Vorsicht, ansteckend!
ZEIT RedaktionSteigende Kosten und sinkende Nachfrage setzen viele Firmen unter Druck. Um nicht selbst zahlungsunfähig zu werden, sollten sich Unternehmer gegen Zahlungsausfälle ihrer Kunden wappnen.
Redaktioneller Beitrag aus: „ZEIT für Unternehmer Ausgabe 3/2023. Geschäftspartner der ZEIT Verlagsgruppe haben auf die journalistischen Inhalte der ZEIT Redaktion keinerlei Einfluss.“
Eigentlich ist das Team des Dresdner Unternehmens Büromöbel-Experte sehr vorsichtig. Wenn ein neuer Firmenkunde Rollcontainer, Schiebetürenschränke oder Sideboards bestellt, holen die Mitarbeitenden eine Kurzauskunft bei Creditreform ein. Für rund zehn Euro pro Anfrage liefert die Auskunftei die wichtigsten Stammdaten eines Unternehmens und gibt eine Risikoklasse an. Klasse 1 bedeutet: Die Firma ist sehr zahlungskräftig und wird ihre Rechnungen mit einer fast 100-prozentigen Wahrscheinlichkeit bezahlen. Klasse 6 heißt: Es könnte gut sein, dass die Firma ihre Rechnung nicht bezahlt. Steht es schlecht um die Bonität des Kunden, heißt das: Nur gegen Vorkasse! Diese Vorsichtsmaßnahme lässt sich das Unternehmen immerhin etwa 4000 Euro im Jahr kosten. Und trotzdem: Jährlich werden rund 30 von 8000 Bestellungen ausgeliefert, die nie bezahlt werden. Bei einem Jahresumsatz von neun Millionen ist das zwar kein großer Anteil, tut Paul Eilfeld, dem Chef, aber trotzdem weh.
Die Sorge, auf den gestellten Rechnungen sitzen zu bleiben, belastet immer mehr Unternehmer. Laut Statistischem Bundesamt ist die Zahl der beantragten Unternehmensinsolvenzen im Juli 2023 im Vergleich zum Vorjahr um fast ein Viertel gestiegen. Darunter große Firmen mit vielen Gläubigern, etwa das Modeunternehmen Peek & Cloppenburg. Die Tendenz seit August 2022: steigend. Das liegt neben hohen Energie- und Materialpreisen unter anderem an den auslaufenden Staatshilfen und den milderen Insolvenzantragspflichten, die während der Pandemie galten. Nun sind die Unternehmen wieder mehr auf sich allein gestellt. Der Kreditversicherer Allianz Trade beschreibt „eine sukzessive Normalisierung des Insolvenzgeschehens“. Heißt: Mehr Unternehmen gehen bankrott. Die Gefahr: Wenn klamme Firmen nicht zahlen, kann das andere anstecken. Laut einer Umfrage des Fintech-Unternehmens iwoca unter Bankern, Maklern und Plattformbetreibern befürchten neun von zehn kleinen und mittelgroßen Firmen Liquiditätsengpässe.
„In den kommenden zwölf Monaten werden noch einige Unternehmen einknicken“, sagt Walter Stahli, der Unternehmen in Finanzierungsfragen berät. Besonders schwarz sieht er für die kriselnde Baubranche. „Der Bauboom hat bisher auch Unternehmen am Leben gehalten, die nicht gut aufgestellt waren“, sagt Stahli, „die werden jetzt nicht mehr so einfach durchkommen.“ Für Unternehmer heißt das: Sie müssen noch vorsichtiger sein, um am Ende nicht selbst in Bedrängnis zu geraten. Wer schuldet mir noch was? Wen habe ich schon gemahnt? Wo ist die zweite Mahnung nötig?
Paul Eilfeld von Büromöbel-Experte macht es so: Sein internes Rechnungssystem versendet automatisch eine erste Mahnung, wenn ein Kunde nicht pünktlich zahlt. „Dann reagieren die meisten und zahlen pflichtbewusst“, sagt der Unternehmer. Kommt trotzdem kein Geld, versendet der Online-Shop eine zweite Mahnung und prüft den Fall individuell. Pro Jahr kommen 200 Stück zusammen. „Bei langjährigen Kunden greifen wir zusätzlich zum Telefon und haken nach“, sagt Eilfeld.
Hilft das alles nichts, geht der Fall an das Versicherungsunternehmen Atradius, bei dem Eilfeld seine Firma gegen Forderungsausfälle versichert hat. Atradius leitet für das Unternehmen ein Inkassoverfahren ein. Ist auch dieses aussichtslos, springt die Warenkreditversicherung (WKV) ein. Rund 40.000 Euro bekommt der Geschäftsführer pro Jahr von der Versicherung erstattet. Die Versicherungsleistung kostet ihn etwa 20.000 Euro pro Jahr. Allgemein bemessen sich die Kosten einer WKV am jeweils zu erwartenden Umsatz.
