ZEIT für X
Teilnehmer des World Health Summit 2022

Alle medizinische Forschung ist Global Health Forschung

21. September 2023
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Ein Beitrag von Studio ZX

Prof. Dr. Axel Radlach Pries, ­Mediziner und Professor für Physiologie, führt seit 2021 als Präsident das World Health Summit in die Zukunft. Zuvor hat er die Geschicke der Charité als Dekan gelenkt.

Von Katrin Schlotter

Wie gut ist hierzulande die Forschung zu „Global Health“ aufgestellt?

Global Health ist nicht mehr die „Tropen­medizin der Kolonial­zeit“ mit Fokus auf Infektions­erkrankungen in Ländern des globalen Südens, sondern die Weiter­entwicklung und Implementierung innovativer Medizin weltweit. Infektions­krankheiten treten auch im globalen Norden auf und nicht über­tragbare Krankheiten wie Krebs, Herz­insuffizienz und psychische Krankheiten im globalen Süden.

Diese Globalisierung medizinischer Heraus­forderungen ähnelt der Situation im inter­nationalen Handel. Güter aus anderen Welt­regionen werden nicht mehr in „Kolonial­waren­läden“ angeboten, sondern füllen Regale aller Branchen. Entsprechend ist alle medizinische Forschung Global Health Forschung, und hier ist Deutschland sehr gut auf­gestellt. Zusätzlich entstehen Institute mit einem besonderen Global Health Fokus, etwa das 2022 gegründete „Charité Center for Global Health“. Diese arbeiten weltweit in Teams mit regionalen Partnern zusammen, um medizinische Ansätze für lokale gesellschaftliche und ökologische Bedingungen zu entwickeln und umzusetzen. Der World Health Summit fördert diese Umsetzung von Global Health Forschung, indem er internationale Wissenschaft mit Politik, Industrie und Zivil­gesellschaft zusammen­bringt.

Prof. Dr. Axel Radlach Pries
© Wiebke Peitz/Charité Prof. Dr. Axel Radlach Pries

Gibt es Beispiele, wie die Forschungspower tatsächlich in die Umsetzung kommt?

Die schnelle Entwicklung von COVID-Tests und von COVID-Impfstoffen sind hervorragende Beispiele aus dem biomedizinischen Bereich. Auch in der digitalen Innovation gibt es solche Beispiele. Am Berlin Institute for Health der Charité wurde ein System entwickelt, mit dem über Mobil­telefon-­Systeme medizinische Leistungen transparent bezahlt werden können und das etwa in­ ­Madagaskar einen sicheren Zugang zu Gesundheits­leistungen ermöglicht.

75 Jahre WHO – welche Reformen würden Sie sich wünschen?

Der Reformdruck liegt primär bei den Mitgliedsstaaten, die durch grundlegende Reformen der WHO ermöglichen müssen, die zunehmenden Heraus­forderungen der globalen Gesundheit zu meistern. Die Grund­finanzierung der WHO muss hierfür wieder erheblich gesteigert werden. Aktuell wird die WHO von Mitglieds­ländern überwiegend über spezifische Projekte mit detaillierten Vorgaben finanziert. So hat die WHO kaum Chancen, nachhaltige Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Stellen Sie sich zum Vergleich den Aufsichts­rat eines Unternehmens vor, in dem einzelne Aufsichts­rats­mitglieder nach ihren Interessen dem Vorstand Gelder für einzelne Projekte zur Verfügung stellen, während die Grund­finanzierung gerade die Basis­funktionen deckt. Trotzdem muss der Vorstand des Unternehmens die Strategie des Unternehmens verantworten – ein Mikro­management-Albtraum.

Welche Rolle spielt Deutschland dabei?

Die Herausforderungen der globalen Gesundheit spiegeln eine aktuelle geostrategische Krise, die durch zwei Gefahren gekennzeichnet ist: den Neo-Impe­rialismus, wie in China und Russland, und den Neo-Nationalismus, der auch in den USA und Europa wächst. Deutschland und die EU müssen mit anderen demokratischen Ländern diesen Entwicklungen ein multi­laterales Konzept entgegen­stellen. In einer fairen und handlungs­fähigen Zusammen­arbeit müssen Aufgaben, die einzelne Nationen nicht lösen können, durch multilaterale Kooperation und Organisationen angegangen werden. Das muss so geschehen, dass es zögernde Staaten überzeugt – keine einfache Aufgabe, aber alternativlos.