch keine so diverse Medienlandschaft und starke Direktheit. Falschinformationen sind also an sich nichts Neues, doch durch die sozialen Netze kommt man schneller und gezielter an die Empfänger:innen heran.
Herr Kreutzer, wie sensibilisiert man sich und andere für das Thema?
Michael Kreutzer: Wir sehen die kritische Betrachtung von jedweden Meldungen als Bildungsauftrag – zwischen uns Erwachsenen, aber vor allem schon in der Schule. Es steht außer Frage, dass wir hier die Kompetenz zur kritischen Analyse brauchen, die – über das Thema der Medien hinaus – die gesamte Entwicklung der Digitalisierung begleiten muss. Wir müssen in unserem Bewusstsein verankern, dass es im Zeitalter des Internets und der sozialen Medien Absender:innen gibt, die ihre Inhalte keiner Qualitätskontrolle unterwerfen, die einer vielfach unkritischen Öffentlichkeit gegenüberstehen und die mächtige Verbreitungswerkzeuge haben.
Michael Kreutzer ist Cybersicherheitsforscher mit den Schwerpunkten Desinformationserkennung, Internetsicherheit und Post-Quantum-Kryptografie am Nationalen Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit ATHENE. Der promovierte Informatiker leitete das Forschungsprojekt „DORIAN“ am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT).
Welche Gefahren drohen Gesellschaften durch falsche Informationen?
Martin Steinebach: Ich habe nicht das Gefühl, dass eine komplette Gesellschaft empfänglich ist für Falschinformationen. Wohl aber kann man mit bestimmten Themen immer eine entsprechend große Gruppe von Personen ansprechen, so einen gewissen Teil der Gesellschaft abspalten und soziale Unruhe stiften. Beispiel Coronaimpfung: Diskussionen mit teilweise absurden, extremen und falschen Argumenten können bei einigen Menschen dazu führen, dass sie Bedenken entwickeln, behalten und sich in der Folge nicht impfen lassen.
Michael Kreutzer: Das Thema Desinformation als Bedrohung hat aus meiner Sicht durchaus das Potenzial, die Gesellschaft zu spalten und die Demokratie zu bedrohen. Gleichzeitig haben wir die freie Meinungsäußerung, die zu Recht ein ganz hohes Gut ist. Wir müssen also aufpassen, im Zuge der Bekämpfung von Desinformationen ebendiese freie Meinungsäußerung nicht selbst zu gefährden. Das wäre übers Ziel hinausgeschossen und letztlich nicht förderlich für die Demokratie.
Ist jede:r von uns gefährdet, auf Falschinformationen hereinzufallen?
Martin Steinebach: Ja, wenn beispielsweise ein Foto mutwillig in einem falschen Zusammenhang veröffentlicht wird, kann es passieren, dass man auch als gut informierte Person darauf hereinfällt. Wir alle sind auf unterschiedlicher Ebene gefährdet, selbst Expert:innen, wenn es etwa um Spear-Phishing-E-Mails geht. Die Fälschung muss nur gut genug sein! Daher sagen wir: Informationen brauchen mehrere Quellen. Man muss warten, ein wenig Geduld haben, bis die Fakten wirklich auf dem Tisch liegen, um zu verhindern, dass voreilig falsche Schlussfolgerungen gezogen werden.
Informationen brauchen mehrere Quellen. Man muss warten, ein wenig Geduld haben, bis die Fakten wirklich auf dem Tisch liegen, um zu verhindern, dass voreilig falsche Schlussfolgerungen gezogen werden.
Martin Steinebach
An dem Buch „Desinformation aufdecken und bekämpfen“ wirkten Expert:innen unterschiedlicher Fachrichtungen mit. Welchen Beitrag kann die Wissenschaft in dieser Auseinandersetzung leisten?
