„Ich verstehe unter Rendite deutlich mehr als finanziellen Gewinn.“
ZEIT RedaktionWelche Netzwerke bilden Unternehmerinnen und Unternehmer? Jeden Monat stellen wir Ihnen hier eine Persönlichkeit vor, die Fragen eines anderen Unternehmers beantwortet – und dann einer anderen Unternehmerin selbst welche stellt.
In dieser Folge beantwortet Christian Hiß die Fragen von Tina Andres, Geschäftsführerin der Erzeuger-Verbraucher-Genossenschaft Landwege und Chefin des Bundes Ökologische Lebensmittelwirtschaft (BÖLW).
Christian Hiß ist gelernter Gärtnermeister und gründete erst eine Bio-Gärtnerei und später in Freiburg die Bürgeraktiengesellschaft Regionalwert AG. Im Gespräch erläutert er, wie sein Unternehmenskonzept funktioniert, und plädiert für eine neue Art der Buchhaltung.
Herr Hiß, Sie haben mit der Regionalwert AG Bürgeraktiengesellschaft vor über 15 Jahren im Raum Freiburg ein Unternehmen gegründet, das mittlerweile in anderen Regionen vielfach Nachahmung findet. Was ist der Zweck dieses zivilgesellschaftlichen Unternehmens?
Christian Hiß: Wir wollen resiliente Wertschöpfungsräume aufbauen, um Menschen mit Lebensmitteln zu versorgen.
Und was bedeutet das konkret?
Wir geben den Bürgerinnen und Bürgern die Gelegenheit, sich zum Beispiel an Betrieben in ihrer Gegend zu beteiligen, die Obst und Gemüse anbauen, mit Naturkost handeln oder Menschen damit versorgen. So ermöglichen wir es, die Wertschöpfungsketten vollständig in einer Region zu entwickeln und zu unterhalten. Dieses Modell ist nicht nur nachhaltig, es ermöglicht auch Unabhängigkeit. Wir erleben ja gerade schmerzhaft, wie anfällig die weltweiten Lieferketten sind und wie der Handel mit Getreide politisch instrumentalisiert wird.
Geht es Ihnen und den beteiligten Bürgerinnen und Bürgern darum, Rendite zu erzielen?
Ja, aber ich verstehe unter Rendite deutlich mehr als finanziellen Gewinn. Auch Versorgungssicherheit ist beispielsweise eine Rendite, von der die Menschen profitieren, die sich an unseren Bürgeraktiengesellschaften beteiligen. Und wir haben ein System entwickelt, wie wir diese Rendite auch beziffern können.
In Ihrem Buch „Richtig rechnen!“ plädieren Sie dafür, die Finanzbuchhaltung so zu reformieren, dass eine ökologisch-ökonomische Wende möglich wird. Was meinen Sie damit?
Erst mal ist mir wichtig: Ich bin seit 40 Jahren Unternehmer, und ich lege viel Wert auf betriebswirtschaftliches Know-how. Aber ich bin überzeugt, dass ein Treiber der Wende zu mehr Nachhaltigkeit eine zeitgemäßere betriebliche Erfolgsrechnung ist, also die Art, wie wir buchhalten und bilanzieren.
Können Sie das einem Beispiel erklären?
Wer klassisch kalkuliert, kauft möglichst billig ein und beutet seine Ressourcen aus, anstatt in sie zu investieren. Wer dagegen ökologische und regionalökonomische Leistungsfaktoren in seiner Bilanz berücksichtigt und zum Beispiel den Boden als Betriebsvermögen ansetzt, wird darauf achten, dessen Fruchtbarkeit zu erhalten. Und Auszubildende einzustellen ist dann eine Investition ins Fachwissen, das ebenfalls zum Betriebsvermögen gerechnet wird. Es gibt 300 solcher Leistungsfaktoren, die man aus meiner Sicht buchhalterisch einbeziehen müsste.
Wird Ihrer Forderung nach einer solchen Bilanzierung Gehör geschenkt?
