Climate-Fiction – heute Fiktion, morgen Wahrheit
Das Genre Climate-Science-Fiction, kurz Climate-Fiction, boomt. Doch können dystopische Romane auch zum Klimaschutz beitragen? Ein E-Mail-Wechsel mit Literaturwissenschaftlerin Julia Hoydis.
Betreff: Es geht los!
Montag, 9. Mai 2022
Frau Hoydis, Sie haben im Zuge Ihrer wissenschaftlichen Arbeit beim Projekt „Climate Change Literacy“ sicher das ein oder andere Climate-Fiction-Buch gelesen. Welches ist Ihnen dabei in besonderer Erinnerung geblieben – und weshalb?
Tatsächlich habe ich vor allem im letzten Jahr fast nur Climate-Fiction gelesen, darunter einige ältere Bücher wie Octavia E. Butlers „Parable of the Sower“. Ein faszinierender amerikanischer Roman, der inzwischen fast 30 Jahre alt ist, aber erschreckend aktuell. Ansonsten meistens neuere Romane von englischsprachigen Autor:innen, die in den letzten paar Jahren erschienen sind, zum Beispiel Charlotte McConaghys „Migrations“ oder Kate Sawyers „The Stranding“. Nachhaltig beeindruckt und berührt hat mich James Bradleys „Ghost Species“. Die Geschichte spielt in Australien und handelt von einem geheimen Projekt, das versucht, das Klima durch die Wiederbelebung ausgestorbener Arten zu retten, also durch Reengineering. Darüber gibt es bisher noch wenig Literatur. Die Protagonistin, eine Wissenschaftlerin, wird dabei auch noch in ein Experiment zur Wiedererschaffung eines Neandertal-Babys hineingezogen, zu dem sie eine sehr enge Bindung entwickelt.
Dr. Julia Hoydis ist wissenschaftliche Koordinatorin des Forschungszentrums für Multidisciplinary Environmental Studies in the Humanities (MESH) an der Universität zu Köln. Als Leiterin des von der VolkswagenStiftung geförderten Projekts „Climate Change Literacy“ geht die promovierte Literaturwissenschaftlerin der Frage nach, inwieweit Climate-Fiction-Romane menschliches Handeln beeinflussen können.
Betreff: Was ist ein guter Cli-Fi-Roman?
Freitag, 13. Mai 2022
„Ghost Species“ ist also nicht – wie viele andere Werke in diesem Genre – im Kern ein Katastrophenszenario, sondern behandelt ein Thema, zu dem es wenig Literatur gibt. Ist dies ein wesentlicher Faktor für einen wirklich guten Climate-Fiction-Roman? Also eine Wissenslücke zu schließen?
Um es klar zu sagen: Es ist nicht die primäre Aufgabe von Literatur, Fakten zu transportieren und Wissen zu vermitteln, obwohl sie das natürlich auch kann und tut. Und in manchen Fällen viel besser, als es zum Beispiel der IPCC-Report macht, da Romane Fakten individualisieren und erfahrbar machen können. Die Prozesse, die sich zwischen Text und Leserschaft abspielen, sind aber komplexer, und die Wirkung von Romanen ist sehr unterschiedlich. Daher ist die Vermittlung von Literatur so wichtig, in verschiedenen Kontexten, von der Schule angefangen. Darum geht es auch im Forschungsprojekt „Climate Change Literacy“: Wir wollen herausfinden, was literarisches Lesen leisten kann im Hinblick auf den Umgang mit einem so komplexen Phänomen wie dem Klimawandel.
Es ist nicht die primäre Aufgabe von Literatur, Fakten zu transportieren und Wissen zu vermitteln, obwohl sie das natürlich auch kann und tut. Und in manchen Fällen viel besser, als es zum Beispiel der IPCC-Report macht …
Julia Hoydis, Literaturwissenschaftlerin an der Universität zu Köln
Betreff: Forschungstexte vs. Cli-Fi-Romane
Montag, 23. Mai 2022
Die Aufheizung der Welt ist ein Thema, das sehr leidenschaftlich diskutiert wird. Die Wissenschaft nutzt eine Sprache, die eher sachlich informativ ist. Haben Forschungstexte und -berichte, anders als Climate-Fiction-Romane, im Grunde gar keine Chance, genügend Aufmerksamkeit zu erhaschen?
