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Fragen Sie die Entwickler!

01. April 2022
ZEIT Redaktion

Um den Kommunikationsdienst Twilio aufbauen zu können, hat Jeff Lawson sogar seine Hochzeitsgeschenke verkauft. Hier erklärt er sein Erfolgsrezept

von Jens Tönnesmann, Redakteur im Wirtschaftsressort, DIE ZEIT, verantwortlicher Redakteur, ZEIT für Unternehmer

Redaktioneller Beitrag aus „ZEIT für Unternehmer, Ausgabe 03/2021“. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.

Wenn es um die Digitalisierung geht, arbeiten viele Führungs­kräfte und Entwickler nicht optimal zusammen. Entwickler werden oft wie eine digitale Fabrik behandelt, in die man eine Liste mit Anforderungen an ein digitales Produkt einspeist und aus der dann ein fertiger Programm­code heraus­kommen soll. Die Entwickler sollen mit einer Liste voller Spezifikationen einen Online-Shop, eine Smartphone-App oder ein Programm für eine Maschine bauen. Ich sage Ihnen: Es ist ein Fehler, das von Ihren Mitarbeitern zu verlangen!

Ich bin selbst Entwickler und habe mich schon früh entschieden, dass ich Unternehmen gründen möchte. Der Grund dafür war das Internet. Mir ist in den 1990er-Jahren klar geworden, dass man als Unternehmer ganz unmittelbar und über Nacht Milliarden von Menschen erreichen kann, wenn man eine geniale Idee hat. Alles, was man dafür braucht, ist ein Text-Editor, mit dem man einen Programm­code schreiben kann – ist man gut darin, kann man ein groß­artiges Business aufbauen.

Foto von Jeff Lawson
© Jerry Yoon/Twilio

Jeff Lawson ist Gründer und CEO von Twilio. Das Unternehmen aus San Francisco betreibt eine Kommunikations­plattform, über die sich programm­gesteuert SMS verschicken, Videocalls starten und Anrufe tätigen lassen. An der Börse war Twilio bei Redaktions­schluss dieser Ausgabe etwa 60 Milliarden Dollar wert.

Als meine beiden Mitgründer und ich 2008 Twilio gegründet haben, hatten Investoren kein Interesse an unserer Idee: eine Software, die Entwickler in ganz verschiedene Anwendungen einbinden können, um über das Internet automatisiert Anrufe zu tätigen und SMS zu verschicken – zum Beispiel, um Buchungen oder Bestellungen zu bestätigen. In Twilios Anfängen orientierten wir uns an unseren Kunden, die uns darin bestärkten, auf dem richtigen Weg zu sein und etwas für sie Wertvolles zu bauen. Das war unser Grund weiter­zumachen, obwohl uns die Geldgeber zuerst nicht verstanden. Ich habe also nicht aufgegeben, sondern mit meiner Frau sogar unsere Hochzeits­geschenke verkauft, um das Start­kapital zusammen­zu­kriegen. Aber ich habe auch gelernt: Wenn es dir gelingt, ein schwer­wiegendes Kunden­problem zu lösen, findet sich später alles andere von selbst. Sowohl Investoren als auch Mitarbeiter.

Als Unternehmer muss man alle Kraft darauf richten, den Kunden zuzuhören. Man muss verstehen, was die Probleme und Bedürfnisse sind. Und wenn Sie selbst kein Entwickler sind, dann müssen Sie das Ihren Entwicklern nahebringen. Sie sind keine Fabrik­arbeiter, sondern kreative Köpfe: Entwickler wollen Geschäftsprobleme lösen und nicht nur Anforderungen in Software übersetzen.

Eines meiner Start-ups vor Twilio war eine Einzelhandelskette für Sportartikel. Mein Mitgründer Matt fühlte sich im Umgang mit Computern nicht wohl. Aber er wusste um seine Schwäche und kam mit der Problemstellung zu mir und nicht mit Lösungs­vorschlägen. Ein Problem war, dass wir eine Möglichkeit brauchten, unsere Verkäufer zu motivieren, auf die Kunden zuzugehen und ihnen Hilfe anzubieten. Und zwar über eine Kennzahl, die anzeigte, wie viele Leute zur Tür hereinkamen und wie viele dann tatsächlich etwas kauften. Also brachte ich einen Zähler an den Ladentüren an, der die Besucher zählte, und schrieb eine Software, die das Ergebnis mit der Anzahl der tatsächlichen Kunden verglich. So konnten wir die Leistung unserer Verkäufer messen. Dass Matt mir den Spielraum gelassen hat, mir selbst eine Lösung für das Problem zu überlegen, das hat mich motiviert – so wie es jeden Entwickler motiviert.

Wenn Sie aber Ihren Entwicklern diese Freiheit nicht lassen, findet Ihre Firma Lösungen für Probleme, die niemand hat. So wie bei Google+, dem sozialen Netzwerk, das Google 2011 gestartet hat. Die Konzern­führung wollte Facebook Konkurrenz machen, indem Google+ in alle Produkte integriert wurde. Das war eine Idee der oberen Etagen, die Entwickler sollten sie nach deren Vorstellungen umsetzen. Nur: Die Nutzer brauchten Google+ nicht, 2019 wurde es dann nach Jahren des Misserfolgs eingestellt.

Mein Rat ist also: Sie haben ein Problem? Dann fragen Sie Ihre Entwickler!