Es ist mir anfangs schwergefallen, mit dieser Idee in der Fachwelt durchzudringen. Aber das hat sich geändert. Gerade haben wir beispielsweise ein großes Projekt namens QuartaVista mit dem Softwareunternehmen SAP abgeschlossen. Mit dem Projekt haben wir gezeigt , wie sich die neue Bilanzierungslogik in einer Buchhaltungssoftware abbilden lässt. Das ist ein Meilenstein für die Methodik.
Neulich haben Sie in Freiburg auch eine Wissenschaftskonferenz zu „Sustainable Performance Accounting“ veranstaltet. Was verbirgt sich denn dahinter?
Eine ganze Reihe von Ökonomen und Wissenschaftlern interessieren sich heute für das sogenannte Sustainable Perfomance Accounting, also die Idee, Nachhaltigkeitsfaktoren in den Bilanzen zu berücksichtigen. Und diese Forscher haben wir bei der Konferenz zusammengebracht. Ein Thema war die Frage, wie Unternehmen ihre Energieversorgung in ihren Bilanzen abbilden können. Wer beispielsweise sehr von Gaslieferungen abhängt, geht ein Risiko ein, das er bilanztechnisch erfassen und für das er Rückstellungen bilden sollte. Dann würden sich Investitionen in erneuerbare Energiequellen wie Fotovoltaik sofort noch mehr lohnen, weil dafür weniger Rückstellungen nötig wären.
Sie finden auch, die Landwirtinnen und Landwirte sollten selbstbewusster auftreten und ihre vielfältigen Leistungen für das Gemeinwohl gegenüber der Gesellschaft finanziell geltend machen. Passt die Forderung in eine Zeit, in der die Lebensmittel doch sowieso teurer werden?
Spannende Frage! Ich finde: Ja. Die Landwirtschaft trägt viel zum Gemeinwohl und zur Versorgungssicherheit bei. Aber dafür bekommen die Landwirtinnen und Landwirte nichts, in ihren Bilanzen bildet sich dieser Beitrag nur auf der Kostenseite ab – etwa in den Personalausgaben und Sachkosten. Sie sollten sich dafür starkmachen, dass ihre Leistungen für die Allgemeinheit auch von der Allgemeinheit finanziell entlohnt werden – und zwar nicht über die Preise ihrer Produkte, sondern durch Geld vom Staat. Anstatt auf die Straße zu gehen, sollten sie die konkrete Abrechnung für die Dienstleistungen der Gesellschaft vorlegen. Es ist ein Irrtum, dass sich diese Leistungen über die Preise für Eier und Milch honorieren lassen.
Was sind nach Ihrer Auffassung weitere wichtige Hebel für die Transformation zu einer zukunftsfähigen Land- und Ernährungswirtschaft?
Ganz wichtig ist aus meiner Sicht, dass die Betriebe ihre Produktionsmittel – also Arbeitskräfte und Kapital, aber auch Energie, Dünger und Saatgut – aus ihrer Region beziehen und zugleich die Menschen in ihrer Region mit ihren Erträgen versorgen. So entsteht das, was ich regionale Ernährungssouveränität nenne.
Im Raum Freiburg mag das ja funktionieren, aber andere, beispielsweise sehr trockene Weltregionen sind auf Nahrungsmittelimporte angewiesen, damit die Menschen dort ausreichend zu essen haben. Ist es nicht sinnvoll, wenn sich Länder auf das spezialisieren, was sie am besten anbauen können, und dann Handel miteinander treiben?
Ich habe keinen naiven Regionalitäts-Begriff. Wir brauchen Arbeitsteilung, zum Beispiel auch bei der Technik: Es wäre nicht nachhaltig, wenn jede Region anfängt, Traktoren herzustellen. Zugleich bin ich aber überzeugt, dass auch weniger fruchtbare Regionen besser bewirtschaftet werden können, wenn dem Regionalprinzip mehr Aufmerksamkeit geschenkt würde. Und da, wo man über Grenzen von Regionen hinweg liefert, braucht es zumindest mehr Transparenz in den Lieferketten.