Alle medizinische Forschung ist Global Health Forschung
AnzeigeProf. Dr. Axel Radlach Pries, Mediziner und Professor für Physiologie, führt seit 2021 als Präsident das World Health Summit in die Zukunft. Zuvor hat er die Geschicke der Charité als Dekan gelenkt.
Wie gut ist hierzulande die Forschung zu „Global Health“ aufgestellt?
Global Health ist nicht mehr die „Tropenmedizin der Kolonialzeit“ mit Fokus auf Infektionserkrankungen in Ländern des globalen Südens, sondern die Weiterentwicklung und Implementierung innovativer Medizin weltweit. Infektionskrankheiten treten auch im globalen Norden auf und nicht übertragbare Krankheiten wie Krebs, Herzinsuffizienz und psychische Krankheiten im globalen Süden.
Diese Globalisierung medizinischer Herausforderungen ähnelt der Situation im internationalen Handel. Güter aus anderen Weltregionen werden nicht mehr in „Kolonialwarenläden“ angeboten, sondern füllen Regale aller Branchen. Entsprechend ist alle medizinische Forschung Global Health Forschung, und hier ist Deutschland sehr gut aufgestellt. Zusätzlich entstehen Institute mit einem besonderen Global Health Fokus, etwa das 2022 gegründete „Charité Center for Global Health“. Diese arbeiten weltweit in Teams mit regionalen Partnern zusammen, um medizinische Ansätze für lokale gesellschaftliche und ökologische Bedingungen zu entwickeln und umzusetzen. Der World Health Summit fördert diese Umsetzung von Global Health Forschung, indem er internationale Wissenschaft mit Politik, Industrie und Zivilgesellschaft zusammenbringt.
Gibt es Beispiele, wie die Forschungspower tatsächlich in die Umsetzung kommt?
Die schnelle Entwicklung von COVID-Tests und von COVID-Impfstoffen sind hervorragende Beispiele aus dem biomedizinischen Bereich. Auch in der digitalen Innovation gibt es solche Beispiele. Am Berlin Institute for Health der Charité wurde ein System entwickelt, mit dem über Mobiltelefon-Systeme medizinische Leistungen transparent bezahlt werden können und das etwa in Madagaskar einen sicheren Zugang zu Gesundheitsleistungen ermöglicht.
75 Jahre WHO – welche Reformen würden Sie sich wünschen?
Der Reformdruck liegt primär bei den Mitgliedsstaaten, die durch grundlegende Reformen der WHO ermöglichen müssen, die zunehmenden Herausforderungen der globalen Gesundheit zu meistern. Die Grundfinanzierung der WHO muss hierfür wieder erheblich gesteigert werden. Aktuell wird die WHO von Mitgliedsländern überwiegend über spezifische Projekte mit detaillierten Vorgaben finanziert. So hat die WHO kaum Chancen, nachhaltige Strategien zu entwickeln und umzusetzen. Stellen Sie sich zum Vergleich den Aufsichtsrat eines Unternehmens vor, in dem einzelne Aufsichtsratsmitglieder nach ihren Interessen dem Vorstand Gelder für einzelne Projekte zur Verfügung stellen, während die Grundfinanzierung gerade die Basisfunktionen deckt. Trotzdem muss der Vorstand des Unternehmens die Strategie des Unternehmens verantworten – ein Mikromanagement-Albtraum.
Welche Rolle spielt Deutschland dabei?
Die Herausforderungen der globalen Gesundheit spiegeln eine aktuelle geostrategische Krise, die durch zwei Gefahren gekennzeichnet ist: den Neo-Imperialismus, wie in China und Russland, und den Neo-Nationalismus, der auch in den USA und Europa wächst. Deutschland und die EU müssen mit anderen demokratischen Ländern diesen Entwicklungen ein multilaterales Konzept entgegenstellen. In einer fairen und handlungsfähigen Zusammenarbeit müssen Aufgaben, die einzelne Nationen nicht lösen können, durch multilaterale Kooperation und Organisationen angegangen werden. Das muss so geschehen, dass es zögernde Staaten überzeugt – keine einfache Aufgabe, aber alternativlos.