Michael Kreutzer: Die Mechanismen von Desinformationen und die dahinterliegenden Machtstrukturen aufzudecken ist eine wichtige Aufgabe der Zivilgesellschaft, aber auch der Forschung. Im Rahmen des Projektes „DORIAN“ des Bundesministeriums für Bildung und Forschung haben wir uns das Phänomen interdisziplinär angeschaut: aus Sicht der Medienpsychologie, der Kommunikationswissenschaft, der Rechtsforschung und natürlich der Informatik. Mit dem Internet haben Menschen die Möglichkeit, ihre (Falsch-)Informationen schnell zu verbreiten. Wir auf der Forschungsseite haben aber auch neue Möglichkeiten und automatisierte Methoden des schnellen und systematischen Identifizierens von verdächtigen Inhalten selbst in großen Datenmengen entwickelt.
Die Mechanismen von Desinformationen und die dahinterliegenden Machtstrukturen aufzudecken ist eine wichtige Aufgabe der Zivilgesellschaft, aber auch der Forschung.
Michael Kreutzer
Martin Steinebach: Wir greifen also auf Meinungsäußerungen zu, analysieren sie und reagieren entsprechend. Aus unserer Perspektive – wir möchten dazu beitragen, dass Desinformationen entdeckt und nicht verbreitet werden – klingt das prima. Die Kehrseite der Medaille sind aber mögliche Konflikte mit dem Datenschutz. Bei einem solchen Projekt muss man aus diesem Grund neben der inhaltlichen Arbeit immer auch den Datenschutz betrachten und sich Lösungen überlegen, wie man beispielsweise mit Methoden des Privacy by Design (Anm. d. Redaktion: Datenschutz durch datenschutzfreundliche Technikgestaltung als eine der vier Säulen der DSGVO) Daten aggregieren und analysieren kann, ohne dabei invasiv zu sein. Es geht hier also um die Möglichkeiten und Grenzen unserer Methoden – ein wichtiges und spannendes Forschungsthema in der Informationstechnologie!
Martin Steinebach leitet am Fraunhofer-Institut für Sichere Informationstechnologie (SIT) die Abteilung für Mediensicherheit und IT-Forensik. Der IT-Professor am Nationalen Forschungszentrum für angewandte Cybersicherheit ATHENE koordiniert das „DORIAN“-Nachfolgeprojekt „DYNAMO“, welches sich mit Desinformationen und Messengerdiensten beschäftigt.
Herr Steinebach, Sie arbeiten an technischen Konzepten, die es leichter machen sollen, Falschnachrichten zu erkennen. Welche Mittel gibt es heute?
Martin Steinebach: Wir beschäftigen uns mit der Frage, wie manipulativ eingesetzte Medien, also etwa ein Bild, im Kontext von Desinformation funktionieren und wie solche Manipulationen erkannt werden können. In der Praxis sind die meisten Beispiele einfach: Jemand nimmt ein reißerisches Foto und behauptet, es zeige eine bestimmte Situation. Den Zusammenhang können Sie und ich relativ einfach prüfen, indem wir mit der sogenannten inversen Bildersuche arbeiten. Bildmontagen sind schon komplizierter zu entlarven, dafür braucht man Systeme, die mithilfe von Algorithmen auch zusammengesetzte Bilder erkennen können. Bei richtigen Bildfälschungen kann man tatsächlich nur noch Spuren erkennen und braucht dafür forensische Methoden und entsprechende Expert:innen. Gleiches gilt natürlich auch für Texte: Wir erforschen, wie Desinformationen aufgebaut sind, welcher Sprache sie sich bedienen.
Ihr Rat, um Falschnachrichten zu entlarven?
Martin Steinebach: Wir sollten nicht alles glauben, was daherkommt, nur weil es in unser Weltbild passt und plausibel erscheint.
Michael Kreutzer: Was ich auf meinem Smartphone lese, dem kann ich nicht per se vertrauen.
Wie erkennt man nun Falschinformationen? Fünf Tipps aus dem Buch „Desinformation aufdecken und bekämpfen“ können Sie hier lesen!