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„Im Idealfall greifen Hightech und Ökologie ineinander“

10. Januar 2023
Ein Artikel von Studio ZX

Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Bevölkerungs­wachstum machen einen grundlegenden Wandel der Nahrungs­mittel­produktion erforderlich. Digitalisierung, Robotik und Grüne Gentechnik könnten zur Problemlösung beitragen. Ein Gespräch mit Agrarökonom Matin Qaim.

In den kommenden Jahrzehnten wird die Nachfrage nach land­wirtschaftlichen Erzeugnissen erheblich steigen. Im Jahr 2050 wird sie wohl 60 bis 100 Prozent höher liegen als 2005. Gleich­zeitig machen Dürren, Boden­erosion und falsche Bewirtschaftung von Äckern es immer schwieriger, ausreichend Erträge zu erzielen. Zudem trägt die gängige land­wirtschaftliche Praxis erheblich zum Arten­sterben bei – vor allem wegen der Verwendung von giftigen Spritz­mitteln und der Zerstörung von natürlichen Acker­rändern oder Bauminseln.

Agrarexpert:innen sind davon überzeugt, dass sich viele Probleme dank neuartiger Landmaschinen und Methoden der Grünen Gentechnik lösen lassen. Zu ihnen gehört der Direktor des Zentrums für Entwicklungs­forschung (ZEF) der Universität Bonn, Matin Qaim. Schwerpunkte seiner Forschung sind die Entwicklung einer nach­haltigen Landwirtschaft vor dem Hinter­grund knapper natürlicher Ressourcen und die Auswirkungen der Gentechnik auf die Welt­ernährung.

Studio ZX: Herr Qaim, Sie verfolgen seit 30 Jahren die Entwicklungen der Land­wirtschaft. Wenn Sie die Veränderungen der vergangenen Jahre und die aktuellen Heraus­forderungen weiterdenken, wie könnte dann der Agrarbereich in 20 Jahren aussehen?

Matin Qaim: Prognosen sind schwierig. Ich entwickle deshalb einfach ein Szenario, wie ich es mir wünschen würde. Wir brauchen eine Landwirtschaft, die viel­fältiger ist als die heutige. Das heißt: Es muss mehr Kulturarten auf kleineren Feldern geben – möglichst gut angepasst an die jeweiligen Boden­qualitäten. Wir brauchen aufeinander abgestimmte Frucht­folgen, bei denen Gründüngung mit Klee oder anderen Pflanzen, die den Boden verbessern, eine zentrale Rolle spielt. Mehr naturnahe Landschafts­elemente, also Büsche, Bäume und Hecken­streifen, sind extrem wichtig für eine höhere Biodiversität. Das kann auch gut für die Erträge sein und schützt die Böden vor Erosion.

Büsche, Bäume und Hecken­streifen sind extrem wichtig für eine höhere Biodiversität.

Verträgt sich das mit der Notwendigkeit, hohe Erträge zu erzielen, um die Ernährung der Welt­bevölkerung zu sichern? Immerhin werden 2050 rund zehn Milliarden Menschen auf dem Planeten leben.

Wenn wir die genannten Ziele erreichen und gleich­zeitig die Erträge steigern wollen, erfordert das neue und bessere Technologien. Entscheidend werden Mess­systeme sein, die präzise analysieren können, was mit der einzelnen Pflanze und um sie herum geschieht. Wie viel Nährstoffe braucht sie zu einem bestimmten Zeitpunkt? Von welchen Schädlingen wird sie befallen? Und wie lassen sich dann die Düngung und die Schädlings­bekämpfung punkt­genau durch­führen?

Äcker werden in der Zukunft vermutlich mit umfangreichen digitalen Hilfs­mitteln und mit ganz anderen Geräten bestellt werden. Große Land­maschinen, die Böden verdichten und auf diese Weise schädigen, werden zunehmend verschwinden und durch kleinere, leichtere Maschinen wie etwa selbst­fahrende Roboter ersetzt. Ich kann mir auch vorstellen, dass zunehmend Drohnen und Satelliten zum Einsatz kommen. Das alles mutet noch futuristisch an, kann die Land­wirtschaft aber ein großes Stück in Richtung von mehr Nach­haltigkeit weiter­bringen. Auch neue Züchtungs­technologien sollten integriert werden, weil diese uns helfen können, mit viel weniger Chemie hohe Erträge zu erzielen. Im Ideal­fall greifen Hightech und Ökologie ineinander.

