„Im Idealfall greifen Hightech und Ökologie ineinander“
Klimawandel, Biodiversitätsverlust und Bevölkerungswachstum machen einen grundlegenden Wandel der Nahrungsmittelproduktion erforderlich. Digitalisierung, Robotik und Grüne Gentechnik könnten zur Problemlösung beitragen. Ein Gespräch mit Agrarökonom Matin Qaim.
In den kommenden Jahrzehnten wird die Nachfrage nach landwirtschaftlichen Erzeugnissen erheblich steigen. Im Jahr 2050 wird sie wohl 60 bis 100 Prozent höher liegen als 2005. Gleichzeitig machen Dürren, Bodenerosion und falsche Bewirtschaftung von Äckern es immer schwieriger, ausreichend Erträge zu erzielen. Zudem trägt die gängige landwirtschaftliche Praxis erheblich zum Artensterben bei – vor allem wegen der Verwendung von giftigen Spritzmitteln und der Zerstörung von natürlichen Ackerrändern oder Bauminseln.
Agrarexpert:innen sind davon überzeugt, dass sich viele Probleme dank neuartiger Landmaschinen und Methoden der Grünen Gentechnik lösen lassen. Zu ihnen gehört der Direktor des Zentrums für Entwicklungsforschung (ZEF) der Universität Bonn, Matin Qaim. Schwerpunkte seiner Forschung sind die Entwicklung einer nachhaltigen Landwirtschaft vor dem Hintergrund knapper natürlicher Ressourcen und die Auswirkungen der Gentechnik auf die Welternährung.
Studio ZX: Herr Qaim, Sie verfolgen seit 30 Jahren die Entwicklungen der Landwirtschaft. Wenn Sie die Veränderungen der vergangenen Jahre und die aktuellen Herausforderungen weiterdenken, wie könnte dann der Agrarbereich in 20 Jahren aussehen?
Matin Qaim: Prognosen sind schwierig. Ich entwickle deshalb einfach ein Szenario, wie ich es mir wünschen würde. Wir brauchen eine Landwirtschaft, die vielfältiger ist als die heutige. Das heißt: Es muss mehr Kulturarten auf kleineren Feldern geben – möglichst gut angepasst an die jeweiligen Bodenqualitäten. Wir brauchen aufeinander abgestimmte Fruchtfolgen, bei denen Gründüngung mit Klee oder anderen Pflanzen, die den Boden verbessern, eine zentrale Rolle spielt. Mehr naturnahe Landschaftselemente, also Büsche, Bäume und Heckenstreifen, sind extrem wichtig für eine höhere Biodiversität. Das kann auch gut für die Erträge sein und schützt die Böden vor Erosion.
Büsche, Bäume und Heckenstreifen sind extrem wichtig für eine höhere Biodiversität.
Verträgt sich das mit der Notwendigkeit, hohe Erträge zu erzielen, um die Ernährung der Weltbevölkerung zu sichern? Immerhin werden 2050 rund zehn Milliarden Menschen auf dem Planeten leben.
Wenn wir die genannten Ziele erreichen und gleichzeitig die Erträge steigern wollen, erfordert das neue und bessere Technologien. Entscheidend werden Messsysteme sein, die präzise analysieren können, was mit der einzelnen Pflanze und um sie herum geschieht. Wie viel Nährstoffe braucht sie zu einem bestimmten Zeitpunkt? Von welchen Schädlingen wird sie befallen? Und wie lassen sich dann die Düngung und die Schädlingsbekämpfung punktgenau durchführen?
Äcker werden in der Zukunft vermutlich mit umfangreichen digitalen Hilfsmitteln und mit ganz anderen Geräten bestellt werden. Große Landmaschinen, die Böden verdichten und auf diese Weise schädigen, werden zunehmend verschwinden und durch kleinere, leichtere Maschinen wie etwa selbstfahrende Roboter ersetzt. Ich kann mir auch vorstellen, dass zunehmend Drohnen und Satelliten zum Einsatz kommen. Das alles mutet noch futuristisch an, kann die Landwirtschaft aber ein großes Stück in Richtung von mehr Nachhaltigkeit weiterbringen. Auch neue Züchtungstechnologien sollten integriert werden, weil diese uns helfen können, mit viel weniger Chemie hohe Erträge zu erzielen. Im Idealfall greifen Hightech und Ökologie ineinander.