Es kann helfen zu sagen: Zahlen Sie ab sofort pünktlich – oder der Preis muss nachverhandelt werden
Volker Riedel, Unternehmensberater
Möchten es Unternehmer gar nicht erst so weit kommen lassen, können sie sich schon im Voraus mittels „Factoring“ absichern. Dabei verkaufen Unternehmer ihre Forderungen direkt nach Lieferung an den Factoring-Anbieter. Gerade bei größeren Projekten, die ein Kunde erst am Ende bezahlt, kann Factoring dafür sorgen, dass man flüssig bleibt. Factoring-Anbieter zahlen dem Unternehmer meist sofort 80 bis 95 Prozent des fälligen Rechnungsbetrags. Den Rest gibt es, wenn der Kunde die Rechnung beglichen hat. Klingt bequem, kostet aber auch: Die Gebühren liegen bei um die zwei bis drei Prozent, manchmal auch deutlich höher. Zusätzlich wird ein Zins auf die vorfinanzierte Summe fällig, bis der Kunde zahlt. Wer Factoring nutzt, nimmt also weniger ein – dafür gibt es das Geld sofort.
Ein weiterer Vorteil: Während es nur wenige Warenkreditversicherer gibt, haben Firmen beim Factoring eine große Auswahl. Einige der Factorer sind auf Branchen oder Kundengruppen spezialisiert. Zahntechniker haben beim Geldeintreiben schließlich andere Probleme als Automobilzulieferer.
Paul Eilfeld hat auch schon mal auf Factoring gesetzt. „Bei unseren Kunden hat das aber immer einen faden Beigeschmack hinterlassen“, sagt der Unternehmer. Denn wer Factoring nutzt, ist vielleicht selbst eher knapp bei Kasse – dann sucht sich der Kunde für die nächste Bestellung womöglich lieber einen vermeintlich stabileren Partner. Walter Stahli rät zu großer Vorsicht bei der Auswahl des Factorers: „In den vergangenen Jahren sind mehrere Factoring-Anbieter insolvent gegangen.“ Seine Faustregel: Wer nicht besonders liquide ist, also schnell Geld braucht, kommt ums Factoring nicht herum. Wer dagegen Zeit hat, für den sei eine WKV-Police die bessere Wahl.
Bevor Unternehmer auf einen WKV- oder einen Factoring-Anbieter zugehen, sollten sie klare Prozesse entwickeln, die vorgeben, wie sie mit Rechnungen, Mahnungen und säumigen Kunden umgehen. „Eigentlich sollte das selbstverständlich sein, aber gerade im Mittelstand erleben wir noch viele Überraschungen“, sagt der Berater Stahli. „Viele Unternehmer wissen gar nicht, wie gut oder pünktlich ihre Kunden bezahlen. Andere trauen sich nicht abzumahnen, weil sie fürchten, die Beziehung zu belasten.“ Dieses Wissen ist aber bares Geld wert.
Denn bis die WKV einsteht, können schon mal Monate vergehen. Die Deckungssumme liegt in der Regel nur bei 70 bis 80 Prozent. Das deckt meist immerhin den Material- und Personaleinsatz.
Volker Riedel rät dazu, solchen Konflikten nicht aus dem Weg gehen – auch bei altbekannten Kunden. „Es muss klar werden, dass es ernst ist“, sagt der Finanzexperte bei der Mittelstandsberatung Wieselhuber & Partner. „Da kann es helfen zu sagen: Entweder Sie zahlen ab sofort pünktlich, oder der Preis muss nachverhandelt werden.“ Umgekehrt können Unternehmer darüber nachdenken, bei sehr schneller Bezahlung Skonti zu gewähren und so ihre Kunden anzuspornen, früh zu zahlen.
Paul Eilfeld aus Dresden erlebt solche Konflikte bisher eher selten. Aber etwas anderes macht ihm zu schaffen: „Leider wurden wir schon mehrfach Opfer von Betrug“, erzählt er. Die Masche: Der Betrüger gibt sich zum Beispiel als Mitarbeiter von Bosch aus und bestellt im Auftrag seines angeblichen Arbeitgebers. Signatur und Mailadresse sehen korrekt aus. Alles ist stimmig. Die Auskunftei bescheinigt für Bosch natürlich eine gute Bonität, Eilfeld fühlt sich sicher. Kurz vor der Auslieferung bittet der Kunde um eine Lieferung an eine andere Adresse; so etwas kann schon mal vorkommen. Doch an der neuen Adresse warten keine Bosch-Mitarbeiter, sondern Betrüger im Bosch-Blaumann. Nehmen die Schiebetürenschränke, die Rollcontainer und Sideboards an, unterschreiben den Lieferschein, grinsen fröhlich – und sind weg. Das Geld kommt dann nie an, und die Versicherung zahlt meist auch nicht.