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Unter Starkstrom

02. August 2022
ZEIT Redaktion

Dieter Ortmann ist Fotovoltaik-Unternehmer aus Waltershausen. Zu Besuch bei jemandem, der seit dem Ukraine-Krieg so volle Auftragsbücher hat, dass er Kunden vertrösten muss – oder gar nicht mehr ans Telefon geht.

von Tom Schmidtgen, Hospitant im Wirtschaftsressort, DIE ZEIT

Dieter Ortmann könnte den ganzen Tag telefonieren, so viele Menschen wollen gerade was von ihm. Besucht man ihn auf dem Dreiseitenhof in Walters­hausen in Thüringen, in dem sein Unternehmen sitzt, dann steht er da im Gang – und redet in sein Smartphone. Wie er es schon zu Hause getan hat, kurz nach dem Aufstehen. Oder im Auto, mit dem er dann zur Arbeit gefahren ist. Oder später am Tag im Büro, als ihn ein Politiker anrufen und um Rat fragen wird.

Dieter Ortmann
© Guido Werner

Dieter Ortmann könnte den ganzen Tag telefonieren, so viele Menschen wollen gerade was von ihm. Besucht man ihn auf dem Dreiseitenhof in Walters­hausen in Thüringen, in dem sein Unternehmen sitzt, dann steht er da im Gang – und redet in sein Smartphone. Wie er es schon zu Hause getan hat, kurz nach dem Aufstehen. Oder im Auto, mit dem er dann zur Arbeit gefahren ist. Oder später am Tag im Büro, als ihn ein Politiker anrufen und um Rat fragen wird.

Um den Stau an Anfragen und Aufträgen abzuarbeiten, braucht Ortmann Leute. 38 Mit­arbeitende hat er schon, 13 Stellen sind offen. Für Elektriker. Elektro­techniker. Elektro­planer. Sogar „Quer­ein­steiger und Durchstarter“ sucht er gerade, so steht es auf seiner Website. „Erweitere Deinen Horizont in einer der spannendsten und schnell wachsenden Branchen“, steht da. Und: „Sofort den Sinn in Deinen Aufgaben und Deiner Arbeit sehen“, das sei bei der Solar­firma möglich.

Zwei neue Mitarbeiter hat er gerade gefunden, um neun Uhr an diesem Tag ist ein Treffen mit ihnen angesetzt, kurze Begrüßung, ein paar Worte zur 2008 gegründeten Firma. Dann sagt Ortmann ihnen im Stakkato, warum Solar­energie sich für Kunden lohnt, er wirft mit Zahlen um sich, rechnet auf seinem Smart­phone etwas vor, redet über Renditen und return of invest. All das sollen seine Mitarbeiter den Kunden auf einer „Bier­deckel­rechnung“ erklären können, also so einfach wie möglich. Im Detail müsse man den Kunden den Nutzen einer Foto­voltaik­­anlage auf dem Dach gar nicht mehr erklären. Sie wollen einfach nur un­ab­­hängiger von den steigenden Energie­­kosten werden. Koste es, was es wolle. „Vertrieb haben wir früher mal gemacht“, sagt Ortmann. „Heute geht’s nur noch um die Unter­schrift.“

Es sei doch so: Für viele Haus­besitzer müsse sich eine Anlage nicht einmal mehr rentieren, hat Ortmann beobachtet. „Die meisten wollen Notstrom“, erklärt der Unter­nehmer. Er liefert ihnen dann zusätzlich zur Foto­voltaik­anlage Speicher­module, mit denen sich die Strom­versorgung zu Hause auf­recht­er­halten lässt, falls aus dem Netz kein Strom mehr kommt, weil zum Beispiel Hacker ein Umspannwerk lahm­gelegt haben. Notstrom, das ist Ortmanns Verkaufs­schlager aktuell, auch wenn so eine Batterie etwa 4000 Euro kostet.

Seit dem Krieg drehen die Leute durch. Jetzt wollen sie alle Solardächer, aber das können wir gar nicht bedienen.

