Arbeitsdruck kann auch beflügeln
Druck hat zu Unrecht ein schlechtes Image. Denn psychologische Erkenntnisse zeigen: Entscheidend ist die Balance.
„Druck ist ein Privileg“ hat die ehemalige Tennisspielerin Billie Jean King einmal gesagt. King muss es wissen. Sie hat zwölf Grand-Slam-Titel geholt und damit nicht nur ihrem eigenen Druck, sondern dem von Sponsoren, Trainer:innen, Familie, Fans und den Medien erfolgreich standgehalten. Das Druck beflügelt, ist auch in Business-Diskursen ein wiederkehrendes Motiv. Hier wird oft der schottische Philosoph Thomas Carlyle zitiert: „No pressure, no diamonds.“
Solche Sprüche sind keine hohlen Phrasen, im Gegenteil: Sie wurzeln in Erkenntnissen aus der Psychologie, die zeigen, dass Leistungsdruck bestärken kann. Denn Druck motiviert eben dort, wo es die intrinsische Motivation nicht hinschafft. Durch Druck bleiben wir am Ball.
Kognitive Leistungen verbessern sich
Selbst kognitive Funktionen lassen sich durch Druck verbessern. Wenn Proband:innen in einer künstlich hergestellten Stresssituation akutem Druck ausgesetzt sind, verbessern sich ihre kognitiven Ressourcen – so eine Studie der Ruhr-Universität Bochum. Auch dass der durch Druck ausgelöste Stress die Konzentrationsfähigkeit verbessern kann, ist bekannt. Sogar das Immunsystem reagiert mit einem gewünschten Effekt: Das Stresshormon Cortisol mobilisiert die unspezifische Immunabwehr, die Abwehrkräfte werden gestärkt. Druck kann also richtig gesund sein.
Aber unter Druck entstehen eben nicht nur „Diamanten“. Dass Arbeitsbelastung auch schädlich sein kann, zeigt die Entwicklung einer speziell auf die psychische Arbeitsbelastung gerichtete Normenreihe, die DIN EN ISO 10075. Zu viel Druck kann bei Beschäftigten einen massiven Einschnitt in puncto Wohlbefinden bedeuten. Mittel- bis langfristig sind zum Teil schwerwiegende gesundheitliche Probleme die Folge. Diese Probleme wirken sich auch auf das Arbeitsvermögen aus. Denn wenn man nervöser, ängstlicher und gereizter ist, beeinträchtigt das den eigenen Erfolg – und den des Unternehmens. Gestressten Mitarbeitenden unterlaufen mehr Fehler, die wiederum sind mit Mehraufwand und -kosten und schlimmstenfalls sogar mit einem Reputationsverlust bei Kund:innen oder sogar in der Öffentlichkeit verbunden.
Auch die möglichen körperlichen Auswirkungen von lang andauerndem Stress wie erhöhter Blutdruck, orthopädische Symptome und Organschädigungen beeinflussen die Wirtschaftlichkeit von Unternehmen negativ: Sie verursachen eine verminderte Arbeitsleistung, bringen Fehltage und mögliche Kündigungen mit sich. Zudem gibt es Einschätzungen, dass durch Stress ausgelöste Erkrankungen zu einem nicht unbedeutenden Teil für Frühverrentungen verantwortlich sind.
Das schlechte Image revidieren
Zurecht ist daher der öffentliche Diskurs zum Thema Druck nicht der Einstellung „No pressure, no diamonds“ vorbehalten, sondern berücksichtigt auch diese, gerade im Hochleistungssegment eher verschwiegenen negativen Gesichtspunkte. Dennoch – das dürften auch die möglichen positiven Auswirkungen von Arbeitsbelastung zeigen – sollte das negative Image von Druck revidiert werden.
Denn Druck sei sogar lebensnotwendig, wie Daniela Kaufer, Neurowissenschaftlerin an der University of California in Berkeley erklärt: „Es gibt diesen Glauben, dass Stress immer schlecht für das Gehirn ist, aber das stimmt nicht. Die Stressreaktion ist ganz entscheidend für unser Überleben. Sie ist elementar für unsere Wachsamkeit und sorgt dafür, dass wir uns für das nächste Ereignis adaptieren können.“ Ganz ähnlich, aber auf einer psychologischen Ebene formuliert es die Business-Beraterin Alexandra Lichtenfeld: „Wer sich aus seiner Komfortzone herausbegibt, wird gefordert und gepusht. Es verbessert nicht nur die eigene Performance, sondern das ganze Selbst.“ Kurz: Ohne Druck, ohne Anreiz wird das Leben langweilig.
Entscheidend für die Balance zwischen den verschiedenen Druckauswirkungen ist ein Wechselspiel der Zustände, von Anspannung und Entspannung. Und um dafür noch einmal ein Zitat aus der Welt des Spitzensports zu bemühen: Erinnern Sie sich noch an das Interview mit Per Mertesacker kurz nach dem WM-Achtelfinalspiel Deutschland gegen Algerien? Darauf angesprochen, warum die deutsche Mannschaft auf so wenig ansprechendem Niveau gespielt habe, pampte Mertesacker erst rum und sagte dann: „Ich lege mich jetzt drei Tage in die Eistonne, und dann werden wir das Spiel in Ruhe analysieren.“ Anders ausgedrückt: Auf große Anspannung muss erst mal Entspannung folgen. Wenige Tage später wurde Deutschland Fußballweltmeister bei den Männern.
Welche Faktoren Führungskräfte im Umgang mit Druck noch beachten sollten und wie sich Druck positiv verwerten lässt, darüber haben wir mit dem Arbeitspsychologen Sebastian Jakobi gesprochen. Hier finden Sie das Interview.