Damit sprechen Sie das Verhältnis zwischen Faktenwissen und Emotionen an – beides scheint ja bei dem Thema Klimawandel oft im Widerspruch zu stehen. Außerdem die Frage, warum die Wissenschaft seit nunmehr gut zwei Jahrzehnten daran scheitert, die Dringlichkeit des Themas so zu kommunizieren, dass sich etwas ändert. Andauernder, nüchterner Krisenkommunikation und düsteren Warnungen wollen die wenigsten Leute zuhören. Climate-Fiction-Romane haben sicher den großen Vorteil, dass sie auch unterhaltsam sein können. Allerdings muss man genau hinschauen: Wer Climate-Fiction liest, gehört zu jenem Teil der Bevölkerung, der dem Thema bereits Aufmerksamkeit schenkt und auch andere Forschungs- und Medienberichte dazu verfolgt. Ob diese Literatur also wirklich ein anderes Publikum erreicht und informiert, ist fraglich. Da sind wir wieder bei der Bildung, und hier muss man ansetzen.
Andauernder, nüchterner Krisenkommunikation und düsteren Warnungen wollen die wenigsten Leute zuhören. Climate-Fiction-Romane haben sicher den großen Vorteil, dass sie auch unterhaltsam sein können.
Julia Hoydis, Literaturwissenschaftlerin an der Universität zu Köln
Betreff: Begriffsdefinitionen
Dienstag, 31. Mai 2022
Da wir beim Thema Bildung sind: Vielleicht helfen Sie uns einmal bei der Differenzierung der Begrifflichkeiten, die in diesem Themenkosmos kursieren. Climate-Science-Fiction, Climate-Change-Fiction, Öko-Thriller – wo ist der Unterschied?
Den Begriff „Climate-Fiction“ hat der Klimaliteratur-Aktivist Dan Bloom 2007 erstmalig verwendet. Er bezeichnet literarische Texte, in denen der Klimawandel eine zentrale Rolle spielt. Analog zu „Sci-Fi“ – Science-Fiction – handelt es sich dabei oftmals um spekulative Texte, die in der Zukunft spielen und in Welten, die unserer zwar ähnlich sind, aber doch von ihr verschieden. Man findet jedoch mehr und mehr realistische Texte – der Klimawandel kommt uns in der realen ebenso wie in der fiktionalen Welt also immer näher! Öko-Thriller sind eine spezielle Form von „Cli-Fi“, nämlich Krimis, die gesellschaftskritisch ökologische und Endzeit-Themen aufgreifen, die auf Spannung angelegt sind und in denen meistens irgendein Verbrechen oder ein Geheimnis aufgeklärt wird. Frank Schätzings „Der Schwarm“ und Andreas Eschbachs „Ausgebrannt“ sind populäre Beispiele.
Betreff: Klimaschutz dank Literatur?
Mittwoch, 1. Juni 2022
Der Begriff „Literacy“ beschreibt ja in seiner komplizierteren Form, komplexe Zusammenhänge zu verstehen und daraus Handlungen abzuleiten. Verfolgt „Climate Change Literacy“ also die Absicht, Menschen zu mehr Klimaschutz zu bewegen?
Bestimmt haben viele Autor:innen die Absicht, Geschichten zu erzählen, die die Menschen bewegen und die auch Neues über den Klimawandel und die Zukunft unseres Planeten hervorbringen. Aber man sollte in der Literatur generell immer vorsichtig damit sein, von Absichten und Effekten zu sprechen, da diese vergleichsweise schwer messbar sind. Hier tut sich aktuell im Feld des „empirical ecocriticism“, also der empirischen Ökoliteraturforschung, viel. Aus meiner Sicht ist der willkommene Effekt übrigens nicht primär, dass sich die Leute für mehr Klimaschutz engagieren, sondern dass sie die Fähigkeit ausbilden, komplexe Zusammenhänge zu verstehen. Damit lassen sich viele Krisen besser meistern.
Betreff: Utopie statt Dystopie
8. Juni 2022
In einer Welt voller Krisen wäre etwas Utopie auch schön. Lesen wir künftig vielleicht mehr hoffnungsvolle Climate-Fiction-Bücher, oder widerspricht dies dem Genre?
Es gibt tatsächlich ein großes Bedürfnis nach hoffnungsvolleren Geschichten, und das zeigt sich auch in neuerer Climate-Fiction. Es gibt beispielsweise Romane wie Kim Stanley Robinsons „The Ministry for the Future“, in denen grundlegende gesellschaftliche Transformationen imaginiert werden, oder Texte wie Amitav Ghoshs „Gun Island“, in denen es um die (Wieder-)Entdeckung von Mythen, Spiritualität und positiven Formen der Koexistenz aller Spezies geht. Andere Werke machen Hoffnung, dass es eine neue Generation geben wird, die die Welt anders sieht und anders mit ihr umgeht. Diese Prämisse haben wir etwa in Richard Powers‘ „Bewilderment“ – einem Roman, der hoffnungsfroh, aber zugleich auch unglaublich traurig ist. Aus literaturwissenschaftlicher Sicht jedoch existieren eigentlich keine reinen Utopien. Die besseren oder bestmöglichen Welten sind nie besser für alle, sondern immer nur für einige wenige und dabei gleichzeitig Dystopien für andere.