Dieter Ortmann

Viele Unternehmen und Privatleute wollen jetzt ihren Strom selbst produzieren, jeder vierte Haus­be­sitzer will dieses Jahr in eine Solar­anlage investieren, das belegen Zahlen des Markt­forschungs­instituts Appino. „Seit dem Krieg drehen die Leute durch. Jetzt wollen sie alle Solardächer“, sagt Ortmann, „aber das können wir gar nicht bedienen.“

Aktuell, überschlägt Ortmann, muss sein Team jeden Kunden im Schnitt etwa durch­schnittlich zwei Wochen warten lassen – auf eine erste Rück­meldung wohl­gemerkt. Wer bei dem Waltershausener Unternehmen anruft, wird direkt von einer Stimme vom Band vorgewarnt. Auf der Website seiner Firma steht ein gelbes Banner, ein „Gedulds-Update“: Man freue sich über jede Anfrage, aber wegen der schieren Menge sei es „leider derzeit nicht möglich, Ihnen zu antworten“. Ein Mitarbeiter telefoniere ständig Warte­listen ab, falls jemand abspringt. Etwa 400 Kunden bedient Ortmanns Firma im Jahr, 50 davon sind gewerbliche Kunden.

Die Solar­branche war lange in Verruf.

Dieter Ortmann

Dieter Ortmann kennt auch noch die Zeiten, in denen das Geschäft härter war. „Die Solar­branche war lange in Verruf“, sagt der Unternehmer. Zwar löste das Erneuerbare-Energien-Gesetz nach dem Jahr 2000 einen Boom aus, weil es festlegte, dass grüner Strom über die EEG-Umlage vergütet wird. So wuchs auch die Solar­­industrie in Deutschland, Hersteller wie Solarworld und Q-Cells stiegen zu Welt­markt­führern auf. Ab 2012 aber wurde die Förderung schritt­weise beschnitten, in Deutschland gingen viele Unternehmen pleite, auch weil die Konkurrenz in China laufend günstiger produzierte. Von einst mehr als 150.000 Beschäftigten in der Solar­­industrie im Jahr 2011 ist heute nur knapp ein Drittel übrig.

Das waren auch für Ortmann keine guten Jahre, weil weniger Solar­panels verlegt wurden als erhofft. Ortmann redet sich in Rage, wenn er über die Berliner Politik dieser Jahre redet. Von Unternehmen wie seinem, erzählt er, hätten in der Region nur die wenigsten überlebt. Er habe nur durch­ge­halten, weil er sich in dieser Zeit für einen neuen Markt interessiert hat am anderen Ende der Welt, in Südafrika.

Auf dem Schreibtisch in seinem Einzelbüro, in das er aus dem Groß­raum­büro ziehen musste, weil seine Leute fanden, er telefoniere zu viel, steht eine kleine Südafrika-Flagge, hinter ihm hängt ein Bild des Tafelbergs in Kapstadt, und auf dem Schrank: ein Bild von ihm mit der ehemaligen Bundes­kanzlerin Angela Merkel, mit der Ortmann auf ihrer Südafrika-Reise vor zwei Jahren unterwegs war.

Ortmann sagt, er sei in das Land verliebt, seit er dort im Jahr 2000 einen Englisch­kurs besucht habe. Etwa drei- bis viermal im Jahr reist er nach Afrika, vor einem Jahr ist er sogar zum Honorar­konsul ernannt worden. Und vor zehn Jahren baute Ortmann in Südafrika einen Großhandel für Solar­module und eine Solar­schule auf, 3500 Menschen hätten dort schon gelernt, wie man beispiels­weise Solar­­panels montiert.

Doch Ortmann will mehr: Seit eineinhalb Jahren baut Maxx Solar an einer ­virtuellen Solar­schule im virtuellen Raum, dem Metaverse. Mit VR-Brillen sollen Schülerinnen und Schüler dort ein virtuelles Schul­gebäude betreten und am Unterricht teilnehmen können, in dem sie ­lernen, wie man eine Foto­voltaik­anlage installiert. Bildung sei der beste Weg, damit Ent­wicklungs­länder Anschluss finden, sagt Ortmann, und sein Angebot sei sein Beitrag dazu. Die größte Heraus­forderung der virtuellen Solarschule sei die Datenmenge. Sein Lehr­angebot müsse „buschfähig“ werden, so sagt Ortmann das tatsächlich und mehrmals, damit Schüler­innen und Schüler sich auch mit ge­ringerem Daten­volumen einschalten können. Dann will er Tausende erreichen – und damit Geld verdienen. So sympa­thisch Solarenergie vielen Menschen ist: Ortmann ist weniger Idealist als ­Ge­schäfts­mann.