Matin Qaim
© Universität Bonn

Matin Qaim ist Agrarökonom und lehrt an der Universität Bonn. Er leitet dort als Direktor das Zentrum für Entwicklungs­forschung (ZEF). Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen der Welt­ernährung und der nach­haltigen Land­wirtschaft vor dem Hinter­grund knapper natürlicher Ressourcen. Qaim interessiert sich dabei insbesondere für die Klein­bäuer:innen in den Entwicklungs­ländern, wo er Wechsel­wirkungen zwischen Land­wirtschaft, Ernährung und Armut erforscht.

Unter „neue Züchtungsmethoden“ verstehen Sie vermutlich moderne Grüne Gentechnik?

Ja. Über die schon länger verwendeten Verfahren des Gen­transfers hinaus stehen seit einigen Jahren auch andere Werkzeuge der Genom-Editierung bereit, so zum Beispiel die Genschere CRISPR/Cas9.

In den 1990er-Jahren waren Sie noch ein erklärter Gegner der Gentechnik. Heute sehen Sie in der Grünen Gen­technik eine Chance, die wachsende Welt­bevölkerung zu ernähren. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?

Als ich damals anfing, über das Potenzial der Gentechnik für die Länder des Globalen Südens zu forschen, hatte ich Vorbehalte, weil die Technologien als teuer und risiko­reich galten. Überdies waren die ersten Anwendungen – wie etwa herbizidtolerante Sojabohnen – für Kleinbauern nicht besonders relevant. Auch wusste man über die möglichen Neben­wirkungen noch sehr wenig. Heute gelten gentechnisch veränderte Pflanzen als genauso sicher wie konventionell gezüchtete. Die Entwicklung vieler interessanter Anwendungen für unter­schiedlichste Situationen ist technisch möglich. Ich habe selbst die Effekte schädlings­resistenter Pflanzen in verschiedenen Ländern Afrikas, Asiens und Latein­amerikas untersucht und dabei fest­gestellt, dass Klein­bauern so erheblich von höheren Erträgen profitieren und dabei chemische Pestizide einsparen können.

Heute gelten gen­technisch veränderte Pflanzen als genauso sicher wie konventionell gezüchtete.

Warum glauben Sie, dass Grüne Gentechnik heute als sicherer eingeschätzt werden kann als noch vor einigen Jahrzehnten?

Es ist durchaus sinnvoll, bei neuen Technologien anfangs vorsichtig zu sein, bis man mehr über die möglichen Risiken weiß. Aber dieses Argument gilt 30 Jahre später nicht mehr, wenn Hunderte von Studien zeigen, dass es keine unerwarteten Umwelt- und Gesundheits­effekte gibt. Jede neue Sorte kann auch unerwünschte Wirkungen haben, aber das hat nichts mit der verwendeten Züchtungs­methode zu tun – gilt also für konventionelle Züchtung genauso wie für die Gen­technik. Hinzu kommt, dass die neuen Methoden der Gentechnik – einschließlich der Genschere­verfahren – deutlich präziser sind als die ursprünglich verwendeten.

Warum sind die Vorbehalte gegen diese neue Form der pflanzen­basierten Gentechnik heute immer noch so weit verbreitet?

Die Erkenntnisse über die Sicherheit der Gentechnik und die positiven Effekte für die Umwelt und die Bauern in anderen Teilen der Welt haben bisher kaum ihren Weg in die öffentliche Debatte gefunden, weil sich die Vorurteile festgesetzt haben und durch falsche Horror­meldungen von gen­technik­kritischen Gruppierungen weiter befeuert werden.

Vorausgesetzt, die Gesellschaft würde die Methode der Genschere zur Veränderung von Nahrungs­pflanzen akzeptieren: Wie könnte das die Land­wirtschaft in den nächsten Jahrzehnten verändern?

Es könnte die Entwicklung von wichtigen Pflanzen­eigenschaften wie Krankheits- und Schädlings­resistenzen, die Robustheit gegen Hitze und Trocken­stress oder die effizientere Stickstoff- und Phosphor­verwertung beschleunigen. Es könnte helfen, die Landwirtschaft ertragreicher, umwelt­freundlicher und klima­angepasster zu machen. Natürlich ist die Gentechnik kein Allheilmittel, sondern ein Baustein in einer Strategie für nach­haltige Entwicklung.

Natürlich ist die Gentechnik kein Allheil­mittel, sondern ein Baustein in einer Strategie für nachhaltige Entwicklung.