„Feiern Sie die Hinweisgeber!“
ZEIT RedaktionMary Inman aus San Francisco vertritt namhafte Whistleblower. Aus ihrer Sicht gehören diese Menschen zu den loyalsten Mitarbeitern überhaupt.
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 1/2024. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“.
„Leider ist es in vielen Firmen noch immer so: Wenn jemand auf einen Missstand hinweist, dann geht es ihm an den Kragen und nicht dem Problem selbst. Wir erschießen den Boten – als wäre er schuld an der schlechten Nachricht, die er überbringt. Ich verstehe es als meine Lebensaufgabe, Unternehmerinnen und Unternehmer davon zu überzeugen, dass es falsch ist, so mit Hinweisgebern umzugehen. Ein Fehler ist es nicht in erster Linie, weil es inzwischen Gesetze gibt, die Hinweisgeber schützen und etwa in der EU Firmen ab 50 Beschäftigten zwingen, Meldekanäle einzurichten.
Der Hauptgrund ist ein anderer. Wer Sie auf Missstände in Ihrem Unternehmen hinweist, ist keinesfalls illoyal – er gehört zu den treuesten Mitarbeitern überhaupt. Diese Mitarbeiter äußern sich, wenn andere schweigen – oft versuchen sie es mehrmals, zu ihren Chefs durchzudringen, wie Studien zeigen. Das ist keine Frechheit, sondern zeugt von Verantwortungsgefühl und Mut.
Ich vertrete Menschen, die diesen Mut gezeigt haben. Viele verstehen sich anfangs gar nicht als Whistleblower. Sie werden von ihrem uneinsichtigen Arbeitgeber erst dazu gemacht. Nur weil sie intern mit ihrer Kritik nicht durchdringen oder sogar schikaniert werden, sehen sie irgendwann keinen anderen Ausweg mehr, als öffentlich auf den Missstand hinzuweisen – oft anonym, manchmal aber auch unter ihrem Klarnamen.
So wie meine Klientin Frances Haugen, die erst versucht hat, intern an den Missständen bei Facebook zu arbeiten, und dann unter ihrem vollen Namen an die Öffentlichkeit ging, nachdem sie auf taube Ohren gestoßen war. Hätte Facebook sie früher ernst genommen, hätte es nicht so weit kommen müssen – und der Konzern hätte viele Probleme weniger, wäre wahrscheinlich wertvoller und ein attraktiverer Arbeitgeber.
An die Öffentlichkeit zu gehen, ist für diese Menschen selbst eine enorme psychische Herausforderung: Sie erwarten eigentlich Lob, wenn sie im Unternehmen auf Probleme hinweisen – stattdessen verlieren sie nicht selten ihren Job und ihre Kollegen.
Ich bekomme oft zu hören, dass Whistleblower auf Geld aus seien. Es stimmt zwar, dass die amerikanische Finanzaufsicht SEC Hinweisgebern Prämien zahlt, wenn sie später tatsächlich Strafen verhängt. Trotzdem zeigen Studien, dass 80 Prozent aller Whistleblower, die eine solche Belohnung erhalten, das Problem vorher intern angesprochen haben. Bitte nicht vergessen: Die Hinweisgeber wollen Ihnen nicht schaden, sondern Sie vor Schaden bewahren.
Natürlich können kritische Hinweise für diejenigen zum Problem werden, die sie betreffen. Diese Menschen haben verständlicherweise einen hohen Anreiz, den Kritiker zum Schweigen zu bringen. Für sie geht es um alles. Mein Rat lautet deswegen: Benennen Sie in Ihrer Firma Ansprechpartner, an die sich Mitarbeiter außerhalb der Hierarchie wenden können – auch wenn Sie nicht per Gesetz zur Einrichtung einer Meldestelle verpflichtet sind.
Hören Sie kritischen Stimmen zu! Sorgen Sie für eine Firmenkultur, in der Mitarbeiter, die auf Missstände hinweisen, keine negativen Folgen befürchten müssen. Nicht nur, weil das inzwischen Vorschrift ist – sondern weil es für Sie und Ihr Unternehmen gut ist. Belohnen Sie Mitarbeiter, die Ihr Unternehmen durch gute und frühe Hinweise vor den Folgen solcher Missstände bewahren, vor größeren Schäden wie auch Strafen, die Sie empfindlich treffen können. Verteufeln Sie diese Menschen nicht – feiern Sie sie!“