Jetzt: Auf in den Tesla, ab zu einem Außentermin, ein Rentner aus Ortmanns Nachbarschaft, deshalb fährt er noch ­persönlich hin. Auf dem Glas­tisch frischer Kaffee. Der Mann nimmt es genauer als andere Kunden, er hat ein Konkurrenz­­angebot eingeholt, nun soll Ortmann nachlegen. Ortmann montiert nur Module von Herstellern, die in Europa vertreten sind, der Konkurrent bezieht sie in China. „Das würde ich nicht machen“, erklärt Ortmann. „Wenn das ein Garantiefall ist, hast du keinen Ansprech­partner in Deutschland.“ Überzeugt. Weiter geht’s:

Ortmann: „Willst du Notstrom?“

Nachbar: „Hm. Brauche ich das denn?“

Ortmann: „Das kann ich dir nicht sagen. Da tickt jeder anders. Manche wollen den Opel, andere den Mercedes. Aber mit beiden kommst du gut von Hamburg nach München.“­

Nachbar: „Dann den Mercedes bitte.“

Dass Ortmann nicht nur Unternehmer, sondern auch ein beherzter Verkäufer ist, liegt wohl an seiner Biografie. In der DDR fing er mit einer Lehre zum Elektro­mechaniker an, brach die aber ab und arbeitete bei seinem Vater in einem Handwerks­betrieb. Nach der Wieder­ver­einigung absolvierte er eine Ausbildung zum Mechaniker und wurde anschließend Verkäufer von Garten­technik. In den Nullerjahren machte er sich selbstständig und tüftelte am ersten Allrad-Aufsitz­rasen­mäher, dem Maxx-Trac. Ortmann ist ein Tausend­sassa, der viel ausprobiert und lieber neue Wege sucht, statt alte Pfade abzuwandern. Im Wirtschafts­system der DDR wäre er damit wohl nicht weit gekommen, aber in der Markt­wirtschaft konnte er sich entfalten.

Ortmann zeigt Fotos des Rasenmähers, den er erfunden hat. Nachdem der in Serie ging, verkaufte er die Firma. „Nebenbei habe ich damals auch Solar­platten verkauft“, sagt Ortmann. Darauf baute er seine zweite Firma auf, Maxx Solar. Liebe auf den ersten Blick sei das nicht gewesen, dafür bieten Foto­voltaik­anlagen zu wenig Erlebnis. Anfangs wollte er nicht das Klima retten, mit dem Vertrieb von Solar­platten ließ sich einfach viel Geld verdienen. „Wenn ich Kunden auf den Rasen­mäher gesetzt habe, leuchteten die Augen“, sagt Ortmann. „Bei Solar­platten tut es nur weh, wenn man sie anfasst.“

Mittlerweile weiß er, wie wichtig seine Arbeit für die Energie­wende ist. Selbst in die Politik zu gehen kommt für den Honorar­konsul aber nicht infrage: „Ich mache zu ungern Kompromisse.“

Wir müssen so große Foto­voltaik­anlagen wie möglich bauen.

Dieter Ortmann

„Hey, Thomas!“, ruft Ortmann plötzlich in sein Telefon. Thomas Kemmerich, Thüringens früherer Kurzzeit-Minister­präsident und Partei­vor­sitzender der Thüringer FDP, ruft an. Es geht um die Probleme der Branche und die Klimaziele. „Wir müssen so große Foto­voltaik­anlagen wie möglich bauen“, sagt Ortmann. „Man sollte viel mehr auf Gewerbe gehen.“ Dann dreht sich das Gespräch um die hohen Energie­preise und die Inflation. „Wer von meinen Mitarbeitern mit dem E-Auto kommt, spürt nichts von dem ganzen Zirkus.“ Voraus­gesetzt, sie tanken eigenen Solarstrom.

Nach etwa 20 Minuten ist das Gespräch zu Ende. „Jetzt hat parallel auch noch die Thüringer Umwelt­ministerin eine E-Mail geschrieben“, sagt Ortmann hinterher und grinst. Wer den Unternehmer so erlebt, kann den Eindruck gewinnen, er macht bereits Politik, auch wenn er nicht im Landtag sitzt.