Matin Qaim ist Agrarökonom und lehrt an der Universität Bonn. Er leitet dort als Direktor das Zentrum für Entwicklungsforschung (ZEF). Er beschäftigt sich seit vielen Jahren mit Fragen der Welternährung und der nachhaltigen Landwirtschaft vor dem Hintergrund knapper natürlicher Ressourcen. Qaim interessiert sich dabei insbesondere für die Kleinbäuer:innen in den Entwicklungsländern, wo er Wechselwirkungen zwischen Landwirtschaft, Ernährung und Armut erforscht.
Unter „neue Züchtungsmethoden“ verstehen Sie vermutlich moderne Grüne Gentechnik?
Ja. Über die schon länger verwendeten Verfahren des Gentransfers hinaus stehen seit einigen Jahren auch andere Werkzeuge der Genom-Editierung bereit, so zum Beispiel die Genschere CRISPR/Cas9.
In den 1990er-Jahren waren Sie noch ein erklärter Gegner der Gentechnik. Heute sehen Sie in der Grünen Gentechnik eine Chance, die wachsende Weltbevölkerung zu ernähren. Warum haben Sie Ihre Meinung geändert?
Als ich damals anfing, über das Potenzial der Gentechnik für die Länder des Globalen Südens zu forschen, hatte ich Vorbehalte, weil die Technologien als teuer und risikoreich galten. Überdies waren die ersten Anwendungen – wie etwa herbizidtolerante Sojabohnen – für Kleinbauern nicht besonders relevant. Auch wusste man über die möglichen Nebenwirkungen noch sehr wenig. Heute gelten gentechnisch veränderte Pflanzen als genauso sicher wie konventionell gezüchtete. Die Entwicklung vieler interessanter Anwendungen für unterschiedlichste Situationen ist technisch möglich. Ich habe selbst die Effekte schädlingsresistenter Pflanzen in verschiedenen Ländern Afrikas, Asiens und Lateinamerikas untersucht und dabei festgestellt, dass Kleinbauern so erheblich von höheren Erträgen profitieren und dabei chemische Pestizide einsparen können.
Heute gelten gentechnisch veränderte Pflanzen als genauso sicher wie konventionell gezüchtete.
Warum glauben Sie, dass Grüne Gentechnik heute als sicherer eingeschätzt werden kann als noch vor einigen Jahrzehnten?
Es ist durchaus sinnvoll, bei neuen Technologien anfangs vorsichtig zu sein, bis man mehr über die möglichen Risiken weiß. Aber dieses Argument gilt 30 Jahre später nicht mehr, wenn Hunderte von Studien zeigen, dass es keine unerwarteten Umwelt- und Gesundheitseffekte gibt. Jede neue Sorte kann auch unerwünschte Wirkungen haben, aber das hat nichts mit der verwendeten Züchtungsmethode zu tun – gilt also für konventionelle Züchtung genauso wie für die Gentechnik. Hinzu kommt, dass die neuen Methoden der Gentechnik – einschließlich der Genschereverfahren – deutlich präziser sind als die ursprünglich verwendeten.
Warum sind die Vorbehalte gegen diese neue Form der pflanzenbasierten Gentechnik heute immer noch so weit verbreitet?
Die Erkenntnisse über die Sicherheit der Gentechnik und die positiven Effekte für die Umwelt und die Bauern in anderen Teilen der Welt haben bisher kaum ihren Weg in die öffentliche Debatte gefunden, weil sich die Vorurteile festgesetzt haben und durch falsche Horrormeldungen von gentechnikkritischen Gruppierungen weiter befeuert werden.
Vorausgesetzt, die Gesellschaft würde die Methode der Genschere zur Veränderung von Nahrungspflanzen akzeptieren: Wie könnte das die Landwirtschaft in den nächsten Jahrzehnten verändern?
Es könnte die Entwicklung von wichtigen Pflanzeneigenschaften wie Krankheits- und Schädlingsresistenzen, die Robustheit gegen Hitze und Trockenstress oder die effizientere Stickstoff- und Phosphorverwertung beschleunigen. Es könnte helfen, die Landwirtschaft ertragreicher, umweltfreundlicher und klimaangepasster zu machen. Natürlich ist die Gentechnik kein Allheilmittel, sondern ein Baustein in einer Strategie für nachhaltige Entwicklung.
Natürlich ist die Gentechnik kein Allheilmittel, sondern ein Baustein in einer Strategie für nachhaltige Entwicklung.